Schwarzes Echo. Michael Connelly

Schwarzes Echo - Michael Connelly


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      Bosch spürte, wie er langsam wütend wurde. Er nahm die Flasche mit den Kopfschmerztabletten aus dem Schrank und steckte sie in seine Tasche. Während er über den Vier-Uhr-Anruf nachdachte, öffnete er den Kühlschrank und sah hinein. Er fand nichts, was ihn interessierte. Er sah auf seine Uhr.

      »Crowley, wenn die Meldung um vier Uhr morgens eingegangen ist, wieso kommst du dann jetzt damit zu mir, fast fünf Stunden später?«

      »Hör zu, Bosch, wir hatten nur einen anonymen Anruf. Das war alles. Die Telefonistin sagte, es wäre ein Junge gewesen, weiter nichts. Auf eine solche Information hin wollte ich nicht einen meiner Männer mitten in der Nacht in diese Röhre schicken. Hätte ein Streich sein können. Hätte ein Hinterhalt sein können. Herrgott noch mal, es hätte alles Mögliche sein können. Ich hab gewartet, bis es hell wurde und hier langsam etwas Ruhe einkehrte, dann hab ich gegen Ende der Schicht ein paar von meinen Männern hingeschickt. Da wir gerade vom Schichtende reden … ich bin so gut wie auf dem Weg. Ich hab nur gewartet, bis ich was von denen höre und dann von dir. Noch was?«

      Bosch hätte ihn gern gefragt, ob ihm schon mal in den Sinn gekommen wäre, dass es in der Röhre dunkel war, egal ob sie um vier oder um acht darin herumstocherten, aber er ließ es. Was sollte das schon bringen?

      »Noch was?«, sagte Crowley wieder.

      Bosch wollte nichts einfallen. Crowley durchbrach die Stille.

      »Ist wahrscheinlich nur wieder ein Junkie, der den Löffel abgegeben hat, Harry. Kein eigentlicher 187er-Fall. Passiert doch dauernd. Teufel auch, du weißt doch, dass wir letztes Jahr schon mal einen aus derselben Röhre gezogen haben … ach so, das war, bevor du nach Hollywood gekommen bist … also damals klettert so ein Typ in diese Röhre – die Landstreicher, die schlafen ständig da oben – aber er, ein Knacki, setzt sich den Goldenen Schuss, und aus. Abgemeldet. Nur, dass wir ihn damals nicht so schnell gefunden haben, und bei der Sonne auf der Röhre hat er zwei Tage lang da drin gebraten. Geröstet wie ein Truthahn. Nur hat er nicht so gut gerochen.«

      Crowley lachte über seinen eigenen Scherz. Bosch nicht. Der wachhabende Sergeant fuhr fort.

      »Als wir den Mann rausgeholt haben, steckte die Nadel noch in seinem Arm. Ist diesmal bestimmt dasselbe. Ein Scheißjob, ein Toter unter vielen. Fahr da raus, und wenn du mittags wieder zurück bist, leg dich aufs Ohr und sieh dir vielleicht die Dodgers an. Und dann am nächsten Wochenende? Steckt der Nächste in der Röhre, und du hast dienstfrei. Das sind drei Tage am Stück. Nächstes Wochenende ist Memorial Day. Tu mir also einen Gefallen. Fahr raus und sieh dir an, was da los ist.«

      Bosch dachte einen Moment nach und wollte schon auflegen, dann sagte er: »Crowley, was soll das heißen, den anderen habt ihr nicht so schnell gefunden? Woher willst du wissen, dass wir diesen schnell gefunden haben?«

      »Meine Leute da draußen sagen, sie können bei dem Toten nichts riechen, nur Pisse. Der muss frisch sein.«

      »Sag deinen Leuten, ich bin in einer Viertelstunde da. Sag ihnen, sie sollen an meinem Tatort keinen Mist bauen.«

      »Sie …«

      Bosch wusste, dass Crowley seine Leute wieder verteidigen wollte, legte aber auf, bevor er es sich anhören musste. Er steckte sich die nächste Zigarette an, als er zur Haustür ging, um sich die Times von der Treppe zu holen. Er breitete die zwölf Pfund Sonntagszeitung auf dem Küchentresen aus und fragte sich, wie viele Bäume dafür sterben mussten. Er fand den Immobilienteil und blätterte darin herum, bis er eine große Anzeige für Valley Pride Properties fand. Er fuhr mit dem Finger über eine Liste frei zu vermietender Häuser, bis er eine Adresse fand, unter der »Sprechen Sie mit Jerry« stand. Er wählte die Nummer.

      »Valley Pride Properties, kann ich Ihnen helfen?«

      »Jerry Edgar, bitte.«

      Einige Sekunden vergingen, und Bosch hörte es ein paarmal klicken, bis sein Partner an den Apparat kam.

