Der Fall Deruga. Ricarda Huch

Der Fall Deruga - Ricarda Huch


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Jahren, wie ich schon sagte«, antwortete Frau Schmid; »es mag im Mai gewesen sein.«

      »Juli war es«, sagte Deruga, »denn die Linde, unter der wir abends saßen, duftete, und der Rosentriumphbogen über der Gartenpforte blühte, als wir das erstemal hindurchgingen.«

      Alle blickten erstaunt nach dem Angeklagten, dessen wohllautende Stimme und melodischer Tonfall jetzt erst auffielen; was er sagte, hatte fast wie ein kleines Lied geklungen.

      Die farbenprächtige Frau zeigte wieder eine Neigung, auf ihn zuzulaufen, unterdrückte sie aber und sagte nur: »Recht haben Sie, es war Juli! Sie wissen es am besten und könnten überhaupt alles viel besser und schöner erzählen als ich.«

      »Schräg über unserm Pavillon stand das Sternbild des Wagens«, sagte Deruga, »und wenn wir nachts Hand in Hand nach Hause kamen, Mingo und ich, sah ich ihn an und dachte: Wie bald, fliegender Wagen der Zeit, wirst du uns von diesen schnellen, törichten Augenblicken fortführen in das namenlose Dunkel.«

      »Ja, etwas Ähnliches muß ich wohl mal von Ihnen gehört haben«, fiel Frau Schmid lebhaft ein; »denn im folgenden Sommer, wenn der Wagen hoch am Himmel stand, sah er mir immer so leer aus, und doch hatte ich sonst auch niemand darin sitzen sehen, natürlich.«

      »Sie haben also noch zuweilen an uns gedacht, Brutta?« fragte Deruga.

      Frau Hauptmann Schmid zog ihr Taschentuch und brach in Tränen aus. »Ach«, schluchzte sie, »das greift mir ans Herz, wenn Sie mich bei dem Namen anreden. Es nennt mich ja seit Jahren niemand mehr so, denn der Großvater und die Großmutter sind lange tot, und ich möchte gar nicht wieder hin nach dem alten Hause. Wer weiß, ob der Wagen noch darübersteht!«

      Der Vorsitzende nahm jetzt den Faden des Verhörs wieder auf, indem er Frau Schmid bat, sich zu beruhigen, und sie fragte, ob die Eheleute Deruga den Eindruck eines glücklichen Paares gemacht und ob sie ihren Großeltern gefallen hätten.

      »Und wie!« sagte Frau Schmid, »besonders der Doktor. Das heißt, dem Großvater gefiel die Frau besser, aber er hielt sich zurück. Dagegen, wenn die Großmutter einen leiden mochte, dann merkte man's. Und vom ersten Augenblick an sagte sie, ›das wäre ein Mann für mich gewesen‹.«

      »Wie kam sie darauf?« fragte Dr. Zeunemann. »Erwies er Ihnen Aufmerksamkeiten?«

      »Keine Spur!« sagte Frau Schmid. »Er spaßte nur mit mir, wie das so seine Art war. Zum Beispiel sagte er mir immer, ich wäre so häßlich, daß man mich nur mit einem Auge ansehen könnte, sonst hielte man es nicht aus; und wenn ich ihm in den Weg kam, kniff er ein Auge zu, bald das eine, bald das andere. Um sie zu schonen, wie er sagte. Die Grimassen, die er dabei machte, waren zu komisch, daß ich nicht aufhören konnte zu lachen, und die Großmutter lachte auch; aber sie ärgerte sich doch ein bißchen. Das ließ sie übrigens nie an ihm aus, sondern an mir, wie ich denn überhaupt, um die Wahrheit zu sagen, viel von ihr ausgestanden habe; denn sie war rasch und zornig, obwohl sonst eine herrliche Frau, die ich bis an mein Lebensende lieben und verehren werde.«

      »Empfanden Sie das Benehmen des Angeklagten nicht als unzart?« erkundigte sich der Vorsitzende.

      »Bewahre!« sagte Frau Schmid. »Wenn einem auf solche Weise gesagt wird, daß man häßlich ist, glaubt man hübsch zu sein. An Heiraten habe ich nie gedacht, er hatte ja eine Frau, und noch dazu eine, die ich schwärmerisch verehrte. Die Großmutter gewann sie erst allmählich lieb, dann aber war sie fast mehr in sie als in den Doktor verliebt. Anfangs hatte sie allerlei an ihr auszusetzen: sie wäre zu alt für den Doktor – tatsächlich zählte sie ein paar Jahre mehr –, und namentlich wäre sie nicht feurig genug für einen so hübschen und reizenden Mann. Ihr Gesicht wäre nicht übel, wenn man genau zusähe, aber ihre Augen wären zu sanft und dadurch langweilig. Immer gleiche Freundlichkeit wäre wie Milchbrei; müßte man den täglich essen, würde einem übel. Dagegen ein gut gepfeffertes und gezwiebeltes Gulasch würde einem nie zuwider. Nur eins ließ meine Großmutter an ihr gelten: das war ihr Nacken. Die arme Frau trug nämlich immer den Hals frei, obschon das damals nicht so in der Mode war wie heutzutage, und wenn sie durch den Garten ging, leicht, wie wenn sie Flügel an den Füßen hätte, sagte meine Großmutter: ›Übrigens gefällt sie mir nicht, aber ich möchte sie einmal auf den Nacken küssen.‹

