Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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als Stiefmama und ließ sie überall bezahlen. Diese heimliche Geldnoth bildete für sie eine Wonne mehr. Sie sann über Mittel nach, zerbrach sich den Kopf, nur damit ihr »geliebtes Kind« nichts entbehre und wenn sie von ihrem Gatten einige tausend Francs zu erhalten vermochte, so vergeudete sie dieselben mit ihrem Liebhaber in kostspieligen Thorheiten, gleich zwei Schülern, die den ersten tollen Streich anstellen. Waren sie aller Mittel entblößt, so blieben sie hübsch zu Hause und erfreuten sich an diesem großen Gebäude, an seiner neuen, glänzenden Einrichtung. Der Vater war niemals zugegen. Häufiger denn je verweilten die Liebenden am Kaminfeuer; es war Renée endlich gelungen, die eisige Leere dieser vergoldeten Zimmerdecken mit warmem Leben zu erfüllen. Dieses Haus, welches den weltlichen Vergnügungen geweiht war, hatte sich in eine Kapelle verwandelt, allwo sie im Geheimen einer neuen Religion huldigte. Maxime brachte nicht allein den grellen Ton in ihr Leben, welcher mit ihren unsinnigen Toiletten im Einklang stand; sondern er war auch der Geliebte, wie ihn dieses Haus erforderte, welches Glasscheiben in der Größe von Schaufenstern hatte und vom Speicher bis zu den Kellern mit Schnitzereien und Bildwerken bedeckt war. Er belebte diese Gipsmassen, von den beiden pausbäckigen Amoren, die im Hofe aus ihrer Muschel einen dünnen Wasserstrahl entsendeten, bis zu den großen, nackten Frauen, die mit ihren Köpfen die Erker stützten und dabei mit Aepfeln und Getreideähren spielten. Er bildete die verkörperte Erklärung des überladenen Vestibüls, des zu engen Gartens, der strahlenden Räume, in denen man zu viele Fauteuils und keinen einzigen Kunstgegenstand sah. Die junge Frau, die sich hier tödtlich gelangweilt hatte, fand mit einem Male lebhaftes Vergnügen an diesen Dingen und bediente sich derselben wie einer Sache, deren Bestimmung ihr bis dahin unbekannt gewesen. Und sie genoß ihre Liebe nicht allein in ihren Gemächern, in dem kleinen Salon mit den goldenen Knospen und im Treibhause, sondern im ganzen Hause. Schließlich gefiel es ihr sogar auf dem Divan des Rauchzimmers; sie vergaß sich daselbst und sagte, daß in diesem Raume ein unbestimmter, doch sehr angenehmer Geruch von Tabak zu verspüren sei.

      Statt eines Empfangstages hatte sie jetzt deren zwei in der Woche. Am Donnerstag erschien eine ganze Menge von Leuten, der Montag dagegen gehörte den vertrauten Freundinen. Männer wurden nicht zugelassen und nur Maxime durfte bei den im kleinen Salon stattfindenden köstlichen Unterhaltungen zugegen sein. Eines Abends hatte Renée die absonderliche Idee, ihn als Frau zu kleiden und als eine ihrer Basen vorzustellen. Adeline, Susanne, die Baronin von Meinhold und die anderen Freundinen, die zugegen waren, erhoben sich und grüßten, nicht wenig verwundert über dieses Gesicht, welches sie zu erkennen glaubten. Als sie hernach aufgeklärt wurden, lachten sie herzlich und wollten durchaus nicht zugeben, daß sich der junge Mann umkleide. Sie behielten ihn mit sammt seinen Röcken bei sich, neckten ihn und ergingen sich in allerlei zweideutigen Bemerkungen. Wenn er die Damen zur großen Thür hinausbegleitet hatte, machte er die Runde durch den Park und kehrte durch das Treibhaus zurück. Die guten Freundinen hatten niemals den leisesten Verdacht. Die Liebenden konnten gar nicht mehr vertrauter mit einander werden, als sie es bereits waren, da sie sich gegenseitig für gute Kameraden ausgaben. Und traf es sich mitunter, daß ein Bedienter dazu kam, wenn sie sich gerade umarmt hielten, so hatte das auch nichts zu bedeuten, da man daran gewöhnt war, daß Madame und der Sohn des Herrn vom Hause mit einander scherzten.

      Diese unbeschränkte Freiheit und Straflosigkeit machten sie noch kühner. Des Nachts schoben sie wohl die Riegel vor, dagegen umarmten sie sich Tags über in allen Räumen des Hotels. Wenn es regnete, so erfanden sie tausenderlei kleine Belustigungen. Das Hauptvergnügen Renée's bestand aber stets darin, im Kamin ein mächtigs Feuer anzünden zu lassen und vor demselben einzuschlummern. Sie hatte sich diesen Winter herrliche Leibwäsche anfertigen lassen. Sie trug Hemden und Morgenröcke um fabelhafte Preise; der feine Battist schien sich wie ein leichter Hauch an ihre Glieder zu schmiegen. Und in der rothen Beleuchtung der Gluth schien sie ganz nackt zu sein; die Spitzen und ihre Schultern waren gleichförmig rosig, durch das dünne Gewebe hindurch versengte die Hitze fast ihren Leib. Zu ihren Füßen kauernd, küßte ihr Maxime die Kniee, ohne gar das feine Linnen zu spüren, das die Wärme und die Farbe dieses herrlichen Körpers hatte. Der Tag neigte sich bereits seinem Ende zu, die Dämmerung verbreitete sich immer mehr in dem grauen Zimmer, während Céleste hinter ihnen ruhigen Schrittes kam und ging. Sie war ganz natürlich die Verbündete der Liebenden geworden. Als dieselben eines Morgens zu lange im Bette geblieben waren, fand sie sie dort und behielt ihr ganzes Phlegma, ihre Kaltblütigkeit bei. Die Liebenden thaten sich vor ihr keinerlei Zwang an; sie kam und ging zu jeder Zeit, ohne daß sie bei dem Geräusch der gewechselten Küsse den Kopf gewendet hätte. Sie rechneten auf sie, um im Nothfall durch sie gewarnt zu werden, ohne darum ihr Stillschweigen zu erkaufen. Céleste war ein sehr sparsames, sehr ehrbares Mädchen, welchem man keinerlei Liebschaft nachsagen konnte.

