Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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unerhörten Erfolg hatte die Comtesse Vanska als Koralle, als man die sinnreichen Details ihrer Toilette in der Nähe bewundern konnte. Darauf trat Maxime in tadelloser Balltoilette, mit lächelnder Miene ein und sofort ward er von einer Fluth von Frauen umringt. Man ging ihm hart zu Leibe, neckte ihn mit seiner Rolle als Blume, mit seiner Leidenschaft für den Spiegel und er verrieth keinerlei Befangenheit, sondern fuhr wie entzückt über seine Persönlichkeit zu lächeln fort, ging auf die Scherze ein und gestand, daß er sich selbst anbete und die Frauen zur Genüge kenne, um sich selbst ihnen vorzuziehen. Darüber wurde noch lauter gelacht, die Gruppe wurde immer größer, während der junge Mann in diesem Meer von Schultern verloren, inmitten dieses Gewirrs flimmernder Toiletten, seinen Duft ungeheuerlicher Leidenschaft, die lasterhafte Sanftmut einer blonden Blume beibehielt.

      Als aber Renée endlich zum Vorschein kam, trat eine kurze Stille ein. Sie hatte ein neues Kostüm von so origineller Anmuth und solcher Kühnheit angelegt, daß sogar die an die Überspanntheiten der jungen Frau gewöhnten Herren und Damen ein Murmeln der Ueberraschung nicht zu unterdrücken vermochten. Sie war wie eine Bewohnerin der Insel Otahaiti gekleidet, deren Tracht offenbar eine sehr primitive ist, denn dieselbe bestand blos aus einem zart rosafarbenen Tricot, welches ihr von den Füßen bis zum Busen reichte, Schultern und Arme dagegen vollständig nackt ließ. Ueber diesem Tricot hatte sie eine einfache, kurze Mousselineblouse, die mit zwei Volants besetzt war, um die Hüften ein wenig zu verdecken. In den Haaren trug sie eine Krone aus Feldblumen, an den Fußknöcheln und um die Handgelenke goldene Reifen. Und weiter nichts. Sie war so gut wie nackt. Unter der weißen Blouse war das Tricot von den Formen des Körpers geschwellt und die reine Linie derselben fand ihre Fortsetzung von den Knieen bis zu den Achselhöhlen, nur schwach unterbrochen von den Volants, doch umso schärfer bei der leisesten Bewegung zwischen den Maschen der Spitzen hervortretend. Sie stellte eine entzückende Wilde, eine wollüstige Tochter der Barbaren dar, kaum hinter einer weißen Dunstwolke verborgen, die ihren ganzen Körper errathen ließ.

      Mit gerötheten Wangen kam Renée lebhaften Schrittes heran. Céleste hatte das erste Tricot ruinirt, die junge Frau aber in Voraussicht dieser Möglichkeit ihre Vorsichtsmaßregeln getroffen. Dieses zerrissene Tricot hatte die Verzögerung verursacht. Sie schien ihren Triumph gar nicht zu bemerken; ihre Hände brannten, ihre Augen glänzten im Fieber. Dessenungeachtet lächelte sie und antwortete kurz auf die schmeichelhaften Bemerkungen der Herren über die vollendete Schönheit, mit welcher sie die Nymphe »Echo« in den lebenden Bildern dargestellt. Hinter ihr blieb ein Schwarm schwarzer Fräcke zurück, die entzückt von der Durchsichtigkeit ihrer weißen Mousselineblouse waren. Als sie bei der Gruppe der Frauen angelangt war, welche Maxime umgaben, wurden bewundernde Bemerkungen laut und die Marquise, die sie eingehend vom Scheitel bis zu den Füßen musterte, bemerkte halblaut:

      »Sie ist herrlich gebaut.«

      Frau Michelin, deren Kostüm als indische Tänzerin sich neben dieser hauchleichten Toilette überaus schwerfällig ausnahm, preßte die Lippen zusammen, während ihr Frau Sidonie, die in ihrem Kostüme als Magierin gänzlich zusammengeschrumpft aussah, ins Ohr flüsterte:

      »Weiter läßt sich die Unanständigkeit denn doch nicht treiben, nicht wahr, mein Schatz?«

      »Gewiß nicht!« erwiderte die hübsche Brünette. »Mein Gatte wäre im höchsten Grade aufgebracht, wenn ich mich dermaßen entkleiden würde.«

      »Und mit vollem Recht!« schloß die Spitzenhändlerin.

      Die anwesenden ernsten Männer theilten nicht diese Ansicht, sondern waren ganz begeistert. Herr Michelin, den seine Frau zu so ungelegener Zeit als Beispiel anführte, gerieth vor Begeisterung ganz außer sich, nur um dem Baron Gouraud und Herrn Toutin-Laroche, die der Anblick Renée's entzückte, gefällig zu sein. Man sagte Saccard allerlei Schmeichelhaftes über die herrlichen Formen seiner Frau und er verbeugte sich ganz gerührt. Der Abend brachte ihm die Erfüllung so vieler Wünsche und abgesehen von einer gewissen Besorgniß, die zuweilen in seinen Augen aufstieg, wenn er einen raschen Blick zu seiner Schwester hinüberwarf, hätte man ihn für ganz glücklich halten können.

