Dichter und ihre Gesellen. Joseph von Eichendorff

Dichter und ihre Gesellen - Joseph von Eichendorff


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reden wollten, „wir kennen uns, wir sind verwegene Schuldenmacher, denen kein Gläubiger mehr glauben will.“

      Bardolph und Dortchen Lakenreißer: in Shakespeares „Heinrich IV.“

      Rasch an das Licht tretend und ein Papier entfaltend, las er: „Da ist Herr Ruprecht – feurig von Nase, erhaben von Nase, blühend von Nase –, was? nichts als lauter Nase! – Herr Lothario dann, auch Literatus genannt. Charakter: erster Tenor; besondere Kennzeichen: verdrehte Schleife am Halstuch, ungekämmtes Haar, spricht am vernünftigsten, wenn er betrunken ist, in Summa: großes Genie. – Aber der Teufel mag aus der Beschreibung klug werden, ich verhafte in dem Klumpen da die ersten besten Beine. – Greif zu!“ Sein Gefährte packte nun ohne weiteres den Ruprecht an den Füßen, der in dem Gedränge vergeblich bemüht war, seine Stiefeln in den Händen des Häschers zu lassen und sich auf die Strümpfe zu machen. Unterdes hatten sich endlich auch die andern eiligst vom Boden aufgerafft, der Direktor Sorti, schon halb entkleidet, flog in größter Bestürzung herzu, der Hofhund dicht an seinen Waden hinter ihm drein, Kordelchen lachte, der Wirt schimpfte, der Blasse deklamierte fortwährend von persönlicher Freiheit und unverletzlichen Menschenrechten.

      „Seid ihr nicht rechte Narren!“ rief da auf einmal der Polizeidiener dazwischen und warf Bart, Hut und Rock von sich – es war der Literatus Lothario. Sein Gefährte aber verwandelte sich ebenso rasch in Herrn Fabitz, den Komikus der Bande.

      „Ich wußte es lange“, sagte Ruprecht, der sich zuerst von dem Schreck erholt hatte, indem er ruhig seine Pfeife ausklopfte. Die übrigen aber konnten den Scherz nicht so schnell verwinden, dem einen hatten sie auf das Hühnerauge getreten, ein anderer fuhr wütend mit dem Ellbogen aus dem Ärmel und behauptete, das Loch sei erst von jetzt, alle keiften auf Lothario los, während ihnen Fabitz unbemerkt ihr Bier austrank. Lothario aber hatte unterdes vom Reisewagen schnell eine Trommel geholt, setzte sich damit auf den Tisch und begann lustig zu wirbeln, bald piano, bald crescendo, nach der jedesmaligen Stimmung des Redenden. Kein Mensch konnte sein eigenes Wort verstehen, die Zänker schrien sich ganz heiser und verloren die Geduld, einige lachten, Lothario trommelte immerfort, bis alle nach und nach den Platz geräumt, und der letzte zornig die Haustür hinter sich zugeschmissen hatte. Nur Kordelchen war zurückgeblieben. Sie setzte sich trotzig neben Lothario auf den Tisch. „Und ich bleibe gerade noch draußen“, sagte sie, „mir gefällt die Nacht. Überhaupt“, fuhr sie fort, „ich habe dirs schon oft gesagt, dieses stolze, herrische, hochfahrende Wesen sollst du mir endlich einmal ganz lassen!“ „Ich bitte dich“, erwiderte Lothario, die Trommel weglegend, „du bist sonst gescheut, und ich kann dich wohl leiden, aber mit dem Lassen und Anderswerden, Kind, da ist gar nicht die Rede davon bei mir!“ Kordelchen sah ihn eine Weile an, dann brach sie plötzlich in lautes Lachen aus. „Das wollt ich nur“, sagte sie, „es steht dir gar zu schön, wenn du zornig bist. Gute Nacht!“ Hiermit gab sie ihm einen Kuß und war schnell im Hause verschwunden.

      Fortunat aber, der unterdes an einem entfernteren Tische sein Abendessen verzehrte, war nicht wenig erstaunt, als er in Lothario, da er vorhin seine Polizeimaske abwarf und ins volle Licht getreten war, auf einmal den wunderlichen Cicerone wiedererkannt hatte, der ihn am ersten Morgen in Hohenstein durch den Garten begleitet. Er benutzte die plötzliche Stille, um den alten Bekannten zu begrüßen, Lothario schien überrascht und sah Fortunat einen Augenblick durchdringend an. „Hat mich sonst noch jemand dort gesehen?“ fragte er endlich, und als Fortunat es verneinte, schien er noch viele Fragen auf dem Herzen zu haben, besann sich aber schnell wieder. „Ich liebe Hohenstein“, sagte er nach einer kurzen Pause, „vor allen andern Orten und mache, so oft wir in der Nähe vorüberziehen, einen Abstecher nach dem Garten. – Doch heut ists schon zu spät, wir sprechen wohl noch morgen mehr davon.“ Hiermit schüttelte er Fortunat die Hand und ging nach dem andern Flügel des Hauses hin.

      Siebentes Kapitel

      Noch war keine Spur des Morgens am Himmel, da lagen mehrere der jüngeren Schauspieler, denen es zu schwül im Hause geworden war, in ihre Mäntel gehüllt, schlafend auf den Stühlen und Bänken unter den Linden umher. Fabitz, der Komikus, erwachte zuerst. Er blickte erschrocken in den Himmel, und da er an dem Stand der Gestirne bemerkte, daß es lange nach Mitternacht war, sprang er sogleich auf den Tisch hinauf und fing wie ein Hahn zu krähen an.

