Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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das sie mit Getreide ernährte, erwarben sie möglichst viel Land, überhaupt wurden sie als aufstrebende, wachstumsbegierige Macht in mancherlei Händel verstrickt, die nicht immer einen guten Ausgang nahmen. Unglückliche Außenpolitik gibt stets unzufriedenen Elementen die Möglichkeit, ihre Beschwerden durchzusetzen. Sowie die Regierung Verluste erlitten hatte, die sie nötigten, den Untertanen ungewöhnliche Steuern aufzulegen, ergriffen die Zünfte die Gelegenheit, Einblick in das Finanzwesen zu verlangen. Dabei zeigte sich, daß in den Zeiten, wo unbeschränktes Vertrauen an Stelle einer Verfassung herrschte und Rechnungsablage nie gefordert war, eine ziemliche Schlamperei eingerissen war, teils in der Buchführung, teils in der Verwaltung selbst. Oft war es den betreffenden Herren nicht möglich, Rechnung abzulegen, weil sie niemals ordnungsgemäß Rechnung geführt hatten, oft waren sie zu stolz, um sich vor Untertanen, vor Handwerkern zu verantworten. Manche mochten sich gewissenloser Verwaltung und Ausbeutung öffentlicher Gelder für private Zwecke bewußt sein; viele fühlten sich so eins mit der Stadt, daß sie ohne Besinnen auch ihr Eigenes einsetzten, wenn augenblickliche Not es verlangte, vielleicht dann sich gelegentlich schadlos hielten. So waren die Verhältnisse in Stralsund, wo das dämonische Ringen zwischen dem jungen Carsten Sarnow, dem Vertreter der Gemeinde, und dem achtzigjährigen Bürgermeister Wulflam, der unbeschränkt wie ein König und ruhmvoll regiert hatte, mit dem Tode des einen in der Fremde und dem Tode des anderen unter dem Beil endete.

      In Bremen knüpft sagenhafte Überlieferung den Umschwung an persönliche Gereiztheit, die dadurch entstand, daß Arnd von Gröpelingen auf dem Markt einen besonders gewichtigen Fisch kaufte, den ein Patrizier mit Hinweis auf ein altes Vorrecht, die Einkäufe vor den Ämtern zu besorgen, für sich beanspruchte. Daß Arnd von Gröpelingen sich den Fisch nicht abjagen ließ, soll den Patrizier bewogen haben, ihn ermorden zu lassen, was die Bürgerschaft so erbitterte, daß sie die Patrizier aus der Stadt trieb. Die Geächteten verbanden sich mit der Stiftsritterschaft und dem Herzog von Lüneburg, während die Bürgerschaft Hilfe bei den Grafen von Oldenburg, Hoya, Diepholz fand. Nach einigen Jahren der Fehde kam ein Friede zustande, wonach die Emigranten zwar draußenbleiben mußten, aber zuweilen zu Beratungen hinzugezogen wurden. Austreibungen der Geschlechter pflegten sich zu wiederholen, wie zum Beispiel in Mainz, bis schließlich die Zünfte das Übergewicht erlangten. In Regensburg wurde nur eine Familie, die Auer, ausgetrieben, die sich durch Herrschsucht unbeliebt gemacht hatte. In Schwäbisch-Gmünd stellte sich ein Mitglied der Geschlechter, der Bürgermeister Klebzagel, an die Spitze der unzufriedenen Zünfte und veranlaßte eine Auswanderung; trotzdem dauerte die Herrschaft der Geschlechter bis zum Jahre 1462. Im allgemeinen erleichterte im Süden der zu schroffer ständischer Trennung nicht neigende Charakter der Bevölkerung die Verständigung. In Basel wurden in der Mitte des 14. Jahrhunderts die Zünfte ohne blutigen Aufstand in den Rat aufgenommen. In Frankfurt, wo im 14. Jahrhundert nach einer vernichtenden Niederlage Unruhen zu befürchten waren, beugte der einsichtige Rat vor, indem er selbst Veränderungen im demokratischen Sinne vornahm. Anders waren die Verhältnisse im Norden und Osten. Lübeck war die Stadt, die auch in Beziehung auf die inneren Verhältnisse grundsätzlich dachte und handelte. Sie ließ sich dabei leiten von dem angeborenen sächsischen Stolz und von der Überzeugung, daß die hansische Vorherrschaft im Ostseegebiet sich nur halten würde, wenn eine Anzahl von in der Führung der Geschäfte erfahrenen Familien ohne Möglichkeit des Einspruchs aus den unteren Klassen ein diktatorisches Regiment führte. Eine Verschwörung der Ämter, bei der namentlich die Knochenhauer beteiligt waren, entdeckte die Regierung, eh sie zum Ausbruch kam, und bestrafte sie mit elf Hinrichtungen und neunzehn Verbannungen. Obwohl nicht alle Städte damit einverstanden waren, setzte Lübeck einen hansischen Beschluß durch, daß in keiner hansischen Stadt die Aufnahme von Handwerkern in den Rat gestattet sein solle, daß vielmehr diejenige Stadt, die sich eine demokratische Umwälzung gefallen ließe, aus der Hanse auszustoßen sei; man nannte das Verhansung. Mehrmals fanden Verhansungen statt, zum Beispiel in Bremen und Braunschweig; keine Stadt konnte auf die Dauer die Folgen derselben ertragen. Dennoch waren die Verhältnisse zu mannigfaltig, überwogen die individuellen Besonderheiten so sehr den zentralen Einfluß, daß gleichartige Verhältnisse durchaus nicht erreicht wurden. In Braunschweig änderte sich allmählich die Verfassung im demokratischen Sinne, auch in Dortmund konnte die Auswanderung der regierenden Familien nicht verhindert werden. In kleinen Städten, wie zum Beispiel in Stendal, fand Lübeck es vielleicht nicht der Mühe wert einzugreifen. Dort wurden im Jahre 1345 die patrizischen Familien durch die Handwerker vertrieben, die aber sehr bald merkten, daß sie sich damit selbst geschwächt hatten. Als nämlich Stendal an den Erzbischof von Magdeburg verpfändet wurde, konnten sie das Geld nicht aufbringen, um sich auszulösen, und entschlossen sich, die Verbindung mit den vertriebenen Patriziern, die reich waren, wieder anzuknüpfen. Diese waren nicht zur Versöhnung bereit, sondern erkannten die demokratische Verfassung an; einer von ihnen, Nikolaus von Bismarck, trat gegen Sold in den Dienst der Stadt. Im nahen Tangermünde hielt sich die aristokratische Verfassung. Aus verschiedenen Gründen dauerte die Zufriedenheit der Gemeinde mit dem neuen Zustande meist nicht lange: In dem durch die Zunftvertreter erweiterten Rat entwickelte sich oft wieder eine Geschlechterherrschaft, da die aufgenommenen Handwerkerfamilien, naturgemäß waren es die wohlhabenden, sich in patrizische Verwandtschaft und patrizische Vorurteile einlebten und die bevorrechtete Schicht vermehrten, anstatt sie aufzulösen. Oder aber die neue Regierung wurde durch die Schuldenlast, die die Unzufriedenheit veranlaßt hatte, und die sie übernehmen mußte, in dieselbe Verlegenheit versetzt, unter der die vorige gelitten hatte, was die Gemeinde ungerecht genug war, ihr zur Last zu legen. So ging es in Lüneburg, wo die Adelsherrschaft sich nach der Revolution um so stärker befestigte.