      »Nicht wahr, so viel hat sie uns noch nicht sehen lassen?« flüsterte Luise Maxime scherzend ins Ohr, indem sie mit den Augen auf Renée deutete.

      Gleich darauf fügte sie aber mit einem unerklärlichen Lächeln hinzu:

      »Mich wenigstens nicht.«

      Der junge Mann blickte sie unruhig an; sie aber lächelte unbefangen mit der Schelmerei eines Schulknaben, der sich über einen etwas gewagten Scherz freut.

      Der Ball nahm seinen Anfang. Die Estrade, auf welcher die lebenden Bilder dargestellt worden, hielt jetzt ein kleines Orchester besetzt, in welchem die Blechinstrumente vorherrschten und die Trompeten und Klapphörner ließen in dem idealen Walde, inmitten der blauen Bäume ihre hellen Töne erschallen. Zuerst wurde eine Quadrille nach der Melodie gespielt: »Ach, Bastian hat Stiefel an!«, die zu jener Zeit in den niedrigen Tanzlokalen sich großer Beliebtheit erfreute. Und die Damen tanzten dazu. Polka's, Walzer und Mazurka's wechselten mit den Quadrillen ab. Die sich wiegenden Paare kamen und gingen, den langen Raum ganz ausfüllend, bei den anfeuernden Klängen der Blechinstrumente emporschnellend, um bei den wiegenden Tönen der Violinen wieder sanft dahinzuschweben. Die Kostüme aus allen Zeiten und allen Ländern wirbelten in toller Buntscheckigkeit durcheinander und nachdem die Tanzweise die vielen Farben in einem kadenzirten Wirrsal durcheinander gewürfelt hatte, kamen bei gewissen Stellen des Musikstückes dieselbe Robe aus rothem Satin, dasselbe Leibchen aus blauem Sammt an der Seite desselben Frackes wieder zum Vorschein. Dann führte ein neuer Bogenstrich, ein Stoß in die Blechinstrumente die Paare in langer Reihe durch den Salon, mit den wiegenden Bewegungen eines Nachens, der unter der Gewalt eines Windes die Ankerkette gesprengt hat und nun ohne Ziel dahin treibt. Und so ging das fort, stundenlang, ohne Unterbrechung. Zuweilen näherte sich zwischen zwei Tänzen eine Dame dem Fenster, um etwas frische Luft einzuathmen, oder ein Paar zog sich in den kleinen, goldenen Salon zurück, um ein wenig auszuruhen, oder es begab sich in den Wintergarten hinab und schritt in den kühleren Alleen auf und nieder. Unter den Lauben von Schlingpflanzen, in der Tiefe des angenehmen Schattens, wohin nur einzelne abgerissene Töne des Orchesters drangen, vernahm man mitunter schmachtendes, perlendes Lachen und das Rauschen seidener Frauenkleider, von denen man blos den unteren Saum sah.

      Als man die Thür des Speisesaales öffnete, welcher zum Buffet umgewandelt war, mit einer langen Tafel in der Mitte, die mit kalten Fleischgerichten beladen war, und hohen Kredenztischen an den Wänden, entstand ein unbeschreibliches Stoßen und Drängen. Ein schöner großer Mann, der so unvorsichtig gewesen, seinen Hut in der Hand zu behalten, wurde so nachdrücklich an die Wand gepreßt, daß der unglückliche Hut mit einem dumpfen Klagelaut zusammenklappte, worüber herzlich gelacht wurde. Man stürzte sich auf das Backwerk und das getrüffelte Geflügel, wobei man sich gegenseitig die Ellenbogen rücksichtslos in die Seiten bohrte. Es war ein förmlicher Sturm; ein Dutzend Hände begegneten einander in jeder Bratenschüssel und die Dienerschaft wußte nicht, wem sie Rede stehen sollte inmitten dieser Schaar von feinen, wohlerzogenen Männern, deren ausgestreckte Arme nur die eine Furcht bezeugten, sie könnten zu spät kommen und leere Schüsseln vorfinden. Ein alter Herr gerieth in Zorn, weil kein Bordeaux vorhanden war und er seiner Behauptung nach nicht schlafen könne, wenn er Champagner getrunken.

      »Sachte, meine Herren, nur immer sachte!« ließ sich die ernste Stimme des würdigen Baptiste vernehmen. »Jedermann wird befriedigt werden.«

      Doch man achtete nicht auf ihn. Der Speisesaal war voll und noch immer drängten sich Fräcke an der Thür. Vor den Kredenzschränken standen dichtgekeilte Gruppen, die eilig aßen. Viele tranken, denen es nicht gelungen war, ein Stück Brod zu erlangen und Andere wieder schlangen die Speisen ohne zu trinken hinunter, da sie kein Glas erreichen konnten.

      »Hören Sie,« sagte Herr Hupel de la Noue, den die Herren Mignon und Charrier, die der Mythologie bereits überdrüssig geworden, zum Büffet geschleppt hatten; »wir werden gar nichts erlangen, wenn wir nicht gemeinsame Sache machen ... In den Tuilerien geht es noch weit schlimmer zu und so besitze ich hierin einige Erfahrung ... Kümmern Sie sich um den Wein, ich schaffe Fleisch herbei.«

      Der Präfekt lauerte auf eine Hammelkeule.


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