Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart
Eure Kräfte!« riefen sie sich gegenseitig zur Ermunterung zu.
Aber ihre Kräfte ließen sich nicht mehr steigern.
Ein Kugelstern wurde nach dem andern genommen – doch die Kugelsterne wurden immer größer – und es dauerte immer länger, eh die Maschinen an einem der ungeheuren Sternleiber vorbeikamen.
Und es ergriff die armen Geister eine maßlose Ungeduld; auf ihren Schultern begann es zu prickeln – den Geistern ward es immer schwerer, die alte Sternschwere auf ihren Schultern zu ertragen.
Voll Sehnsucht starrten die Ungeduldigen zu den großen Kugelsternen hinüber.
»So sollen wir werden!«
»So sehen Götter aus!«
So sagten die Geister der Rennbahn.
Aber die Götter, die immer noch ihre Perlkronen aufhatten, bekamen allmählich Gesichter – ihnen wuchsen scharfe Augen und Nasen und Bärte – und um ihren Mund begann es zu zucken.
Und plötzlich lachten die Kugelsterne grell auf, daß die Wettfahrer zusammenschraken.
Und viele Geister sprangen ab von den Maschinen und blieben zurück, denn sie verzweifelten daran, zur richtigen Zeit durchzukommen.
Die Maschinen hatten nicht gelitten; die Flügelschlitter und die Korbketten, die sich immerzu überschlugen, behaupteten abwechselnd wie am Anfange die Führung – die Bahnzüge rasselten unaufhörlich weiter, daß die Funken nur so stoben – die Luftschiffe knallten auch jetz noch ihre Schüsse in die Alleeluft – die Stelzmaschinen trabten unermüdlich weit ausgreifend dahin, und die geflügelten Räder drehten sich polternd und schwankend wie bisher, und die durchsichtigen Kugeln, in denen so viele Geister saßen, rollten auf ihren Schienen so gleichmäßig weiter, als wenn nichts los wäre – und die Harpune tat ihre Schuldigkeit – und die Kühlapparate taten eben falls ihre Schuldigkeit. –
Trotz alledem waren die Geister müde geworden und wollten bald sämtlich nicht mehr weiter fahren.
»Es hat ja keinen Zweck!« riefen sie gähnend und händeringend und ohne jedwede Spannkraft.
Jahre hatten sie gebraucht, um bis zum siebenunddreißigsten Alleestern zu gelangen.
Und schneller fahren konnten sie nicht.
Da ging denn ein gellender Pfiff durch die lange, lange Allee.
Die Wurmgeister blickten erstaunt auf.
Die Gesichter der Kugelsterne wurden dunkler und dunkler und zuletzt ganz schwarz.
Und plötzlich machten alle Kugelsterne gleichzeitig eine halbe Wendung nach rechts – und die Rennbahn brach unter betäubendem Donnergeknarr durch und durch entzwei.
Sämtliche Maschinen fielen gleich mit durch und sanken in die Tiefe. Und die Wurmgeister fielen aus den Maschinen und Wagen raus nach oben, da das Eisen schwerer ist als der Geist; einzelne Maschinen ließen allerdings ihre Geister nicht los.
Und in diese große Katastrophe blendete eine zweite Brillantensonne hinein, die noch größer war als die erste.
Und abermals sahen die Geister unzählige glitzernde Spinngewebefäden, die nun alle nach oben zu den fortziehenden Kugelsternen hinaufführten.
Die Wurmgeister fielen immer tiefer – immer tiefer – hinab.
»Aha!« sagte Knipo, »unsre Sterne lassen uns nicht los!«
Und die unzähligen Spinngewebefäden glitzerten in unzähligen Farben.
EIER!
Das wogte hin und her und schien los zu wollen und schien nicht los zu können.
»Das ist das alte Lied des Lebens – es kann sich alles nich loslösen von dem anderen – und es paßt alles nicht zusammen.«
So sprachen die Geister, während sie immer tiefer in den Nebeln der Welt versanken – in den Nebeln, die hin und her wogten und nicht fortkonnten.
