Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Wasser, das bei Donauwörth in den Strom rinnt.«

      Und weiter und weiter trabten die Rosse. Nun waren sie dicht an dem Flecken Zusmarshausen, und deutlich hörten sie das Rauschen der zur Donau fließenden, vom Frühlingsregen geschwellten Zusam. Sonst über herrschte unheimliche Stille. Wohl schoben sich in einem Bogen flackernder Flammenpunkte die Wachtfeuer endlos vor ihnen im Halbkreis dahin und lohten davor noch durch die Dunkelheit die von den Piketts und Vedetten aufgehäuften Holzstöße; wohl hob sich, in riesigen, schwarzen Klumpen zusammengeballt, undeutlich die Wagenburg des Trosses von der Dunkelheit ab, aber nur selten unterbrachen die Stille das Wiehern eines Pferdes, sporenklirrende und in der Nacht verhallende Schritte, und draußen, vor den Feuern, die gedämpften Anrufe auf Losung und Feldgeschrei, unter denen die Parteigänger in die Nacht hinausschlichen und zurückkamen.

      Beklemmender als der gewohnte rohe Lärm des Lagers war diese atemlose Ruhe, die auf die Nähe des Feindes, auf ringsum lauernde Gefahr für Leib und Leben wies. Eine dumpfe, schwüle Spannung schien das ganze Dunkel und die in seinem Schutze lagernden Tausende und Abertausende zu umfangen. Und wo die Wachtfeuer knisterten und ihre zuckenden Lichter in die Nacht hinauswarfen, da sah man grimmige Gesichter voll finsterer Erwartung, Kerle, die ihre Waffen putzten und sorgsam Sattel- und Zaumzeug prüften, andere wieder, die heimlich die unglückbringenden, schmierigen Karten und Würfel beiseite gleiten ließen und mit Amuletten und Freisprüchen kramten.

      Vor einem Bauernhause, wo Holtzapfel sein Quartier aufgeschlagen, hielt der Reitertrupp. Doch in der Türe schon meldete dem Obristen ein Page, daß die Frau Gräfin zwar in dem Hause gewärtig, der Generalissimus aber gewillt sei, die Nacht, in Besorgnis eines Angriffs, im Lager zu verbringen.

      Ruth war völlig erschöpft, als sie der Quartiermeister aus dem Sattel hob. Wie im Traum sah sie ein niederes Zimmer vor sich, darin eine stolze, hochgewachsene Frau mit einem kleinen Mädchen zur Seite. Sie hörte, daß man sie die Frau Gräfin Holtzapfel nannte, und daß der Obrist sie jener präsentierte und mit kurzen Worten ihrer Sorge anempfahl.

      Dazu war die Gräfin gern bereit.

      »Wär' es nicht Christenpflicht,« sprach sie zu dem Obristen und faßte freundlich Ruths Hände, »so schon um Euretwillen, denn wirklich – alles andere hätte ich eher gedacht, das mir der gestrenge Habstein ins Haus bringen möchte, als gerade ein junges Fräulein! Aber Ihr habt's recht gemacht. Und nun nehmt Abschied von dem Fräulein. Der Graf, mein Gemahl, ist ungehalten, daß ich ohne sein Geheiß zu ihm ins Lager kam, und schickt mich morgen mit dem frühesten nach Augsburg zurück. So werdet Ihr uns nicht mehr vorfinden, wenn die Armada aufbricht.«

      6.

       Inhaltsverzeichnis

      Als der Obrist in das Dunkel hinaustrat, war sein eben erst zur Notdurft wieder aufgerichtetes Gelübde abermals geschädigt. Er hatte Ruths Hand ergriffen und lange in der seinen gehalten, ehe er ging, und ihr ins Auge geschaut, und es war ihm, als habe sie mit einem stummen Flehen seinen Blick erwidert, wie um ihn zu bitten, sie nicht allein zu lassen in den Fährnissen der Welt.

      Bitter war seine Reue, als er zu dem Lager schritt, aber das Geschehene ließ sich nicht ändern, und wäre es ungeschehen – er wußte, er würde es zum zweitenmal nicht anders machen.

      Er versuchte an die Kriegshändel zu denken, an die gefährliche Position der Truppen zwischen den beiden Gewässern der Zusam und Schmutter. Umsonst – lieber als in das Feindeslager hätte er, der feldberühmte Albinus Habstein, jetzt in jenes schwermütige, blasse Gesicht hineingeschaut, das ihn überall in seinen Sinnen verfolgte, und lieber als dem geheimen Kriegsrat, den jetzt wohl Wrangel und Turenne mit den Großen ihres Lagers hielten, dem weichen Wohlklang ihrer Stimme gelauscht.

      In lichtem Zorne stieg er ab und schritt zu einem hohen Feuer empor, das, von schildernden Musketieren bewacht, abseits von der Mannschaft loderte, auf der Kuppe eines Hügels, der bei Tageslicht einen weiten Ueberblick ringsum bieten mochte. Dort oben lagerten die Kriegsführer im Kreise um die Glut, hinter ihnen ein Schwarm von Dienern und Knechten, die Zügel der die ganze Nacht gesattelt bleibenden Pferde in der Hand.

