Panik in Odessa. Rudolf Stratz

Panik in Odessa - Rudolf Stratz


Скачать книгу
hat heute nacht Ruben getötet . . . Gerade jetzt . . .“

      „Gerade jetzt“, wiederholte der Maschinenfabrikant, „wo man sich über seine Ochsenlieferungen Dinge erzählt . . . . Ich kann es nicht glauben . . . ein Betrug in diesem Massstab wäre selbst in Russland noch nicht dagewesen . . .“

      „Es handelt sich um Millionen“, sprach der Seidengrosshändler. Und der Brauereibesitzer:

      „Wer weiss, was da alles bei den Ochsenverschiffungen zwischen der Krim und der Donaumündung passiert!“

      „Es sollen diesmal sogar schon Gerüchte bis zu den hohen Stellen in Petersburg gedrungen sein!“ nickte der alte Kopp.

      „Ich bin ein neugieriger Mensch!“ klang von der Tür her eine frische, junge Männerstimme. Paul von Minde trat mit Margarete zusammen ein. Er schüttelte seinem Oheim und den alten Kaufherren die Hand und setzte sich. „Sie sprachen da eben von Ochsenlieferungen!“ fuhr er heiter fort. „Sie haben recht: Es wird schon in Petersburg von den Ochsen gemunkelt. Aber man munkelt im Dunkeln. Wie ist es doch? Sie sind hier an Ort und Stelle. Bitte — stillen Sie meine Wissbegierde!“

      „Die Sache ist diese“, sagte der alte Kopp, „Ruben, Wainstein und Channeles haben die Lieferung von Schlachtvieh für die Balkanarmee übernommen. Es handelt sich um Kronsaufträge, wie sie in diesem Ausmass in dem ganzen Krieg nicht erteilt worden sind. Die Büffel werden in den Steppen drüben jenseits des Dnjepr aufgekauft. Sammelpunkt ist die Mennonitenkolonie Katharinental in der nördlichen Strim. Von da werden die Herden die kurze Strecke bis Eupatoria getrieben und von hier auf dem kürzesten Wege durch das Schwarze Meer nach der Donaumündung und durch den Kilia- und Sulina-Arm oder den Sankt-Georgs-Kanal nach den rumänischen Flusshäfen, nach Galass oder Braila, verschifft. Der letzte Transport ist nach der Schlangeninsel gegangen, die, wie Sie wissen, einsam mitten im Meer vor der Donaumündung liegt.“

      „So weit geht alles in Ordnung“, schaltete der Maschinenfabrikant ein. „Aber nun fragen Sie einmal an unserer Front!“

      „Da gibt es kein Fleisch! Da sind keine Ochsen!“ versetzte der alte Kopp. „Unsere Truppen hungern!“

      „Und wo sind die Ochsentransporte geblieben?“

      „Rätselhafte Unglücksfälle“, sprach trocken der Brauereibesitzer. „Einmal erfroren sie zu Tausenden im Schnee der Balkanpässe. Ich bitte Sie: jetzt schon, im Herbst! Das Fleisch der Tiere? Sie stürzten in Abgründe. Man muss mit den Wölfen und Geiern in dortiger Gegend rechnen.“

      „Neulich raffte eine Seuche eine Riesenherde unterwegs auf dem Landmarsch nach Rustschuk hin. Kein Stück blieb übrig“, ergänzte der Maschinenbauer. „Diese Kadaver mussten natürlich schleunigst vergraben werden.“

      „Ein anderer Dampfer sank in schwerem Sturm auf der kurzen Strecke zwischen der Schlangeninsel und dem Donaudelta. Die Mannschaft konnte sich retten. Die Ochsen nicht.“

      „Diese Transporte scheinen vom Unglück verfolgt“, sprach der alte Kopp.

      „Der letzte muss ietzt auch schon längst auf der Schlangeninsel eingetroffen sein“, brummte der Maschinenfabrikant. „Aber man hat weiter nichts von ihm gehört.“

      „Dann will ich mich jetzt nur in Eile säubern und umkleident“, Paul von Minde stand auf, „und dann selber einmal mich auf der Schlangeninsel umsehen.“

      „Auf der Schlangeninsel“, wiederholte sein Oheim Andreas Förster, die Hand am Ohr. Er war mit halb geschlossenen Augen dem Gespräch nur zum Teil gefolgt. „Was willst du auf diesem gottverlassenen Stück Erde?“

      „Ich war als Kind schon so wissensdurstig.“ Paul von Minde lachte. „Es ist eine Schwäche von mir.“