      »Jerry am Apparat, kann ich Ihnen helfen?«

      »Jed, wir haben gerade einen Auftrag bekommen. Oben am Mulholland-Damm. Und du trägst deinen Pieper nicht.«

      »Scheiße«, sagte Edgar, dann war es still. Bosch konnte beinahe hören, was er dachte: Drei Besichtigungen hab ich heute. Es blieb still, und Bosch stellte sich seinen Partner am anderen Ende der Leitung in einem 900-Dollar-Anzug mit bankrottem Stirnrunzeln vor. »Was für einen Auftrag?«

      Bosch erzählte ihm das wenige, was er wusste.

      »Wenn du möchtest, dass ich das solo mache, tu ich es«, sagte Bosch. »Wenn Ninety-eight irgendwas will, denk ich mir was aus. Ich sag ihm, du kümmerst dich um die Fernsehsache und ich mich um die Leiche in dem Rohr.«

      »Ja, ich weiß, dass du das tun würdest, aber es ist schon okay. Ich mach mich auf den Weg. Ich muss bloß jemanden finden, der für mich einspringt.«

      Sie wollten sich bei der Leiche treffen, und Bosch legte auf. Er schaltete den Anrufbeantworter ein, nahm zwei Päckchen Zigaretten aus dem Schrank und schob sie in die Tasche seines Sakkos. Dann griff er in einen anderen Schrank und holte den Nylon-Holster hervor, in dem seine Waffe steckte, eine 9 mm Smith & Wesson, geladen mit acht XTPs. Bosch dachte an die Anzeige, die er in einem Polizeimagazin gesehen hatte. Garantiert tödlich. Ein Geschoss, das beim Aufprall zum Anderthalbfachen seiner Größe anwächst, tödlich tief in den Körper eindringt und maximale Einschusskanäle hervorruft. Wer immer das geschrieben hatte, wusste, wovon er redete. Vor einem Jahr hatte Bosch einen Mann aus sieben Metern Entfernung erschossen. Drang unter der rechten Achsel ein, trat unter der linken Brustwarze aus, zerschlug dabei Herz und Lunge. XTP. Maximale Einschusskanäle. Er klemmte den Holster auf der rechten Seite an seinen Gürtel, damit er ihn mit der linken Hand greifen konnte.

      Er ging ins Badezimmer und putzte sich die Zähne ohne Zahnpasta. Er hatte keine mehr und vergessen, welche zu besorgen. Er zerrte einen feuchten Kamm durch sein Haar und starrte einen Moment lang seine rot umränderten, vierzig Jahre alten Augen an. Dann untersuchte er die grauen Haare, die das Braun aus seinem lockigen Haar mehr und mehr verdrängten. Sogar der Schnurrbart wurde grau. Beim Rasieren hatte er graue Stoppeln im Waschbecken entdeckt. Er betastete sein Kinn, beschloss, sich nicht zu rasieren, und ging aus dem Haus, ohne auch nur die Krawatte gewechselt zu haben. Seinem Klienten war es ohnehin egal.

      Bosch fand eine Stelle ohne Taubenscheiße und stützte seine Ellbogen auf das Geländer, das oben am Mulholland-Damm entlanglief. Zwischen seinen Lippen steckte eine Zigarette. Durch zwei Hügel konnte er hinunter auf die Stadt sehen. Der Himmel war pulvergrau, und wie ein Leichentuch lag der Smog über Hollywood. Einige ferne Türme der Innenstadt ragten aus der Giftwolke auf, doch der Rest der Stadt blieb unter der Decke verborgen. Hollywood sah aus wie eine Geisterstadt.

      Ein leicht chemischer Geruch lag in der warmen Brise, und nach einer Weile wusste er, was es war. Malathion. Im Radio hatte er gehört, dass die Helikopter in der Nacht Nord-Hollywood bis hin zum Cahuenga Pass mit Gift gegen die Fruchtfliegen besprüht hatten. Sein Traum fiel ihm ein, und er erinnerte sich an den Hubschrauber, der nicht landen wollte.

      Hinter ihm erstreckte sich die blaugrüne Weite des Wasserreservoirs der Stadt, zweihundertvierzig Millionen Liter Trinkwasser, gebändigt von einem altehrwürdigen Damm im Canyon zwischen zwei Hollywood-Hügeln. Ein zwei Meter breiter Streifen aus getrocknetem Lehm zog sich am Ufer entlang und erinnerte daran, dass L.A. das vierte Jahr einer Dürreperiode erlebte. Weiter oben am Ufer des Bassins gab es einen drei Meter hohen Maschendrahtzaun, der das gesamte Ufer umfasste. Bei seiner Ankunft hatte sich Bosch diesen Zaun genauer angesehen und gefragt, ob damit die Leute vor dem Wasser oder das Wasser vor den Leuten geschützt werden sollte.

      Bosch trug einen braunen Overall über seinem zerknitterten Anzug. Schweiß zeichnete sich durch beide Kleiderschichten unter seinen Achseln und am Rücken ab. Sein Haar war feucht, sein Bart hing. Er war in der Röhre gewesen. Er spürte, wie das leise, warme Kitzeln der Santa-Ana-Winde den Schweiß in seinem Nacken trocknete. Sie kamen früh in diesem Jahr.

      Harry war kein großer Mann. Er war knapp unter eins achtzig und schlank gebaut. Die Zeitungen – wenn sie ihn beschrieben


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