      Dessenungeachtet führte Renée keine zurückgezogene Lebensweise. Sie verkehrte in Gesellschaften, fand hieran sogar ein größeres Vergnügen als früher und nahm Maxime gleich einem blonden Pagen in schwarzem Anzuge mit sich. Die Saison bildete für sie einen einzigen großen Triumph. Niemals noch hatte sie in ihren Toiletten und Haartrachten größere Phantasie entwickelt. Größtes Aufsehen erregte sie mit einem strauchgrünen Seidenkleide, auf welchem eine ganze Hirschjagd in kunstvoller Stickerei ausgeführt war mit allen entsprechenden Attributen, als Pulverhörnern, Jagdhörnern und Hirschfängern. Sie brachte die antike Haartracht in die Mode, welche Maxime in dem kürzlich eröffneten Campana-Museum für sie kopiren mußte. Sie schien förmlich verjüngt und stand in der Blüthe ihrer aufregenden Schönheit. Die Blutschande erfüllte sie mit einer Gluth, welche in der Tiefe ihrer Augen flackerte und ihr Lachen erhitzte. Ihre Lorgnette nahm sich keck und unternehmend aus, wenn sie sie auf die Spitze ihrer Nase setzte und die anderen Frauen, ihre guten Freundinen betrachtete, die irgend einem Laster fröhnten. Ihre an einen prahlerischen Jüngling gemahnende Miene, ihr spöttisches Lächeln schien zu besagen: »Auch ich habe mein Verbrechen«.

      Maxime dagegen fand die Gesellschaften tödtlich langweilig. Er behauptete, sich nur um des guten Tones willen zu langweilen; in Wahrheit aber amüsirte er sich nirgends. In den Tuilerien, bei den Empfängen der Minister verschwand er hinter den Röcken Renée's, handelte es sich aber um irgend einen tollen Streich, so ward er wieder zum Herrn und Lehrmeister. Renée wollte das bewußte Kabinet im Café Riche wiedersehen und der breite Divan entlockte ihr ein Lächeln. Allmälig führte er sie überall hin: zu den Mädchen, auf den Opernball, hinter die Koulissen der kleinen Theater, an alle zweideutigen Orte, wo sie mit dem Laster in Berührung kommen und dabei ihr Inkognito wahren konnten. Langten sie erschöpft und ermüdet zu Hause an, so schliefen sie einander umschlungen haltend ein, mit den Schlußworten irgend eines unzüchtigen Liedes auf den Lippen, welches sie an einem jener Orte vernommen, an welchen das unfläthige Paris so reich ist. Am nächsten Tage ahmte Maxime den Schauspielern nach und auf dem Piano des kleinen Salons suchte Renée die rauhe Stimme und die Hüftenbewegungen Blanche Müllers in der »Schönen Helena« nachzuahmen. Der Musikunterricht, welchen sie im Kloster genossen, diente ihr nur dazu, die neuesten Gassenhauer zu klimpern; vor ernsteren Musikstücken empfand sie eine Art heiliger Scheu. Gleich ihr verhöhnte Maxime die deutsche Musik und er glaubte »aus Ueberzeugung« den »Tannhäuser« auspfeifen zu müssen, nur um die gepfefferten Refrains seiner Stiefmama zu vertheidigen.

      Großes Vergnügen bereitete ihnen das Schlittschuhlaufen, welches gerade sehr in der Mode war, denn der Kaiser war einer der Ersten gewesen, die das Eis des Teiches im Boulogner Wäldchen erprobt hatten. Renée bestellte bei Worms ein kompletes Polenkostüm aus Sammt und Pelzwerk; auf ihren Wunsch hatte Maxime weiche Stiefel an den Füßen und eine Mütze aus Fuchsfell auf dem Kopfe. Als sie im Bois anlangten, herrschte eine grimmige Kälte, daß ihnen Nase und Lippen prickelten, als würde ihnen der Wind feinen Sand ins Gesicht wehen. Es bereitete ihnen ein Vergnügen, daß sie froren. Im Bois war alles grau, Alles mit einer feinen Schneehülle bedeckt; die von Reif bedeckten Baumzweige glichen feinen Spitzen. Und unter dem bleichen Himmel, auf dem festen, glänzenden Eise ragten blos die Tannen der Inseln gleich Theaterdekorationen, die gleichfalls mit feinen, durchsichtigen Spitzen besetzt waren, in die Höhe. Flüchtig gleich den über dem Boden dahinschießenden Schwalben glitten sie auf der blanken Fläche dahin, eine Faust auf dem Rücken und mit der freien Hand sich gegenseitig bei der Schulter fassend. Vom Ufer schauten die Neugierigen zu. Zuweilen wärmten sie sich an den am Rande des Teiches angezündeten Feuern, worauf sie wieder davoneilten. Sie holten zu weitem Fluge aus, während ihre Augen vor Kälte


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