      Eines Tages, es muß im Oktober gewesen sein, weil wir die Trauben abgenommen hatten, war die Großmutter besonders schlechter Laune wie jedes Jahr bei der Traubenernte. In der Zwischenzeit bildete sie sich nämlich ein, daß sie süß wären, und kam dann die Zeit heran, waren sie doch wieder sauer. Morgens beim Frühstück gab sie mir eine Ohrfeige, weil ich die Kaffeetasse umgeworfen hatte. Das heißt, sie hatte mir einen Stoß gegeben, aber sie sagte, das wäre keine Entschuldigung, denn ich hätte sie dumm angeglotzt. Bei der Gelegenheit sagte sie mir auch, wenn ich wenigstens gescheit wäre, so möchte ich hingehen, aber häßlich und dumm, da könnte es einen nicht wundern, daß der Doktor mich nicht genommen habe; daß er mich als unverheirateter Mann gar nicht gekannt hatte und mich aus dem Grunde gar nicht hätte heiraten können, leuchtete ihr niemals ein. In der Küche stellte ich mich auch an wie ein Tölpel, sagte sie, und doch hinge vom Kochen das Glück der Ehe ab, und daß sie große Stücke darauf hielt, danke ich ihr noch tagtäglich, wenn mein Mann sagt, in den feinsten Hotels von Wien und Prag schmeckte es ihm nicht so gut wie zu Hause, und doch ist er weit herumgekommen und versteht sich darauf.

      An dem Tage nun wollte ich einen Risotto machen, und weil ich schon einmal einen unter der Aufsicht der Großmutter gemacht hatte, dachte ich, dabei würde es mir gewiß nicht fehlen. Ich schnitt also meine Zwiebeln und Leber und alles und richtete das Zeug an, und plötzlich fiel mir ein, daß ich Hunger hätte und daß gewiß noch eine Traube hängengeblieben wäre, die ich mir holen könnte, ohne daß die Großmutter es merkte. Ich schüttete noch ein wenig Fleischbrühe nach und dachte, auf die Art könne ich es ruhig eine Weile gehenlassen. Eigentlich nämlich muß der Risotto fortwährend gerührt werden, und das wußte ich gut genug; aber ein bißchen keck und leichtsinnig war ich schon. Jetzt kann ich das nicht mehr begreifen, aber in der Jugend kommt man unversehens von einem aufs andere, wenn man sich die Zukunft ausmalt: Verehrer, Körbe, Hochzeit und so weiter, und ich vergaß über solchen Träumereien wahrhaftig das Mittagessen. Auf einmal steht die Großmutter vor mir, in der Nachtjacke, das Gesicht rot wie ein glühender Ofen, und schreit: ›Da steht sie und maust, die Dirne, die mir den ganzen Risotto verbrannt hat!‹ Wahrhaftig, ich roch es selbst durch das offene Küchenfenster, unter dem wir standen, und unbegreiflich ist es, daß ich es vorher nicht gemerkt hatte. Und dann fiel sie über mich her, griff mit der einen Hand in meine Haare und schlug mit der anderen so auf mich los, daß mir zumute war, als hätte mich der Wirbelwind gefaßt und drehte sich mit mir im Kreise herum. Weh tat es mir nicht, dazu war ich zu erstaunt. Aber noch viel mehr erstaunte ich, als plötzlich die Großmutter ihrerseits von einem Sturmwind erfaßt und zurückgerissen wurde und Frau Dr. Deruga zwischen uns stand, wie der Engel mit dem feurigen Schwerte, der Adam und Eva aus dem Paradiese trieb, mit Augen, die nicht blau wie sonst, sondern schwarz waren und knisterten, so kam es mir nämlich vor in meiner Erregung.

      ›Lassen Sie das Kind los, Sie abscheuliche, gottlose Hyäne!‹ rief sie so laut und hart, wie sie mit ihrer weichen Stimme konnte; und nach einer kleinen Pause sagte sie ein wenig weicher und gelinder: ›Megäre, wollte ich sagen.‹ Wie sie das gesagt hatte, kam es ihr wohl selbst ein wenig komisch vor, daß sie in den Mundwinkeln zu lachen anfing, und dann lachte die Großmutter geradeheraus, und wie ich das hörte, lachte ich dermaßen, daß ich ordentlich kreischte, und fiel der Frau Doktor um den Hals, der die Tränen aus den Augen sprangen vor Lachen.«

      Während dieser Erzählung beobachteten sowohl die Richter wie Dr. Bernburger in unauffälliger Weise den Angeklagten, in dessen Mienen sich deutlich ausprägte, wie er die wiedererstehende Vergangenheit miterlebte, seine länglichen, schöngeschnittenen Augen erglänzten wie die Schuppen eines silbernen Fisches. Er schien seine Lage und Umgebung vollständig vergessen zu haben und sagte unbefangen zu der alten Freundin: »Arme Marmotte« (so nannte er seine Frau), »arme, gute, feige Person! So hatte sie später ihr Junges gegen mich verteidigt, das natürlich seine Prügel ebenso verdiente wie Sie damals, Brutta. Aber erzählen Sie weiter, erzählen Sie: Was tat die Großmutter?«

      »Der


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