Der Fall Deruga. Ricarda Huch

Der Fall Deruga - Ricarda Huch


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Rede, und da ich von ihm keine genügende Auskunft bekam, reiste ich hierher, um den Ursprung des infamen Gerüchts kennenzulernen.«

      »Es mußte Ihnen mitgeteilt werden«, fiel Dr. Zeunemann ein, »daß das Gericht bereits beschlossen hätte, die Anklage auf Mord gegen Sie zu erheben, und daß Sie eine etwaige Beleidigungsklage bis zur Beendigung des Prozesses zu verschieben hätten. Wenn Ihr erstes Auftreten, wie ich nicht unterlassen will zu bemerken, den Schein der Schuldlosigkeit erwecken konnte, so belastete Sie hingegen Ihr Verhalten dem Untersuchungsrichter gegenüber in bedenklicher Weise. So haben Sie zuerst auf die Frage, wo Sie vom 1. bis 3. Oktober gewesen wären, die Antwort verweigert. Dann haben Sie erzählt, Sie wären in der Absicht, sich das Leben zu nehmen, fortgefahren, an einem beliebigen Haltepunkt ausgestiegen und dann aufs Geratewohl querfeldein gegangen, bis Sie in eine ganz einsame Gegend gekommen wären. An einem Flusse hätten Sie lange gelegen und mit sich gekämpft, bis Sie darüber eingeschlafen wären. Nach vielen Stunden festen Schlafes wären Sie ernüchtert aufgewacht, hätten sich noch eine Weile herumgetrieben und wären dann heimgefahren. Schließlich tauchte die Geschichte von der geheimnisvollen Dame auf. Der Born der Phantasie sprudelt sehr ergiebig bei Ihnen.«

      »Nicht so, wie Sie meinen«, sagte Deruga. »Ich wollte nur den Untersuchungsrichter ärgern und kann wohl sagen, daß mir das gelungen ist. Er hat beinah Nervenkrämpfe bekommen.«

      Dr. Zeunemann ließ eine Pause verstreichen, bis das Gelächter im Publikum verstummt war, und sagte dann: »Es wundert mich, daß ein Mann in Ihrer Lage, in Ihrem Alter und von Ihrem Verstande sich so kindisch benehmen mag – oder so töricht, denn vielleicht waren Ihre verschiedenen Angaben auch nur ein Verfahren, darauf zugeschnitten, unsicher zu machen und irrezuführen.«

      »Sind Sie schon einmal von einem täppischen Untersuchungsrichter ausgefragt worden?« fragte Deruga. »Nein, wahrscheinlich nicht. Also können Sie nicht wissen, wie Sie sich in solcher Lage benehmen würden. Allerdings vermutlich vernünftiger als ich. Sie haben eine beneidenswerte Konstitution. Sie sind so recht ein Musterbeispiel, wie der gesunde Mensch sein soll. Alle Erschütterungen durch häßliche Eindrücke, Fragen, Zweifel und Leidenschaften werden bei Ihnen durch eine tadellose Verdauung geregelt, so daß Sie sich immer im stabilen Gleichgewicht befinden; ich dagegen bin unendlich reizbar.«

      Dr. Zeunemann hatte versucht, den Angeklagten zu unterbrechen, aber ohne genügenden Nachdruck. »Sie haben wohl auch mehr Ursache, unruhig zu sein, als ich«, sagte er jetzt mit leichter Ironie. »Vielleicht würden Sie sich wohler fühlen, wenn Sie es einmal mit vollkommener Offenheit versuchten, anstatt sich und uns durch Ihre Winkelzüge zu reizen.«

      »Sie, Herr Präsident, will ich nicht ärgern, darauf können Sie sich verlassen«, sagte Deruga mit einem freundlich beschwichtigenden Tone, wie man ihn etwa einem Kinde gegenüber anschlägt.

      »Warten Sie im Vorsaal des ersten Stockes auf mich«, flüsterte Justizrat Fein seinem Klienten zu, als gleich darauf die Sitzung aufgehoben wurde. Von dort aus gingen sie zusammen durch ein rückwärtiges Portal in die Anlagen, die auf eine stille Straße ohne Geschäftsverkehr führten. Vor einem mit Gesträuch bewachsenen Hange blieb der Justizrat stehen, stocherte mit der Spitze seines Regenschirmes in der alten, feuchtverklebten Blätterdecke und sagte: »Da muß es bald Schneeglöckchen und Krokus geben; ich will ihnen den Weg ein wenig frei machen.«

      »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte Deruga, den Justizrat am Arm ziehend. »Die finden ihren Weg ohne Sie. Sagen Sie, kann ich heute nachmittag, während der Sitzung, nicht lesen oder noch lieber schlafen? Das Zeug langweilt mich unbeschreiblich; Sie könnten mir ja einen Stoß geben, wenn ich mich betätigen muß.«

      »Machen Sie keine Dummheiten«, sagte der Justizrat; »heute nachmittag wird wahrscheinlich der Hofrat von Mäulchen vernommen, der sehr schlecht für Sie aussagen wird. Sie müssen also aufpassen, ob Sie ihm nicht Ihrerseits etwas am Zeuge flicken können.«

