Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
nachdem es mißbraucht und besudelt worden, mitten durch die schlafende Stadt. Wenn Paris in fieberhaftem Schlummer lag, konnte man noch mehr als während des athemlosen Jagens des Tages die geistige Zerrüttung, den vergoldeten wollüstigen Alpdruck einer Stadt beurtheilen, die toll war ob des eigenen Fleisches, des eigenen Goldes. Bis Mitternacht vernahm man das Singen der Geigen; dann wurden die Fenster dunkel und die Schatten senkten sich über die Stadt, Es war, als befände man sich in einem ungeheuren Alkoven, wo die letzte Kerze ausgelöscht, das letzte Schamgefühl abgestreift worden. Inmitten der herrschenden Dunkelheit war nichts weiter zu vernehmen, als ein mächtiges Keuchen der tollen und müden Liebe, während die am Ufer des Flusses gelegenen Tuilerien ihre Arme wie zu einer riesenhaften Umarmung in die Finsterniß hinausstreckten.
Saccard hatte den Bau seines Hôtels am Monceau-Parke auf einem der Stadt gestohlenen Grundstücke beendet. Er hatte sich im ersten Stockwerke desselben ein prächtiges, in Gold und Palissander gehaltenes Arbeitszimmer eingerichtet, mit hohen Bibliothekschränken, in welchen man lauter Aktenbündel, doch kein einziges Buch sah. Die in die Mauer eingefügte eiserne Kasse wölbte sich daselbst gleich einem stählernen Alkoven, groß genug, um in ihrem Inneren die Liebesergüsse einer Milliarde zu beherbergen. Sein Vermögen breitete sich schamlos in derselben aus. Alles schien ihm zu gelingen. Als er die Rue de Rivoli verließ, seinen Haushalt vergrößerte und seine Ausgaben verdoppelte, sprach er vor seinen vertrauten Freunden von bedeutenden Gewinnsten, die er letzthin wieder erzielt. Seiner Angabe nach warf ihm seine Verbindung mit den Herren Mignon und Charrier ungeheure Summen ab; seine Spekulationen mit Häusern und Baugründen schlugen besser ein als je und was gar den Crédit Viticole betraf, so war das eine Kuh, deren Milch niemals erschöpft werden konnte. Er hatte eine Art, seine Reichthümer herzuzählen, welche seine Zuhörer betäubte und sie am klaren Sehen hinderte. Er näselte mehr denn je, entzündete mit seinen kurzen Sätzen und nervösen Bewegungen ein wahres Feuerwerk, welches die Millionen in leuchtenden Garben emporsandte und die ungläubigsten Gemüther blendete. Dieser lebhaften Mimik des reichen Mannes verdankte er zum größten Theil seinen Ruf eines glücklichen Spielers. In Wirklichkeit hatte Niemand Kenntniß davon, ob er ein solides und sicheres Kapital besitze. Seine verschiedenen Geschäftsfreunde, deren jeder seine Situation kannte, so wie dieselbe ihm gegenüber beschaffen war, erklärten sich sein ungeheures Vermögen in der Weise, daß sie meinten, er habe ein niemals versagendes Glück in den anderen, ihnen nicht bekannten Spekulationen. Er gab eine unsinnige Menge Geld aus; seine Kasse wurde nicht müde, bedeutende Summen herzugeben, ohne daß es gelungen wäre, die Quellen dieses goldenen Flußes zu entdecken. Es war der reine Wahnsinn, eine Geldmanie; die Goldstücke flogen haufenweise zum Fenster hinaus, die Kaffe wurde jeden Abend bis zum letzten Sou geleert, füllte sich aber des Nachts immer wieder, ohne daß man gewußt hätte wieso, und lieferte niemals so bedeutende Beträge, als wenn Saccard behauptete, die Schlüssel derselben verloren zu haben.
In diesem Reichthum, welcher rauschend und tosend gleich einem Wildbach über seine Ufer trat, wurde Renée's Mitgift mitgerissen, ertränkt. Die junge Frau, die in den ersten Tagen mißtrauisch gewesen und ihr Vermögen selbst verwalten wollte, wurde alsbald müde, sich mit Geschäften zu befassen; sodann auch kam sie sich neben ihrem Gatten arm vor und als sie sich in Schulden stürzte, mußte sie ihre Zuflucht dennoch zu ihm nehmen, ihn um Geld angehen. Bei jeder neuen Rechnung, die er mit dem Lächeln eines Mannes bezahlte, der Nachsicht mit den menschlichen Schwächen hat, lieferte sie sich ihm immer mehr aus, übergab sie ihm eine Anzahl Rententitres und betraute ihn damit, Dies oder Jenes zu verkaufen. Als sie das Hotel am Monceau-Parke bezogen, war sie fast aller Mittel bereits entblößt. Er trat an die Stelle des Staates und bezahlte ihr die Zinsen für die 100 000 Francs, die noch von dem Hause in der Rue de la Pepinière herrührten; andererseits hatte er sie überredet, ihre Besitzung in der Sologue zu verkaufen, um den Erlös für dieselbe in einem großen Unternehmen anzulegen, welches wie er behauptete, mit größter Sicherheit glänzenden Erfolg verhieß. Auf diese Weise war ihr nichts weiter in Händen geblieben, als der Grundbesitz in Charonne, welchen sie unter keinen Umständen veräußern wollte, um die treffliche Tante Elisabeth nicht zu betrüben. Und selbst hierbei plante er einen Geniestreich, bei welchem ihm sein alter Sündengenosse Larsonneau behilflich sein sollte. Bei Alledem blieb sie ihm verpflichtet, denn wenn er sich auch ihres Vermögens bemächtigt hatte, so bezahlte er ihr doch fünf- oder sechsfach das Erträgniß desselben. Die Zinsen der hunderttausend Francs und des für den Verkauf der Grundstücke erzielten Betrages beliefen sich kaum auf neun- oder zehntausend Francs, was gerade hinreichte, um die Rechnungen ihres Wäsche- und Schuhlieferanten zu begleichen. Er gab ihr das Fünfzehn- und Zwanzigfache dieses Bettels. Er hätte acht Tage lang gearbeitet, um ihr hundert Francs zu stehlen und ihre Ausgaben bestritt er mit königlicher Freigebigkeit. Und so hegte denn auch sie gleich Jedermann die höchste Achtung für diese großartige Kasse ihres Gatten, ohne dem Urquell dieses goldenen Flusses nachzuspüren, den sie vor Augen hatte und in den sie sich jeden Morgen von Neuem stürzte.
