Louis Nicolas Davout. Das Genie hinter Napoleons Siegen. Alain Felkel
sich die Ereignisse. Am 3. Juli schloss die provisorische Regierung mit den Alliierten einen Waffenstillstand. Tags darauf zog die französische Armee sich aus Paris zurück. Während die Alliierten Paris besetzten, marschierten die Franzosen hinter die Loire, die bis zum Friedensabschluss zur Demarkationslinie zwischen dem unbesetzten Frankreich und den Alliierten werden sollte. Davout selbst überwachte höchstpersönlich die Einquartierung der Truppen und schied am 8. Juli als Kriegsminister aus dem Amt. Trotzdem ließ er die Zügel nicht schleifen. Kraft seiner Autorität hielt er noch die Loire-Armee zusammen, die als Unterpfand für spätere Friedensverhandlungen wichtig werden konnte.
Diese war nach wie vor nicht gewillt, sich Ludwig XVIII. zu unterstellen. Immer noch glaubten einige Offiziere, die Alliierten aus dem Land verjagen zu können. Noch einmal warf Davout seine Autorität in die Waagschale und versuchte ihnen klarzumachen, dass die vom König geforderte Unterwerfung eine der Hauptbedingungen für die Unterbrechung der Kampfhandlungen gewesen war.
Eindringlich schärfte Davout seinen Offizieren ein, dass die Kämpfe jederzeit wieder aufflackern könnten, da die durch Deutschland anmarschierenden Russen und Österreicher bis jetzt nicht in die Waffenstillstandsverhandlungen einbezogen worden seien. In den Augen von Kaiser Franz und Zar Alexander stellte die provisorische Regierung nicht die legitime Regierung Frankreichs dar.
Am 14. Juli berief Davout die Generäle und Oberste der Loire-Armee ein, um ihnen die Dringlichkeit der Lage klarzumachen.
Die einstimmige Unterwerfung aller Truppen unter den Oberbefehl des Königs ist höchst dringlich. Es muss so sein, dass die Gesamtheit unserer Unterschriften unsere Kraft und unsere Einheit verdeutlicht. Die Armeen Europas haben sich auf Frankreich geworfen, um es mit Blut und Feuer zu überziehen; es gibt keine Hoffnung mehr, sie mit der Waffe in der Hand zu vertreiben. Nur die Regierung von Ludwig XVIII. kann die Verwüstung und Zerstückelung Frankreichs verhindern. Und deswegen sollte sich die Armee um ihn scharen. Meine Haltung leitet nur das öffentliche Interesse. Man wird mich nicht bei Hofe sehen, noch eine Beschäftigung annehmen sehen. Ich werde in den Ruhestand gehen und den Rest meiner Tage der Erziehung meiner Kinder widmen.8
Dies war ein großes persönliches Opfer, das ein Mann darbrachte, dessen Lebenssinn darin bestanden hatte, für die Französische Republik und das napoleonische Kaiserreich Krieg zu führen. Das Beispiel des Marschalls fand Nachahmer, aber der Unterwerfungsakt war eine Arznei mit bitteren Nebenwirkungen. Davout hatte sich nicht mit seiner Forderung nach einer Generalamnestie für alle Offiziere und Soldaten durchsetzen können, die während der Hundert Tage den Eid auf Napoleon geleistet hatten. Der König hatte sich zu nichts verpflichtet.
Wenige Tage nach der Vereidigung der Armee auf den König wurde eine Liste mit den Namen von 19 Offizieren veröffentlicht, die man des Hochverrats am König bezichtigte und die Verhaftung von 38 weiteren Personen angekündigt. Diese sollten in Haft bleiben, bis ihr Fall vor dem Gerichtshof geklärt werden konnte.
Genau das hatte Davout verhindern wollen. Empört protestierte er gegen diese Maßnahme und setzte sich verzweifelt für diejenigen Offiziere ein, die seiner Meinung nach den König nicht verraten hatten. Doch Davouts Protest verhallte ungehört. Fouché selbst war es gewesen, der die Geächteten auf die Liste gesetzt hatte, und der König ließ nicht mit sich handeln, was Marschall Ney, den Davout vergebens zu verteidigen versuchte, das Leben kostete.
Immerhin hatte Davout trotzdem einen Teilerfolg zu verzeichnen: Er fand Zeit, die meisten der Geächteten noch rechtzeitig zu warnen oder ihnen zur Flucht zu verhelfen, bevor er am 1. August den Oberbefehl über die Loire-Armee niederlegte.
Zu diesem Zeitpunkt war Napoleon schon darüber unterrichtet, dass er den Rest seines Lebens auf der Insel St. Helena verbringen würde. Dies war ein Schock für ihn, der felsenfest damit gerechnet hatte, einen beschaulichen Lebensabend in England zu verleben.
Trotzdem wusste der Ex-Kaiser der Franzosen sich schnell in die neue Situation einzufinden. Gemeinsam mit seinen Getreuen Las Cases und Gourgaud beschloss er, noch an Bord des britischen Linienschiffs »Bellopheron« mit der Niederschrift seiner Memoiren zu beginnen.
