Gesammelte Werke. Ricarda Huch
und am Tage derselben wieder zu verlassen, verhängnisvoll aber das Bekenntnis, der Kaiser werde erst durch die Kaiserkrönung und Approbation des Papstes König von Italien, und das Gelöbnis, dem Papst und seinen Nachfolgern in allen Streitigkeiten römischer Könige mit den französischen Königen das Schiedsrichteramt zu überlassen. Daß die Mehrzahl der Kurfürsten acht Jahre nach den stolzen Beschlüssen zu Frankfurt sich zusammentaten, noch dazu auf Befehl des Papstes, um dessen unterwürfigen Freund zu wählen, zeigt die ganze Grundsatzlosigkeit und Haltlosigkeit der Säulen des Reiches. Treu geblieben waren Ludwig nur der Kurfürst von Brandenburg, der sein eigener Sohn war, der Kurfürst von der Pfalz, ein Wittelsbacher, und der Erzbischof von Mainz; diesen erklärte der Papst für seiner Würde verlustig und ersetzte ihn durch einen Anhänger.
Karl war schon äußerlich eine ganz von den bisherigen Kaisern abweichende Erscheinung: mittelgroß, schwarzhaarig, breit und vollwangig im Gesicht, in den dunklen Augen, die niemanden grade ansahen, war ein Ausdruck unköniglicher Schlauheit und tiefversteckter Grausamkeit. Der Charakter und die Handlungsweise der früheren Könige, selbst eines so eigenartigen Menschen wie Friedrichs II., ließ sich durch einige klare, feste Linien bezeichnen, denen sich etwaige Widersprüche, wie sie in der menschlichen Natur liegen, einfügten; Karl war unklar und undurchdringlich, weil Unaufrichtigkeit und Verstellung seine Natur waren oder geworden waren. Er war merkwürdig, durchaus nicht unbedeutend und durchaus nicht ganz unsympathisch, wenn auch fremdartig; ungeliebt, ungehaßt, verschlossen und unheimlich stiehlt er sich über die deutschen Lande. Sprößling einer unglücklichen Verbindung zwischen dem lebenslustigen, unüberlegten Johann von Luxemburg und der Elisabeth von Böhmen, Schwester des ermordeten Wenzel, letzten Königs von Böhmen, einer, wie es heißt, männlichen und herrschsüchtigen Frau, glich er eher dieser als dem Vater. Durch ihr Bestreben, die Regierung an sich zu bringen, verfeindete sich Elisabeth mit dem böhmischen Adel, der bis dahin die herrschende Macht gewesen war, und dem es gelang, sich der Königin dadurch zu entledigen, daß er Johann mißtrauisch machte, als wolle sie ihn ausschalten und mittels ihres kleinen Sohnes, als dessen Vormünderin, herrschen. Johann ließ sie fangen und verbannte Frau und Sohn auf eine Burg, wo der Kleine in einer finsteren Kammer eingesperrt gelebt haben soll, die nur durch ein Loch in der Mauer Licht erhielt. Nachdem der König von der Prager Bürgerschaft gezwungen war, sich mit Elisabeth zu versöhnen, brachte er das Kind nach einem Schlosse, wo es inmitten wilder Wälder weltabgeschieden leben mußte. Es ist, als habe sich die Verborgenheit, das dunkle Sausen, das seine Tage und Nächte erfüllte, in seine Seele geschlichen und sie verfärbt. Das nicht zu besiegende Mißtrauen seines Vaters, den er teils fürchtete, teils bewunderte und vielleicht auch haßte, obwohl er stets, auch wo die Umstände Ungehorsam herausforderten, als der gehorsame Sohn erschien, machte ihn verschlossen, wie andererseits diese Verschlossenheit das Mißtrauen des so anders gearteten, freimütigen und gewalttätigen Vaters genährt haben mag. Wenn sein Wesen überwiegend slawisch war und seine Umgebung in der Kindheit wohl auch slawisch, so ging vom Vater deutscher Einfluß aus, wenigstens wurde am Hofe Johanns trotz lebhaften Zusammenhangs mit Frankreich deutsch gesprochen. Als Erwachsener sprach er deutsch und französisch, hatte aber das Böhmische während längeren Aufenthaltes in Frankreich, Deutschland und Italien verlernt. Fortwährend besorgt, sein Sohn könnte ihn in Böhmen verdrängen, brachte Johann den Siebenjährigen nach Frankreich, dessen König Karl IV. mit seiner Schwester Maria verheiratet war. Dort wurde der Name des Kindes, Wenzel, mit dem Namen des Königs, Karl, vertauscht. Die päpstliche Politik des französischen Hofes beeinflußte naturgemäß den Knaben, der ohnehin eine Vorliebe für alles Kirchliche, für den Umgang mit Kirchenmännern und die Beobachtung kirchlicher Gebräuche hatte. Da seine Tante schon im folgenden Jahre, bald danach auch der König von Frankreich und dann seine Mutter, die Königin von Böhmen, starben, die Beziehung zu Johann aber immer unsicher blieb, war der vierzehnjährige Knabe ganz auf sich, seine Klugheit und Vorsicht angewiesen. Mit der französischen Prinzessin, die man ihm zur Frau gegeben hatte, scheint er glücklich gelebt zu haben.