In dem Hôtel am Park Monceau trat die wahnsinnige Krise, der leuchtende Triumph ein. Die Saccards verdoppelten die Zahl ihrer Wagen und Pferde; sie hatten eine Armee von Dienstleuten, welche sie eine dunkelblaue Livrée mit mastixfarbenen Beinkleidern und schwarz und gelb gestreiften Westen tragen ließen, welche sich ein wenig streng ausnahm, welche der Finanzmann aber gewählt hatte, um ernst zu erscheinen, was einer seiner liebsten Träume war. Schon die Außenseite ihres Hauses verrieth den Luxus, welchen sie entfalteten und an den Tagen, da die großen Diners gehalten wurden, gelangte die volle Pracht des Haushaltes zur Geltung. Der ewige Luftzug des zeitgenössischen Lebens, welcher die Thüren im ersten Stockwerk der Rue de Rivoli in fortwährender Bewegung erhalten, war im Monceau-Park zu einem wahren Orkan geworden, der die Wände umzuwerfen drohte. Inmitten dieser fürstlichen Gemächer, längs der vergoldeten Treppenbrüstung, auf den schweren Smyrnateppichen, in diesem feenhaften Palais des Emporkömmlings verspürte man den Geruch des Mabille-Gartens, schleppten sich die nachlässigen Tanzschritte der modernen Quadrille dahin, fanden sich die Vertreter dieser Epoche mit ihrem blöden Lachen, ihrem ewigen Hunger und Durst ein. Es war das verrufene Haus der weltlichen Vergnügungen, frechen Zerstreuungen, dessen Fenster nur so breit schienen, um die Vorübergehenden in die Geheimnisse der Schlafgemächer einzuweihen. Mann und Frau führten einen ungezwungenen Lebenswandel vor den Augen ihrer Dienstleute. Sie hatten das Haus unter sich getheilt und bewohnten dasselbe in einer Weise, als befänden sie sich gar nicht daheim, als wären sie nach einer tollen, betäubenden Reise in ein königlich eingerichtetes Hotel gerathen, wo sie sich knapp die Zeit nahmen, ihre Effekten auszupacken, um ja so rasch als möglich den Vergnügungen dieser neuen Stadt entgegenzueilen. Sie hielten sich daselbst nur des Nachts und an den Tagen der großen Diners auf, da eine Menge Geschäfte sie fortwährend durch die Stadt zu wandern nöthigte und sie zuweilen nur für eine Stunde heimkehrten, wie man etwa zwischen zwei Geschäften schnell sein Hotelzimmer aufsucht. Renée fühlte sich daselbst unruhiger, nervöser; ihre seidenen Röcke glitten mit schlangengleichem Zischen über die dicken Teppiche, an den seidenen Causeusen vorüber; sie fühlte sich gereizt durch diese läppischen Vergoldungen, die sie umgaben, durch diese hohen, leeren Deckengewölbe, in welchen nach den stattgehabten Festlichkeiten nichts als das Lachen der jungen Dummköpfe und die Phrasen der alten Hallunken zurückblieben. Um diese Pracht zu genießen, um sich an dieser glänzenden Umgebung zu erfreuen, hätte sie sich ein höchstes Vergnügen gewünscht, welches ihre gierigen Blicke vergebens in allen Ecken des Hotels, in dem kleinen sonnenhellen Salon, in dem in üppiger Vegetation strotzenden Wintergarten suchten. Was hingegen Saccard betraf, so begann sein Traum in Erfüllung zu gehen; er empfing die Mitglieder der hohen Finanzkreise bei sich, Herrn Toutin-Laroche, Herrn von Lauwerens, ebenso große Politiker, den Baron Gouraud, den Deputirten Haffner und sogar sein Bruder, der Minister, hatte sich zwei oder drei Mal bei ihm eingefunden, um durch seine Anwesenheit zur Festigung der Stellung des großen Spekulanten beizutragen. Aber auch dieser ward gleich seiner Frau von nervösen Befürchtungen ergriffen, von einer Unruhe, die seinem Lachen einen absonderlichen Klang wie von zerbrochenen Fensterscheiben verlieh. Er wurde so erregt, so geräuschvoll in seinem ganzen Gebühren, daß seine Bekannten von ihm sagten: »Dieser verteufelte Saccard! er verdient zu viel Geld und wird noch verrückt werden!« Im Jahre 1860 erhielt er seine Auszeichnung; offenbar als Belohnung für einen geheimnißvollen Dienst, welchen er dem Präfekten erwies, indem er bei dem Verkauf eines größeren Grundbesitzes einer Dame den Strohmann abgab.
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