      Der prasselnde Holzstoß warf gespenstisch flackernde Lichter auf die trotzigen, wettergebräunten Züge der kaiserlichen Offiziere, die da, in ihre Mäntel gehüllt, bunt durcheinander lagen und saßen. Neben Fürsten und Grafen aus uraltem Geblüt die Soldaten von Fortune, verwegene und verschlagene Abenteurer aus allen Ecken Europas; neben blutjungen Burschen von reichem Adel, die, auf eigene Faust im Heere mitziehend, darauf warteten, wann sich in der nächsten Schlacht die Sättel leeren und das Glück ihnen ein Fähnlein bescheren würde, die verwetterten Grauköpfe der Emporkömmlinge, von denen mancher noch als Troßbube den Anfang des Krieges geschaut hatte und wie aus längst verschollenen Zeiten vom Treffen am Weißen Berge und dem Winterkönig, von Albrecht Waldstein, von Tilly und Pappenheim und ihrem beherzten Feinde Gustav Adolf, von dem unheimlich gewaltigen Bernhard von Weimar bis zu den Tagen Torstensons und Baners erzählen konnte.

      Nun waren sie alle tot, die Kriegshelden, deren Name jetzt noch mit Ehrfurcht und Grauen am Lagerfeuer klang. In der Feldschlacht geblieben, ermordet oder sonst zugrunde gegangen. Unter den gemeinen Reitern war wohl der Tod an so manchem seit dem Jahre sechzehnhundertachtzehn achtlos vorbeigeschritten. Von den hohen Offizieren aber konnten sich nur wenige rühmen, schon damals an der Spitze eines bewaffneten Volks zu Felde geritten zu sein.

      Einer dieser wenigen saß – abseits von den anderen – im Gespräche mit einem jungen Edelmanne da. Ein Mann an der Schwelle des Greisenalters, mit finsterer Miene und durchdringendem Blick. In den Furchen seines sorgenvollen, eisenharten Gesichts lagen wie eingemeißelt die Spuren eines wildbewegten, in Sturm und Leidenschaft verbrachten Lebens. Ein Trompeter, einige Reiter und Knechte hielten sich ehrfurchtsvoll in einiger Entfernung hinter ihm und harrten seiner Befehle.

      Das war der Generalissimus der vereinigten katholischen Armaden, Melander Holtzapfel, den das Schlachtenglück von dem einstigen hessischen Roßknecht Eppelmann zum Reichsgrafen und Gewalthaber über des Kaisers Heer und Schicksal erhoben hatte. Den Kopf zur Seite geneigt, gab er halblaut dem jungen, schlachtenkühnen Herzog Ulrich von Württemberg seine Befehle, der ungeduldig, als könne er den Trompetenruf zur Attacke nicht mehr erwarten, in stutzerhafter Kleidung an seiner Seite saß.

      Ihre Worte verhallten in dem halblauten Durcheinander der anderen Stimmen. Nur ein Teil der Generale sprach Deutsch. Dazwischen klangen das Spanische und Italienische und blitzten zu den fremdartigen Worten die Augen in den gebräunten Galgengesichtern; ein Trupp Herren vom deutschen Hochadel, die zusammen dem Becher zusprachen, gab sich auf französisch Bescheid, und in ihrer Nähe zischelten die böhmischen Laute, in denen sich ein Paar verschlagen dreinblickender greiser Feldsoldaten, den anderen unverständlich, besprach.

      Holtzapfel schaute auf, als er die Tritte des Ankommenden hörte. In dem helleren Schein des Lagerfeuers trat noch mehr der grimme Trotz seines Antlitzes hervor, der Trotz des Abtrünnigen, der die Sache, der er ein langes Menschenleben hindurch mit dem Schwerte in der Hand gedient, verraten hat und zu zerstören willens ist. Alles hatte er nun von des Kaisers Gnade angenommen: den Reichsgrafentitel, die oberste Würde im Heer und die huldvollen Bestallungsschreiben. Aber calvinistisch war er doch geblieben, als er gegen seine Glaubensgenossen zu Felde zog, den Jesuiten der Hofburg zum Trotz. Und die päpstlichen Eiferer hatten sich mit seiner höhnischen Antwort bescheiden müssen, daß man jetzt, wo Schweden und Franzosen an den Grenzen der kaiserlichen Erblande ständen, in Wien nicht Zeit haben dürfe, Kriegsleute zu bekehren! Als er Herrn Albin sah, ging ein Lächeln über sein Gesicht. Der Habsteiner war ihm willkommen.

      Er erhob sich: »Ich begrüße den Herrn!«

      Der Feldobrist hatte den Hut zur Hand genommen und verbeugte sich. »Ich hoffe,« sprach er, »daß meine Kriegsfortune mich rechtzeitig daherführt, um morgen unter Ihrer Exzellenz dem Feinde den Weg zu weisen.«

      Holtzapfels Gesicht verfinsterte sich. »Hoffe der Herr Bruder nicht!« murmelte er und sah grimmig über das Meer von lodernden Wachtflammen, das sich zu ihren beiden Seiten scheinbar bis an den Horizont ausbreitete. »Die


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