      In einigen Städten gelang es nach vielen Versuchen, Mühen und Kämpfen, eine Verfassung zu schaffen, in der die in Betracht kommenden Klassen durch wohlabgewogene Verteilung der Kräfte in einen Großen und einen Kleinen Rat, durch die Anzahl der Vertreter und regelmäßigen Wechsel der Personen zu einem der Billigkeit entsprechenden Anteil an der Regierung gelangten, so daß für längere Zeit die Ruhe erhalten wurde; das glückte in Überlingen, in Straßburg, in Zürich.

      Einen von den übrigen deutschen Städten verschiedenen Charakter hatten die des Ostens, zum Beispiel Breslau, Görlitz, Bautzen. Die Wildheit der Aufstände und die erschreckende Grausamkeit, mit der sie unterdrückt wurden, schreibt sich vielleicht daher, daß in diesen Städten, die teils zu Polen, teils zu Böhmen gehörten oder gehört hatten, die Handwerkerkreise stark mit Slawen durchsetzt waren, so daß der nationale Gegensatz den sozialen verschärfte. Reichsstädte gab es im Osten nicht; sie waren mehr als im Süden und Westen vom Landesherrn abhängig.

      In den Städten, die nicht Reichsstädte waren, verwickelte sich der Kampf dadurch, daß die Stadtherren, oft waren es Bischöfe, den Zwist der Bürger benützten, um ihre Herrschaft zu befestigen; das versetzte diejenige Partei, die der Herr unterstützte, in die heikle Lage, als Verräter zu erscheinen, wenn die auf Unterjochung der Stadt gerichtete Absicht des Helfers früher oder später zutage trat. Die Kölner fochten die Oberhoheit des Erzbischofs nicht an: es ist vorgekommen, daß sie sich auf seine Seite gegen den Kaiser stellten. Nie haben sich die Erzbischöfe das Recht des Blutbannes in Köln entwinden lassen. Was die Kölner wollten, war Erhaltung ihrer Privilegien, Schutz vor Eingriffen und Willkür, in jedem einzelnen Falle möglichste Bewahrung der Unabhängigkeit. Engelbert der Heilige war der erste Erzbischof, der es gründlich mit der Stadt verdarb, weil er, früher als die meisten seiner Standesgenossen, die vielfach zerstreuten Rechte zu einer zentralisierten Landeshoheit zusammenzufassen suchte. Seine Verwaltung war straffer als üblich, durch übermäßige Besteuerung machte er sich die Stadt zum Feinde, durch das Bestreben, die Vogteien an sich zu bringen, den umwohnenden Adel, in dessen Händen sie waren. Man fand in der Stadt, daß der in weltlichen Geschäften aufgehende Mann keinen Anspruch auf Heiligkeit habe. Großen Sinn zeigte er, als er vor den Mordplänen eines Verwandten gewarnt, der sich benachteiligt fand, furchtlos in den Tod ging. Als Konrad von Hochstaden zur Regierung kam, hatten sich die inneren Verhältnisse insofern zuungunsten der Stadt verändert, als keine Einmütigkeit mehr unter der Bürgerschaft bestand. An dem wachsenden kulturellen Aufschwung im Reiche nahm auch die Industrie teil, der Wohlstand der am Textilgewerbe beteiligten Zünfte mehrte sich, in Köln kamen namentlich die Weber zu Vermögen und drängten nach Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten. Was in Straßburg Bischof Walter von Geroldseck vergeblich versucht hatte, die Zünfte gegen die Geschlechter aufzuhetzen, das gelang


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