Seine Bildung war umfassend, er hatte einen offenen Sinn und ein aufrichtiges Interesse für alle Erscheinungen des Lebens. Galt auch seine Vorliebe der Theologie, so hatte er doch auch Verständnis für die Künste; in Avignon sah er den kolossalen Palast entstehen, den die Päpste sich bauten, und gewann die Baumeister, die daran tätig waren, zur Errichtung eines Domes in Prag. Ebenso empfänglich wie für die Kunst war er für das Schöne in der Natur; auf einsamen Ritten versank er wohl in Träumerei, und aufgewühlt vom Anhauch der Landschaft wie von Musik entwarf er Pläne zu Taten. Er glaubte Empfänglichkeit für das Übersinnliche zu haben; daß er einmal den Tod eines französischen Prinzen vorausgeträumt hatte, sah er als Zeichen seiner besonderen Verbindung mit dem Jenseits an. Einmal, als er in seinen jungen Jahren auf der alten Burg in Prag wohnte, glaubte er nachts Schritte zu hören. Er stand auf, schürte Feuer im Kamin und zündete Kerzen an: nichts war zu sehen. In seinen Mantel gehüllt saß er aufrecht im Bett und sah, daß der Becher mit Wein umgestürzt wurde, der neben ihm stand; aber die Hand, die es tat, sah er nicht. Das erzählte er später in der Geschichte seiner Jugend mit einem Gefühl für das Schaurige, wie es niemand vorher auszudrücken gewußt hatte. Auch daß er sich selbst so interessant war, daß er sein Leben beschrieb, war sehr ungewöhnlich. Was er erlebte, hatte etwas Außerordentliches oder er wußte es so zu gestalten. Einmal ging er, weil er Nachstellungen fürchtete, als Knappe verkleidet von Trier nach Böhmen, einmal reiste er als Kaufmann. Ein anderes Mal, als er infolge italienischer Verwickelungen mit Venedig verfeindet war und doch nach Italien wollte, wurde sein Schiff im Golf von Venedig von venezianischen Kaperschiffen umstellt. Da schickte er Unterhändler an die venezianischen Hauptleute, die seine Ergebung anbieten sollten, und schlüpfte unterdessen mit dem Grafen Frangipani, der ihn begleitete, durch die Luken des Schiffes in eine Barke, die sie beide unter Netzen und Säcken versteckt mitten durch die venezianische Flotte nach Grado brachte. Von dort gingen sie zu Fuß nach Aquileja, wo sie vom Patriarchen ehrenvoll aufgenommen wurden. Neben diesem Hang zu romantischer Einkleidung seiner Taten, neben dem Hang, sich undurchsichtig zu machen, war er doch auch im Kampfe tapfer und bewährte sich in der Schlacht. Und derselbe Mensch, der es liebte, sich in theologische Probleme zu vertiefen, von dem erzählt wird, er habe, als ihm Mystiker in Straßburg ihre verketzerten Gedanken enthüllten, zugestanden, das seien auch seine, derselbe Mensch war ein tüchtiger Rechner und Wirtschafter.
Die ersten Jahre nach der Erwählung Karls zum römischen König waren düster und unsicher. Vom Süden her kam die Pest, sie wütete hauptsächlich in Tirol, Kärnten und Steiermark, durch das Rhonetal kam sie nach Hochburgund. Schlimmer als das waren die wirtschaftlichen Erschütterungen und die Judenverfolgungen, die damit zusammenhingen. Wie ein vom Winde getriebenes Feuer jagte die Raserei, von Südfrankreich kommend, durch das westliche und südliche Deutschland. In Köln und Straßburg und in vielen anderen Städten bemühte sich der Rat, die Juden zu schützen; aber es war nicht möglich, der Wut der Zünfte Einhalt zu gebieten. In Eßlingen, Wien, Speyer verbrannten sich die verzweifelten Juden selbst. Der Herzog von Braunschweig, die Reichsstädte Goslar und Mühlhausen wehrten den Mördern, ebenso der Herzog von Österreich, wenigstens ließ er sie hängen oder einkerkern; in den kleinen elsässischen Reichsstädten dagegen siegte der Blutdurst der Zünfte. In Basel setzten die Zünfte dem Rat zum Trotz durch, daß Hunderte von Juden in ein Bretterhaus auf der Rheininsel gesperrt und damit verbrannt wurden. Wenn die notleidende Bevölkerung, die den Juden verschuldet war, den Regierungen vorwarf, sie seien von den Juden bestochen, so war das insofern verständlich, als sie vom Judenschutz, der ihnen verpfändet oder übertragen war, beträchtlichen Vorteil hatten; die adligen Herren dagegen, über und über verschuldet, machten mit den Zünften gemeinsame Sache. In Zeiten der Krise, wo Geldmangel allgemein ist, pflegt mit dem Gelde die Rechtlichkeit der Menschen zu schwinden.
Um die Zeit, als Mord und Brand den Rhein entlanglief, wählten in Rense die drei geistlichen Kurfürsten und Herzog Rudolf von Sachsen-Wittenberg den Schützling des Papstes, Karl von Mähren, zum König. Markgraf Ludwig von Brandenburg, Kaiser Ludwigs Sohn, der Pfalzgraf Rupprecht der Ältere und der Herzog von Sachsen-Lauenburg, der mit dem von Sachsen-Wittenberg um das Wahlrecht stritt, anerkannten Karl natürlich nicht und trugen nach Ludwigs Tode erst dem König von England, dann dem Markgrafen von Thüringen und Meißen, schließlich dem Grafen Günther von Schwarzburg die Krone an. Inzwischen hatten Karl und seine Anhänger ein seltsames Märchen ausgeheckt, um dem Markgrafen von Brandenburg Schwierigkeiten