      Da fuhr eine dunkle Gestalt nach der andern fröhlich in die dämmernde Nacht empor, schauernd und sich schüttelnd in der kühlen Luft. Lothario aber kam, schon ganz reisefertig, tiefer aus dem Garten und pochte lustig an die Haustür. „Glück auf!“ rief er, „fröhliche Botschaft! heraus da! ich habe Fortuna beim Schopf!“ Nun fuhren schlaftrunkene Mädchengesichter neugierig aus den Fenstern, immer mehr Stimmen wurden nach und nach drinnen wach, Türen flogen heftig auf und zu, und bald glich das ganze Haus einem Bienenstocke, der schwärmen will.

      Fortunat, von dem wachsenden Lärm aufgeschreckt, eilte gleichfalls hinab und fand schon die ganze Gesellschaft in der liebenswürdigsten Laune um Lothario versammelt. Dieser hatte nämlich in der Nacht durch einen Freund die Nachricht erhalten, daß der Fürst auf seinem eine Tagereise von hier gelegenen Jagdschlosse angekommen, wo er jeden Sommer einige Wochen hindurch sich den Freuden der Jagd und allerlei wunderlichen, romantischen Einfällen zu überlassen pflege. Dem Briefe lag zugleich eine Einladung des Fürsten an Herrn Sorti bei, mit seiner Truppe so schnell als möglich sich auf dem Schlosse einzufinden. Dieser unerwartete Glücksfall verbreitete einen allgemeinen Jubel. Ein jeder schnürte eiligst sein Bündel, alle versprachen sich goldene Berge von dem reizenden Aufenthalt, die Männer Ruhm und gutes Leben, die Mädchen vornehme Liebschaften und Geschenke. Fortunat selbst, den sein Weg ohnedies an dem fürstlichen Schlosse vorbeiführte, beschloß, die Fröhlichen bis in die Nähe zu begleiten.

      Die aufgehende Sonne traf die muntere Karawane schon draußen auf den Bergen. Kamilla – so wurde die Dame mit dem Schirm genannt – schien Fortunat ausweichen zu wollen und war daher mit Herrn Sorti auf dem Packwagen vorausgefahren. Die andern hatten in dem Städtchen einen Burschen gedungen, der sie auf den Fußsteigen durch den schönen Wald führen mußte, alle waren freudig aufgeregt und sprachen viel von den Festen auf dem fürstlichen Schlosse und den schönen Tagen, denen sie entgegenwanderten. Ruprecht schritt Tabak rauchend wieder voraus und intonierte an den schönsten Waldstellen zuweilen: „In diesen heiligen Hallen“ oder eine andere würdige Baßarie, während Fabitz unermüdlich die mannigfaltigsten Vogelstimmen nachahmte. Lothario schweifte unterdes, seine Flinte auf dem Rücken, allein auf den Bergen umher, von Zeit zu Zeit hörte man ihn fern im Walde schießen, was jedesmal von der Gesellschaft mit einem lauten Hurra erwidert wurde. Fortunat aber war wunderlich zumute in der ungebundenen Freiheit. Er atmete fröhlich die kühle Waldluft, sich oft zurückwendend und des munteren Zuges erfreuend, wie die heitern Gestalten mit ihren bunten Tüchern und phantastischen Reise-Trachten bald über ihm auf überhängenden Felsen erschienen, bald tief im dunklen Grün wieder verschwanden.

      Als die Sonne schon hoch stand, ruhte die Truppe auf einer schönen Waldwiese aus. Da kam plötzlich auch Lothario aus dem Walde zu ihnen. „Wer ist der fremde Herr hier in den Bergen?“ fragte er rasch den Führer, „da ist so ein Kerl im Frack, der schlüpft schon die ganze Zeit über von Strauch zu Strauch, sieht sich manchmal nach euch um und flieht dann von neuem vor eurem Singsang und Geschnatter wie ein Hase auf der Klapperjagd.“ „Das ist gewiß der Doktor“, erwiderte der Führer lachend, „der kam einmal mitten in einem Platzregen ins Dorf, wie vom Himmel gehagelt. Die Gegend gefiel ihm, es war gerade ein Haus droben leer, da wohnt er seitdem darin. Am Abend aber, wenn die jungen Burschen und Mädchen vor den Haustüren sitzen, kommt er auch herab, und sie müssen ihm Lieder singen und Märchen erzählen, da hat er schon manche Maulschelle bekommen, wenn er die Mädchen heimlich in die Arme kniff. Aber es ist ihm nicht zu trauen“, fuhr der Führer fort, „er hat droben kuriose Bücher, da ist kein christlicher Buchstabe drin, lauter Zirkumflexe, wie wenn eine Spinne übers Blatt gelaufen wäre, und so oft er aus den Büchern murmelt, zieht sich an den Bergkoppen ein Wetter zusammen, dann hört man ihn drinnen im Hause laut sprechen und schimpfen, und ist doch kein Mensch bei ihm.“

      In demselben Augenblicke erblickten sie auch den Zauberer selbst in der Ferne, wie er soeben hastig den Berg hinanklomm, daß die Steine hinter ihm herabkollerten. „Den muß ich doch sprechen!“ rief Lothario,


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