Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
heute beim Felddienst reiten? Vielleicht »Comteß?« ... der Steepler ging schlecht vor dem Zug ... er machte da Sprünge wie ein Geißbock ... na gerade ... das war amüsant! ... Aber Zeit war's zum Felddienst ... zum Donnerwetter ... wo blieb denn der Bursche, der Himmelhund, mit Stiefeln und Attila? ...
Er fuhr auf und sah verstört in der Redaktion des »Paprika« herum.
Wie kam er denn hierher? Ach so ... richtig ... mit einem Schlag stand ihm plötzlich wieder alles im Kopfe da. Und doch empfand er, während er sich gähnend die Augen rieb, immer noch einen leisen Zweifel, was denn nun eigentlich die Wirklichkeit sei – das, was da um ihn war ... oder die Erinnerung an die Vergangenheit ...
Ach nein. Die war versunken, die war für ihn ein Märchenland geworden, das er nur noch nachts im Traume sah. Aber da ... er schaute erstaunt auf ... da an der Tür stand ja noch eine Gestalt aus dem verschwundenen Reich der Waffen, die hochgewachsene Gestalt eines Infanterie-Offiziers.
Es war schon ein älterer Herr, ein Major oder so etwas, mit ernstem, gefurchtem Gesicht. Zu dem keck aufgedrehten Schnurrbart wollte das an den Schläfen leichtergraute Haar, zu der strammen Haltung der müde Ausdruck der Augen nicht recht passen. Einer von denen, die, den Schatten des blauen Briefs über dem Haupte, sich mit Gewalt jung zu geben suchen, um nicht der »Verjüngung« zum Opfer zu fallen. Solcher waren viele in der Armee! Georg kannte sie wohl.
Der Fremde sah sich im Zimmer um und wiegte ein paarmal bedächtig den verwetterten Kopf, als wolle er sagen: »Also so schaut's hier aus! Na, das dacht' ich mir!« Dann machte er eine leichte Verbeugung gegen den sich erhebenden Sportsman. »Bin ich hier recht bei dem Herrn Baron Hoffäcker? ... Ja? ... Dann kann ich ihn wohl sprechen?«
»Nein!« erwiderte der kleine Herrenreiter, noch ganz vom Schlafe verwirrt ... »...das können Sie nicht mehr!«
»Warum nicht?«
»Ja ... weil er tot ist. Gestern mittag hat ihn der Schlag gerührt!«
»Der Schlag ge...« Der andere trat betroffen zurück. Ein seltsamer Ausdruck spielte über seine hartgeschnittenen Züge ... Wie Zorn sah es aus ... und wie Befriedigung zugleich! ... Also tot! ... Der alte Industrieritter tot, der zum zähneknirschenden Ingrimm seiner Geschlechtsverwandten das uralte Wappenschild der Freiherren von Hoffäcker mit unauslöschlicher Schmach bedeckt hatte! Aber fast sofort gewann die Selbstbeherrschung des preußischen Offiziers wieder die Oberhand.
»Ich bin sein Vetter ...« sagte er langsam ... »Major von Hoffäcker ...«
»Textor!« Georg verbeugte sich.
»Sehr angenehm! Sie waren mit dem ... Verstorbenen bekannt?«
»Ich war in letzter Zeit hier mit ihm zusammen geschäftlich tätig ...«
»So?« In der trockenen Stimme des Majors lag durchaus keine besondere Hochachtung über diese Nachricht ... »dann kennen Sie also das Vorleben meines Vetters ... und werden es begreiflich finden, daß ich mir eine gewisse Zurückhaltung in der Trauer um einen Mann auferlege, durch den ich meinen Namen in allen Zeitungen in Verbindung mit Wechselfälschung und Gefängnis las!«
»0 gewiß, Herr Major?«
»Und wo befindet sich die Leiche?«
»In dem großen Krankenhaus in der Lützowstraße!«
»Danke! ... Hat er – ich frage der Ordnung wegen – etwas hinterlassen?«
»Schulden!«
Das wunderte den Major offenbar nicht sehr. »Ich werde einen Rechtsanwalt mit der Prüfung und Bezahlung dieser Schulden betrauen ...« sagte er ... »und selbstverständlich auch alle weiteren Kosten tragen ...«
»Ich wüßte auch kaum, wer es sonst tun sollte!« Georg schaute melancholisch in dem öden Gemach umher ... »meine Finanzen sind äußerst schwach ... und hier, in den Räumen des alten Herrn blieb der Gerichtsvollzieher schon beinahe über Nacht ...«
»Und nun sagen Sie ...« Der andere trat auf ihn zu und dämpfte mühsam die Erregung seiner Stimme ... »wo ist seine Tochter? Ihretwegen reiste ich her ...«
»Da nebenan!«
»Was ... hier ... in der Wohnung?« Ein mißtrauischer Blick glitt an Georgs stutzerhaft gekleideter Gestalt hernieder.
