Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Maxime durch ihr ersticktes Lachen, durch die hingeworfenen zweideutigen Worte und die koketten Geberden und Mienen, die sie vor diesem frühreifen Kinde zeigten. Ein Zug stark aristokratischer Lüsternheit war da mit im Spiel. Alle Drei, in ihrem von der Leidenschaft durchglühten, geräuschvollen Leben, machten Halt bei der reizenden Verderbtheit dieses halbwüchsigen Jungen, als wäre dieselbe ein seltenes und gefahrloses Gewürz, welches ihren Gaumen reizt. Sie ließen ihn gewähren, wenn er ihre Kleider berührte, mit den Fingern über ihre Schultern strich, sobald er ihnen in's Vorzimmer folgte, um ihnen beim Anlegen ihrer Ueberwürfe behilflich zu sein. Sie gaben ihn von Hand zu Hand und lachten wie toll, wenn er ihnen das Handgelenk an der Innenseite küßte, wo die Haut sich so zart und warm anfühlt; dann wieder gaben sie sich ein mütterliches Ansehen und lehrten ihn die Kunst, ein schöner Mann zu sein und den Damen zu gefallen. Er bildete ihr Spielzeug; er war ihnen ein Männchen mit sinnreichem Mechanismus, das küssen und den Hof machen konnte, das die liebenswürdigsten Laster hatte, das trotz alledem ein Spielzeug, ein Hampelmännchen blieb, vor dem man sich nicht zu sehr, nur gerade so weit ängstigte, daß man bei der Berührung seiner kindlichen Hand einen sehr angenehmen Schauder verspürte.
Als Maxime neuerdings zur Schule gehen sollte, kam er auf das Bonaparte-Lyceum, Dies war das Lyceum der eleganten Welt, welches Saccard für seinen Sohn wählen mußte. Trotz seiner Weichlichkeit und Leichtfertigkeit war der Knabe hochintelligent; doch verwendete er seine Intelligenz auf ganz andere Dinge als auf klassische Studien. Dessen ungeachtet war er ein korrekter Schüler, der niemals zu den nichtsnutzigen Faulenzern herabsank, sondern sich an die gutgekleideten, kleinen Herren hielt, von denen man nichts Schlimmes sagte. Seine Jugend äußerte sich bei ihm blos in einer wahren Verehrung für die Toilette. Paris öffnete ihm die Augen und machte einen schönen jungen Mann aus ihm, dem die stets nach der neuesten Mode geschnittenen Kleider wie angegossen am Leibe saßen. Er war der Musterstutzer seiner Klasse, in welcher er sich wie in einem Salon einfand, mit eleganten Schuhen und tadellosen Handschuhen, herrlichen Kravaten und Hüten. Solcher junger Herrchen gab es in seiner Klasse etwa zwanzig, die gleichsam einen aristokratischen Verband bildeten, sich beim Verlassen des Schulgebäudes Havannazigarren aus Zigarrentaschen mit goldenen Schließen anboten und sich ihre Bücher durch einen livrirten Diener nachtragen ließen. Maxime hatte seinen Vater bewogen, ihm einen Tilbury und einen kleinen kräftigen Rappen zu kaufen, der die Bewunderung und das Entzücken seiner Kameraden bildete. Er führte selbst das Gespann; auf dem Rücksitz hinter ihm saß ein Lakai mit untergeschlagenen Armen und der an ein Ministerportefeuille erinnernden Schultasche aus kastanienbraunem Leder auf den Knieen. Und man mußte sehen, mit welcher Leichtigkeit, Uebung und Anmuth er in zehn Minuten aus der Rue de Rivoli nach der Rue du Havre kam, sein Pferd hart vor dem Thor des Lyceums anhielt und dem Diener mit den Worten: »Jacques, um halb fünf Uhr!« die Zügel hinwarf. Die Ladeninhaber in den umliegenden Häusern waren entzückt von der köstlichen Anmuth dieses Blondkopfes, den sie regelmäßig jeden Tag zweimal mit seinem Wägelchen anlangen und abfahren sahen. Bei der Heimfahrt nahm er zuweilen einen Freund mit sich, den er vor dessen Thür absetzte. Dann rauchten die beiden Kinder Zigarren, betrachteten die Frauen und bespritzten die Passanten mit Koth, als kämen sie vom Wettrennen zurück. Es war das eine wunderliche kleine Welt von Stutzern und Gecken, die man täglich in der Rue du Havre anlangen sah, wo sie in ihren geckenhaften Anzügen den reichen, blasirten Mann spielten, während die »Hefe« der Anstalt, die wirklichen Schüler, schreiend und lachend daherkamen, sich gegenseitig stießen, mit den schweren Schuhen das Pflaster stampften und ihre Bücher an langen Riemen über den Rücken herunterhängen hatten.