In diesen fällte er nach all den Jahren, gezeichnet von Bitterkeit, ein vernichtendes Urteil über seine einstigen Weggefährten, besonders über Davout:
Er hat mich zum Schluss genauso verraten wie all die anderen. Als er meine Sache gefährdet sah und als er sie verloren glaubte, wollte er all die Ehren und alles, was er mir an Reichtümern verdankte, retten. Er hat mir schlecht gedient.9
Dies ist ein schwerer Vorwurf und zugleich der Beweis, dass die Zusammenarbeit von Davout und Napoleon von Anfang an die Geschichte eines großen Missverständnisses war. Der Kaiser hatte Davouts Pflichtergebenheit mit Untertänigkeit verwechselt und in ihm nur seinen ehrgeizigen Gefolgsmann gesehen. Bei genauerem Studium von Davouts Vergangenheit wäre ihm aufgefallen, dass dessen Vaterlandsliebe einer eisernen Familientradition entsprang.
II
Vom Kadetten des Königs zum Revolutionsgeneral
»Wenn ein D’Avoust der Wiege entsteigt, wird ein Schwert aus der Scheide gezogen.«
Burgundisches Sprichwort
Am 7. Mai 1770 wurde in der Geschichte des Königreichs Frankreich und Österreichs ein neues Kapitel aufgeschlagen. In Reichweite der kaiserlichen Festung Kehl gegenüber dem französischen Straßburg steuerten mehrere festlich geschmückte Kähne eine unbewohnte Rheininsel an, die im Niemandsland zwischen beiden Mächten lag.
Anmutig setzte ein blauäugiges, weißgepudertes Mädchen von 14 Jahren seine Füße auf den Boden der Insel und ging, begleitet von ihren Höflingen, auf einen Pavillon zu, dessen Holzwände kostbare Stofftapeten mit allegorischen Darstellungen schmückten. Dieser Pavillon war zweigeteilt. Die östliche Hälfte symbolisierte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, der Tisch in der Mitte markierte die Grenze und die westliche Hälfte des kleinen Saals verkörperte das Königreich Frankreich.
Jetzt kam der wichtigste Teil der Prozedur und der schamhafteste Akt für die Vierzehnjährige. Unter den Augen der Zeremonienmeister schritt die junge Habsburgerin andächtig zu dem Tisch in der Saalmitte und entledigte sich ihrer Kleider, bis sie ganz nackt war. Dann überschritt sie zitternd die symbolische Grenze zwischen Frankreich und dem Reich und ging in den anderen Trakt, wo sie sofort nach französischer Mode neu eingekleidet wurde. Nun erst war dem Protokoll Genüge getan, konnte sich die junge Österreicherin nach Salischem Recht10 als Braut des zukünftigen Königs Ludwig XVI. von Frankreich betrachten, den sie in einer Woche treffen sollte.
An jenem 7. Mai 1770 hatte Marie Antoinette von Habsburg den Ritualtod erlitten, um als Thronfolgerin und spätere Königin Frankreichs wiedergeboren zu werden.
Der Zufall wollte es, dass in derselben Woche, in der dieser wunderliche Akt geschah, ein Junge im burgundischen Dorf Annoux geboren wurde, der einst ein großer Feind des Reiches werden sollte: Louis Nicolas Davout.
Seine Mutter, Françoise-Adélaïde Davout, war eine geborene Minard de Velars, sein Vater, Chevalier Jean François D’Avoust, trug den Titel eines Junkers und stammte aus uraltem burgundischem Adel. Zum Zeitpunkt der Geburt ihres ersten Sohnes bewohnten beide zusammen ein ärmliches Landhaus, das Jean François D’Avoust von seinem kargen Sold angemietet hatte, den er als Leutnant im Kavallerieregiment La Rochefoucault bekam.
Eins nämlich war allen D’Avot, Davo, Davoust, Davoult, D’Avoust, D’Avout oder Davout11, wie sie im Lauf der Jahrhunderte geschrieben wurden, gemeinsam: die Vorliebe für das Waffenhandwerk und den Soldatenstand. Aus dem Tale Avot in Burgund stammend, hatten Generationen dieser kriegerischen Familie erst unter dem Andreaskreuz der Burgunderherzöge, dann unter dem Lilienbanner Frankreichs gekämpft. Zu Reichtum waren die wenigsten dieser streitbaren Sippe gelangt.
In dieser Hinsicht bildete Jean François D’Avoust12 keine Ausnahme. Zeitzeugen beschrieben ihn als schmuck, tapfer und von untadeligem Benehmen, aber mit dem Makel behaftet, arm zu sein. Wie bedeutend dieser Mangel an Eigentum und Besitz in einer ständischen Gesellschaft wie der des 18. Jahrhunderts sein konnte, zeigt ein Bericht über die Eignung von Nachwuchsoffizieren,