»Ja. Aber sie schläft noch. Und ich find ... es ist grausam, sie früher zu wecken, als es unbedingt nötig ist!«
Der Major überlegte einen Augenblick. »Sie haben recht, Herr Dr. Textor!« sagte er dann kurz ... »ich werde jetzt gehen und vorerst das andere alles erledigen ...«
»Sehr wohl!« Georg öffnete ihm die Tür ... »aber Doktor bin ich nicht!«
»0 ... pardon! ... ich dachte ... ein Redakteur ...«
»Ich bin auch kein Redakteur,« sagte der Sportsman kaltblütig, »sondern ein vor wenigen Tagen mit schlichtem Abschied entlassener Husarenleutnant!«
»0h ...« Ein Zug des Widerwillens erschien auf dem Gesicht des stehenbleibenden Majors. »Eine nette Gesellschaft«, konnte man da deutlich lesen. Aber er bezwang sich. »Also auf Wiedersehen, Herr Textor!« sprach er mit gleichbleibender Höflichkeit, legte zwei Finger an die Mütze und stieg die Treppe hinab.
Und wenn er wiederkam?
Eine furchtbare Angst erfaßte Georg, als er allein war. Wenn jener wiederkam, dann nahm er Thea mit sich. Das war ja ganz klar. Das war ja seine Pflicht.
Oder er versuchte es wenigstens, sie mitzunehmen. Und dieser straffe Feldsoldat machte durchaus nicht den Eindruck, als würde er es an der nötigen Energie fehlen lassen.
Andererseits ... er, Georg Textor, hatte kein Recht, sie zu beeinflussen! Er durfte nicht verlangen, daß sie ihr Leben an das Schicksal eines Mannes knüpfen sollte, der ihr vorläufig noch nichts als ein leeres Portemonnaie und einen ehrlosen Namen bot!
Wenn sie es doch tat, so mußte das eben ihr eigener, ihr ganz freier Entschluß sein.
Und wenn sie es nicht tat ... wenn sie den gewiß sehr verständigen, gewiß sehr eindringlichen Vorstellungen des Majors folgte ...?
Es wurde Georg Textor immer schwerer ums Herz. Er wußte nur zu gut: dann war es aus mit ihm! dann riß sein Anker im Leben! Gott mochte dann wissen, wohin er trieb, wo er zerschellte.
Er lief ruhelos durchs Zimmer, eine Stunde und eine zweite. Fast ohne zu wissen, was er tat, machte er, so gut es ging, etwas Toilette und schluckte den dünnen Kaffee, den ihm die Schustersfrau brachte.
Und dann schritt er wieder hin und her, den hageren Kopf zu Boden gesenkt, die Hände in den Taschen, und wartete, bis wieder das gespenstige Säbelklirren auf der Treppe ertönen und die Stunde der Entscheidung kommen würde ...
Da klopfte es endlich, und der Major trat ein. Georg bot ihm schweigend einen Stuhl. Der Anblick des alten Offiziers war ihm eine Erlösung, so sehr er den Mann haßte, der ihm sein Liebstes, sein Einziges ans Erden wegnehmen, wollte. Denn nun mußte doch wenigstens dieser marternde Zweifel ein Ende finden.
»Ich habe alles besorgt ...« sagte sein Feind aus Posen ... »bitte, sich also finanziell in keiner Weise zu bemühen, Herr Textor. Oder haben Sie etwa gar Ihrerseits noch Forderungen? Nein? Danke sehr! Die Beisetzung findet schon heute abend statt. Um meiner Nichte willen werde ich ihr beiwohnen und gleich darauf mit ihr abreisen. And jetzt ...« ... sein Blick ging suchend durch die Wohnung ... »würde ich sie allerdings gerne bald sprechen!«
Da öffnete sich drüben leise eine Türe.
»Bist du da, Georg?« tönte es, sanft und etwas angstvoll über den Flur.
»Jawohl, Thea!« Seine Stimme klang stark und er sah dabei dem Major gelassen ins Gesicht, das sich langsam in finsterem Zorne rötete.
Jetzt schien ihm manches klar zu werden. Aber er schwieg. Die beiden Männer maßen sich mit stummen, feindseligen Blicken, bis Thea eintrat und beim Anblick ihres Onkels erschrocken stehenblieb.
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