Renée, die ihre Rolle als Mutter und Erzieherin ernst nehmen wollte, war entzückt von ihrem Schüler. Sie vernachlässigte thatsächlich nichts, um seine Erziehung zu vervollkommnen. Gerade zu jener Zeit hatte sie schweren Kummer und vergoß sie manche Thräne; – ein Liebhaber hatte sie verlassen, um seine Verehrung der Herzogin von Sternich zu Füßen zu legen und die Sache hatte ungeheures Aufsehen erregt. Sie träumte davon, daß Maxime ihr Trost sein werde; sie wurde alt, bemühte sich, recht mütterlich zu sein und wurde zum absonderlichsten Mentor der Welt. Häufig blieb der Tilbury Maxime's daheim, denn Renée holte den Stiefsohn mit ihrer großen Karosse ab. Die braune Büchertasche wurde unter den Sitz geschoben und dann fuhr man in's Bois, wo sie ihm einen Vortrag über das kaiserliche Paris hielt, welches noch ganz glücklich und in heller Begeisterung über diesen Schlag mit dem Zauberstabe war, welcher aus den Hungerleidern und Handlangern von gestern große Herren und Millionäre gemacht hatte, die prahlerisch auf ihren Geldsäcken saßen. Der Knabe aber fragte fast immer nur nach den Frauen und da sie sich ihm gegenüber sehr frei aussprach, so lieferte sie ihm eingehende Details: Frau von Guende war dünn, aber vorzüglich gebaut; die sehr reiche Gräfin Vanska war eine Straßensängerin gewesen, bevor sie sich von einem Polen heirathen ließ, der sie mit Schlägen traktierte, wie man behauptete; und was die Marquise d'Espanet und Susanne Haffner betraf, so waren die Beiden unzertrennlich und obgleich sie ihre vertrauten Freundinen waren, so fügte Renée mit zusammengekniffenen Lippen, als wollte sie nicht mehr sagen, hinzu, daß man sich über Beide recht unsaubere Dinge erzähle. Auch die schöne Frau von Lauwerens war sehr kompromittirend, hatte aber so schöne Augen, und Jedermann wußte, daß soweit es sich um ihre Person handle, man keinen Tadel vorbringen könne, obgleich sie sich zuviel mit den Händeln der armen kleinen Frauen abgibt, mit denen sie verkehrt: Frau Daste, Frau Teissière, die Baronin von Meinhold. Maxime wünschte die Porträts dieser Damen zu besitzen; er füllte mit denselben ein Album, welches im Salon auf einem Tischchen lag. Um seine Stiefmutter mit der lasterhaften Schlauheit, die den Grundzug seines Charakters bildete, in Verlegenheit zu bringen, verlangte er von ihr Aufschlüsse über Dirnen, wobei er sich den Anschein gab, als sähe er sie für vornehme Damen an. Moralisirend und ernst erwiderte ihm Renée, daß dies verabscheuungswürdige Geschöpfe seien, denen er sorgfältig ausweichen müsse: dann aber vergaß sie sich und sprach von denselben wie über Personen, die sie genau kannte. Einen besonderen Genuß bereitete es dem Knaben, wenn er die Sprache auf die Herzogin von Sternich bringen konnte. So oft der Wagen derselben im Bois an dem ihrigen vorüberfuhr, begann er von der Herzogin zu sprechen, und zwar mit einer boshaften Schadenfreude und einem Seitenblick auf seine Stiefmutter, welcher zur Genüge bewies, daß er das letzte Abenteuer derselben kannte. In trockenem Tone fiel dann Renée über ihre Rivalin her und zerpflückte dieselbe erbarmungslos; wie alt die arme Frau wurde! Sie schminkte sich, hatte Liebhaber in jedem ihrer Kleiderschränke verborgen, und habe sich einem Kammerherrn hingegeben, um in das kaiserliche Bett zu gelangen. So ging es in einem Zuge erbarmungslos fort, während Maxime, um sie zu ärgern, die Herzogin für eine entzückende Frau erklärte. Derartige Lektionen erhöhten die Intelligenz des Knaben ganz ungemein, umsomehr, als die junge Erzieherin dieselben überall wiederholte, im Salon, im Bois, im Theater. Der Schüler machte bedeutende Fortschritte.
Maxime hatte für sein Leben gern mit Frauengewändern, für den weiblichen Leib bestimmten Toilettesachen zu schaffen. Immer blieb etwas vom Mädchen an ihm haften, dank seinen zarten länglichen Händen, seinem bartlosen Gesichte, seinem weißen, vollen Halse. Renée besprach sich ganz ernsthaft über ihre Toiletten mit ihm. Er kannte die guten Schneider der Hauptstadt, urtheilte sachverständig über dieselben und sprach über die Symmetrie eines Hutes, über die Logik einer Toilette wie irgend eine Frau. Als er siebzehn Jahre alt geworden, gab es keine Modistin, die er nicht ergründet, keinen Schuhmacher, den er nicht bis in's Innerste studiert hätte. Dieser merkwürdig frühreife Junge, der während der englischen Stunde die Prospekte durchlas, welche ihm sein Parfumlieferant jeden Freitag zugehen ließ, hätte eine brillante Abhandlung über das ganze elegante Paris, Klienten und Lieferanten mitinbegriffen, zu schreiben verstanden, in einem Alter, da die Provinzschulknaben noch keine Magd anzusehen wagen. Häufig brachte er vom Lyceum heimkehrend, in seinem Tilbury einen Hut, eine Seifenschachtel, irgend ein Geschmeide mit, welches seine Stiefmutter Tags vorher bestellt hatte. In seinen Taschen war stets ein Endchen parfumirter Spitzen zu finden.
Sein Höchstes war aber, wenn er Renée zu dem berühmten Worms, dem genialem Schneider begleiten durfte, vor welchem die Mode-Königinen des zweiten Kaiserreiches auf den Knieen lagen. Der Salon des großen Mannes war geräumig, elegant eingerichtet und mit breiten Divans versehen. Mit einer gewissen religiösen Erregung setzte er den Fuß in denselben. Die weiblichen Toiletten besitzen unleugbar ihren eigenen Duft; Seide, Satin, Sammt und Spitzen vermengen ihren zarten Hauch mit dem der Haare und bernsteinartig angehauchten Schultern