      „Wie kommst du hin?“

      „Gleich nach dem Mittagskanonenschuss geht ein grosser Transportdampfer mit Teilen der hiesigen Garnison nach der Schlangeninsel in See. Ich erfuhr es eben unten im Hafen, während Margarete sich vor Eurem Weizenschiff mit einem Tschinownik herumstritt. Die Odessiter stehen jetzt schon zu Tausenden an den Uferkais, um Abschied zu nehmen.“

      „Man wird dich, einen Zivilisten, nicht mitnehmen!“

      „Dieser Zivilist hat ein Papier bei sich, auf das hin ihm jedes Kronsschiff Quartier gewährt!“ sagte Paul von Minde. „Margarete — weise mir ein Zimmer an! Ich muss in ein paar Stunden wieder fort!“

      Auf dem Militärdampfer im Hafen wehten die Seekriegsflagge — das blaue Andreaskreuz auf weissem Grund — und hinten der lange blaue Abfahrtswimpel. Sein Deck war voll von Kosaken, Schützen und Sappeuren. Pferde zappelten in Hängegurten hoch in der Luft, durch Dampfkrane vom Ufer in den Bauch des Schiffes befördert. Alte Weiber reichten den letzten an Bord eilenden Offizieren Heiligenbilder zum Kuss. Langbärtige russische Kaufleute verbeugten sich mit tiefhängenden Armen vor den Kriegern oben an der Schiffsreling und warfen ihnen Kopekenstücke in die hinuntergehaltenen Mützen. Die Musik spielte: „Gott schütze den Zaren!“ Alle Häupter entblössten sich. Auch Paul von Minde nahm seine Schirmkappe ab.

      „Nun heisst es schon wieder Abschied nehmen, Margarete!“ sagte er zu der Base, die, in ihren windflatternden Mantel genüllt, neben ihm stand.

      Sie erwiderte nichts. Ihre hübschen Züge waren blass, weicher als sonst. Paul von Minde blickte auf die endlose Fläche des Schwarzen Meeres hinaus.

      „Es ist rauhe See!“ sagte er vergnügt. „Sieh, wie die Popowskas draussen tanzen!“

      Diese vier Popowskas — eine Erfindung des russischen Admirals Popow — waren die einzigen Kriegsschiffe auf der Welt, die als kreisrunde Kugeln gebaut waren. Nur ihre oberste, abgeflachte Wölbung ragte aus dem Wasser und trug einen kleinen Turm mit zwei Kanonenrohren. Margarete Förster beobachtete, wie die Küstenpanzer sich gleich Kreiseln in den weissen Wogenkämmen drehten.

      „Musst du denn fort?“ sagte sie leise und schmerzlich.

      „Du siehst es!“

      „Es gibt ja Sturm! Warte doch, bis sich das Wetter bessert!“

      „Hat man heute nacht gewartet, als man Ruben umbrachte?“

      „Was hat das mit deiner Fahrt nach der Schlangeninsel zu tun?“

      „Wer hatte diese geheimnisvollen Ochsenlieferungen? Avrom Ruben! Wer ist tot? Avrom Ruben! Begreifst du nicht, dass da möglicherweise ein Zusammenhang besteht? Ein noch sehr dunkler — ich gebe es zu!“

      „Ich wollte, du bliebst hier!“ sagte Margarete. Ich bin so ruhig, wenn ich dich in der Nähe weiss.“

      „Wenn ja, dann ist jetzt nach dem Tode des Ruben, in der allgemeinen Verwirrung dieser Bande, die Zeit, zuzugreifen. Ich darf keine Minute verlieren!“

      „Was hast denn du nur bei dem allen zu tun?“

      „Margarete — ich glaube, du kannst schweigen“, sagte ver junge Mann.

      „Ja, ich kann.“

      „Dann will ich es dir anvertrauen und sonst niemandem: Ich habe vom Zehnten Departement der Geheimen Staatspolizei in Petersburg den Auftrag, Licht in diese Ochsenlieferungen zu bringen . . .“

      „Herr . . . Erbarme dich . . .“ Margarete faltete entsetzt die Hände.

      „. . . und damit, wenn ich Glück habe, den Herren Wainstein und Channeles den Weg nach Sibirien zu ebnen!“

      „Aber das ist ja lebensgefährlich!“ rief Margarete. Er sah die helle Angst in ihren Augen. Er nickte.

      „Sogar sehr!“

      „Du hast es da mit verzweifelten Menschen zu tun!“

      „Ich bin, wenn es nottut, auch ein ganz verzweifelter Bursche. Und unbestechlich als Deutscher dazu! Sonst hätten sie nicht gerade mich in Petersburg ausgewählt!“ sagte Paul von Minde kaltblütig und fasste ihre Hand. „Nun sei mal tapfer!“

      „Ach — ich bin’s, so gut


Скачать книгу