Und während die Geister glaubten, wieder im Unergründlichen zu sein, zog alle Freude von ihnen fort.
Und es bildete sich eine harte Kruste um ihr ganze Wesen.
Und diese Kruste ward den Geistern sichtbar – aber sie konnten durch die Kruste durchsehen wie durch Glas.
Und es berührte die Geister nichts mehr; das ganz Durcheinander der Weltnebel ward ihnen zum Bilderspiel; die Glaskruste ließ nichts näher an die Geiste ran.
Mittlerweile wölbte sich eine jede Glaskruste und erhielt die Form von großen Eiern.
Als das die Geister bemerkten, sagten sie seufzend: »Na ja, nun dachten wir schon, bald mal Götter zu werden – und nun sind wir wieder bloß die reinen Eier. Aller Anfang ist schwer. Aber daß der Anfang immer wiederkehrt, ist noch schwerer zu ertragen.«
Müde bewegten sich die Nebelschleier.
Die Geister in ihrer Verkapselung sanken tiefer und stürzten in ein großes Meer. Es staken grade zehntausend Geister in den Glaseiern nicht mehr. –
Jetzt wirbeln die Wassermassen durcheinander – wie Viehherden, in die der Blitz schlug.
Und die zehntausend gehen unter in den aufgeregten Wassermassen und glauben, daß jetzt bald alles vorbei sein wird – das ganze lange Leben.
Aber die eiförmigen Glaskrusten halten auch das Wasser von den Geistern ab, daß sie ruhig weiterleben können, obschon sie sich nicht bewegen können – wie Gelähmte.
Die zehntausend bleiben leben, doch sie haben keine Freude am Lebenbleiben.
Die Glaseier sinken in ein helleres Wasserreich, in dem bandwurmlange dickköpfige Schlammschlangen umherschwimmen; die Schlangenkörper sind stellenweise von topasartig leuchtenden Gewändern umgeben, die sich zierlich aufbauschen und sich anschmiegen in gewundenen knittrigen Faltengebilden an die Schlangenhaut.
Die Faltengebilde, die knotenartig an vielen Stellen des Schlangenleibes haften, leuchten wie Topase, hinter denen Licht ist.
Die zehntausend wissen nicht mehr, ob sie steigen oder sinken.
Knipo, jener Geist, der nie recht weiß, ob er sich ärgert oder sich freut, befindet sich ebenfalls in einem Glasei.
Die Geister bemerken es schmerzlich, daß sie sich nicht bewegen können – die Glaskruste ist so fest – und schließt jetzt auch den Mund.
Verworrene dumpfe Töne dringen durchs Wasser – als kämen sie aus weiter Ferne.
Die Glaseier schwimmen so ruhig wie hohle Steine – die Schlammschlangen bleiben ziemlich weit ab – zu denen gesellen sich glatte Seestiere mit dicken gelben Augen und dicken gelben Entenfüßen; die Seestiere werden aber scheu und gehen auf die Schlangen wütend los und zerreißen mit ihren hakigen Hörnern die leuchtenden Topasgewänder, daß die Fetzen nur so rumwirbeln. –
Und Flundermänner bliesen dazu auf großen Panzerschnecken einen Parademarsch, der den Geistern sehr gedämpft und klimprig klang. Die Flundermänner hatten ganz lange steife Hälse und braune Würfelköpfe und Flunderleiber, die so schlapp wackelten wie faule Fische; die Würfelköpfe sahen dagegen so fieberhaft erregt aus, daß sie Angst einflößten.
Und umgestülpte graue Töpfe schwammen herzu; in den Töpfen staken am Schwanz festgebundene Aale; die Aale verursachten gleichsam als Klöppel einen dumpfen Glockenlärm, der die Nervosität ins Bestialische steigern konnte; mancher Topf ging durch einen Aalkopf entzwei, und die geborstenen Topftöne machten den gedämpften Glockenlärm so unheimlich wie blutbefleckte Leichen.
Und alte Priester fielen samt jungen Soldaten zwischen die kämpfenden Stiere und Schlangen, die gleich Platz machten; viele Töpfe wurden dadurch heftig zur Seite gegen die Flundermänner