      »Am Zeuge flicken!« rief Deruga aus. »Umbringen möchte ich ihn. Ich hasse diesen Menschen, vielmehr diesen rosa Wachsguß über einer Kloake.«

      »Hören Sie, Deruga«, sagte der Justizrat. »Ich verstehe Sie öfter nicht, doch das am wenigsten, wie Sie einem Menschen Geld schuldig bleiben mochten, den Sie haßten. Sie hätten doch das Geld auch von anderer Seite haben können, zum Beispiel von dem guten Verzielli.«

      »Wahrscheinlich hätte es Ihr Ehrgefühl verletzt, einem verhaßten Menschen Geld zu schulden«, sagte Deruga. »Sehen Sie, bei mir ist das anders. Mir machte es Vergnügen, zu sehen, was für Angst er um seine Taler hatte und wie er sich quälte, die Angst nicht merken zu lassen, sondern den Anschein zu wahren, als wäre es ihm ganz gleichgültig. Denn er will erstens für unermeßlich reich und zweitens für sehr weitherzig in Geldsachen gelten. Hätte ich Geld im Überfluß gehabt, würde ich ihn wahrscheinlich doch nicht ausbezahlt haben, um ihn zappeln zu lassen.«

      »Ich glaube, Sie können fürchterlich hassen«, sagte der Justizrat nachdenklich, indem er den Doktor nicht ohne Bewunderung von der Seite betrachtete.

      Dieser lächelte herzhaft und ausgiebig wie ein Kind. »Das kann ich allerdings«, sagte er. »Ich möchte manchmal einem ein Messer im Herz umdrehen, nur weil mir seine Mundwinkel nicht gefallen. Ich will mich aber heute nachmittag ihnen zuliebe zusammennehmen, so gut ich kann.«

      »Ja, darum bitte ich«, sagte der Justizrat, »ich fühle mich doch etwas verantwortlich für Sie.«

      Hofrat von Mäulchen erschien in gewählter Kleidung, in einen angenehmen, mondänen Duft getaucht, mit dem leichten und sicheren Gang dessen, den allgemeine Beliebtheit trägt, im Schwurgerichtssaale. Die Eidesformel, die der Präsident ihm vorsprach, wiederholte er mit liebenswürdiger Gefälligkeit und einem leicht fragenden Ausklang, so, als wolle er sich bei jedem Satz vergewissern, ob es dem Vorsitzenden und dem lieben Gott so auch recht wäre.

      »Der Angeklagte«, begann Dr. Zeunemann das Verhör, als alle Förmlichkeiten abgetan waren, »ist Ihnen seit Mai 19.., also seit fünf Jahren, sechstausend Mark schuldig. Wollen Sie, bitte, erzählen, wie Sie den Angeklagten kennenlernten und wie es kam, daß er das Geld von Ihnen borgte!«

      »Beides ist schnell getan«, sagte der Hofrat. »Ich lernte Deruga im ärztlichen Verein kennen, außerdem hat er mich gelegentlich einer kleinen Wucherung in der Nase behandelt. Kollegen empfahlen ihn mir, weil er eine besonders leichte Hand habe, was meine eigene Erfahrung bestätigt hat. Es handelte sich bei mir allerdings um einen sehr einfachen Fall, aber auch darin kann man ja seine Fähigkeiten beweisen. Gewisse kleine Originalitäten und Wunderlichkeiten hatte er an sich, zum Beispiel erinnere ich mich, daß er mich immer in der Erwartung hielt, als käme etwas außerordentlich Schmerzhaftes, was doch gar nicht der Fall war. Ich habe sagen hören, daß er nach Belieben, sagen wir nach Laune, die Patienten ganz schmerzlos oder sehr grob behandelte. Aber das gehört eigentlich nicht hierher, und soweit meine persönliche Erfahrung reicht, kann ich ihn als Arzt nur loben. Als ich nun gelegentlich eine Bemerkung über die schäbige Ausstattung seines Wartezimmers machte, sagte er mir, er habe kein Geld, um sich so einzurichten, wie er möchte, worauf ich ihm einem augenblicklichen Gefühl folgend, so viel anbot, wie er brauchte. Ich bin vielleicht kein sehr besonnener Rechner«, schaltete der Hofrat mit einem Lächeln ein, »aber in diesem Falle, einem Kollegen und tüchtigen Arzt gegenüber, glaubte ich gar nichts zu riskieren.«

      »Hat der Angeklagte das Geld für eine neue Einrichtung verwendet?« fragte der Vorsitzende.

      »Darüber kann ich aus eigener Anschauung nichts sagen«, antwortete der Hofrat. »Es wurde mir später einmal zugetragen, geschwatzt wird ja viel, die Sessel seines Wartezimmers würden immer schäbiger; begreiflicherweise habe ich es aber vermieden, ihn aufzusuchen und mich darüber zu unterrichten.«

      »Wollen Sie sich dazu äußern?« wendete sich der Vorsitzende gegen Deruga. »Haben Sie sich für das geliehene Geld Ihr Wartezimmer neu eingerichtet?«

      »Gehört das hierher?« fragte Deruga. »Ich glaubte immer, man könnte sein Geld verwenden, wie man wolle, einerlei, ob es geliehen oder gestohlen ist.«

      »Sie verweigern also die Antwort?«

      »Soviel ich mich erinnere«, sagte Deruga


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