Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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... nein ... und aber nein ... Ich laß dich nicht! ... ich mach' mich frei ... ich bin im Rechte, wenn ich mich aus der Niedrigkeit und Alltäglichkeit befreie, um dir zu folgen ... da hinauf in die stolze, kühne Welt, in die wir beide gehören ...«

      Ein leises Schlürfen neben ihr. Der andre Führer war auf seinen Filzschuhen aus dem Nebenraum herangeschlichen, um zu sehen, ob man etwas brauche.

      Elisabeth nickte ihm zu. »Es geht gut!« sagte sie fröhlich zu ihm in französischer Sprache.

      Der bescheidene Mann lächelte. Es fiel ihr zum erstenmal auf, wie regelmäßig und fein geschnitten seine von glänzend schwarzem Bart umrahmten Züge waren.

      »Gott sei Dank!« sprach er beinahe feierlich, »der Herr wird leben. Er bleibt Madame und den Ihren erhalten.«

      Sie blickte überrascht auf ... natürlich! ... er hielt sie ja für seine Frau! Die meisten Führer glaubten das wohl, und daß die beiden sich vorhin auf deutsch Sie genannt, hatte er, der Franzose, nicht verstehen können.

      »Man sah es Madame an, wie glücklich sie ist«, fuhr er fort, »... vorhin, als der Herr erwachte. Mir selbst kam es ganz feucht ins Auge ...«

      »Oh, wirklich ...« Sie war ergriffen von seinem Mitgefühl.

      Der stille freundliche Mann nickte. »Es sind drei Monate her, daß ich meine Frau verloren hab' ... ich weiß, wie das tut! ... und was das heißt, wenn einem Kind die Mutter fehlt, wie meinen Kleinen zu Haus ...«

      »Sie Armer ...« – Elisabeth wußte nicht recht, was sie zu seinem Troste sagen sollte, »... wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann?«

      Der Welsche lächelte trübe. »Vielen Dank, Madame! ... aber Sie haben jetzt selbst so viel ausgestanden ... und meine Kleinen sind wohlauf. Die sind meine einzige Freude, wenn ich so ganz müde und matt nach Hause komme und sie mir entgegenlaufen ... und ... nun« – er lächelte wieder halb fragend – »Madame wissen das ja sicher selbst, wie einem da ums Herz wird ...«

      Seine schlichten Worte durchzuckten sie mit einem plötzlichen Schrecken!

      Sie nickte hastig. »Ja, ich habe auch ein Töchterchen ...« sagte sie halblaut und wandte sich zur Seite.

      Er verstand ihre Bewegung anders. Im Glauben, sie wolle ungestört sein, zog er sich leise zurück und legte sich nebenan zur Seite des schnarchenden Genossen nieder.

      Ihr Töchterchen!

      Sie war ganz fassungslos vor bangem Erstaunen, daß sie die drei letzten Tage gar nicht an das Kind gedacht!

      Aus Mangel an Liebe gewiß nicht. Sie vergötterte den süßen kleinen Blondkopf und hatte sich vor Antritt der Reise unter heißen Tränen von ihm getrennt.

      Gerade darum vielleicht war ihr Edith in den Stürmen dieser Stunden gar nicht bewußt in den Sinn gekommen. Das kleine Wesen gehörte ja zu ihr! Es war nur ein Teil ihrer selbst. Ihr Schicksal war das seine, wie sich die Dinge auch wenden mochten.

      Aber was für ein Schicksal?

      Sie nahm ihm den Vater und die Heimat. Sie überlieferte es einem fremden Menschen, der es bei aller ernsten Pflichttreue nicht lieben konnte, wie man sein eigen Fleisch und Blut liebt.

      Wie sie es liebte und der da unten, der das Bild des goldhaarigen Geschöpfchens stets in seiner Brusttasche mit sich herumtrug und oft, wenn sie beisammensaßen, die Photographie herauszog, um sie ihr mit stillem Lächeln zu zeigen und einen verstohlenen Kuß darauf zu drücken.

      Er war ja ein guter Mensch, weicher und feiner jedenfalls empfindend als der verwundete Riese, der schwer atmend mit geballter Faust vor ihr auf dem Stroh lag.

      Und der Vater – ein entsetzliches, ahnendes Grauen schlich langsam durch ihre Seele – der Vater sollte sich freiwillig von seinem Liebling trennen? Nie und nimmermehr! Er hatte ein gleiches Recht darauf wie sie. Er gab ihn ihr nicht!

      Und dann? Sie schauerte in ratloser Angst. Dann stand sie vor einer Wahl, die entsetzlicher war als alles, was sie bisher geahnt, vor der Wahl zwischen dem Kind und dem Geliebten.

      Sie saß wie versteinert da. Stunde um Stunde, ohne sich zu rühren. In der Ferne verhallte das letzte Donnergrollen. Das tiefe Schweigen einer stillen Sommernacht breitete sich über die Hochwelt. Ihr war es, als nähme diese entsetzliche Nacht gar kein Ende. Nur am Hin- und Herschleichen der Führer, die alle halben Stunden sich schlaftrunken erhoben, um das glimmende Feuer zu schüren, merkte sie das Fliehen der Zeit.

      Und doch graute ihr vor dem Morgen, der endlich kahl und frostig durch die Ladenluken schimmerte. Dieser Tag mußte ihr die entscheidende Aussprache mit ihrem Gatten bringen. Und wenn es so kam, wie sie fürchtete, dann mußte sie sich entscheiden! Und woher sollte sie dann den Mut, woher die Kraft nehmen, unter dem gleich. Entsetzlichen das eine oder das andre zu wählen?

      Alles besser als diese Ungewißheit! Fiebernd und übernächtig saß sie, die Ellenbogen auf die Knie, das Kinn in die Hände gestützt, auf dem harten Holzschemel. Sie dachte an die erste Nacht in der Berghütte, die sie vor noch nicht zwei Wochen mit dem Verwundeten dort zusammen verbracht. Welch ein Unterschied zwischen damals und jetzt. Damals hatten sie gescherzt und lachend sich den Champagner zugetrunken und jetzt – ein häßlicher Karbolgeruch ging durch den empfindlich kalt werdenden Raum, halb verwischte Blutspuren, wohin das Auge fiel, eine wüste, traurige Stätte, in die der Tod schon einmal im Vorbeigehen hineingeschaut, und in ihrem Herzen alles zerrissen vor Schmerz und Angst.

      »Hätt' ich dich nie gesehen!«

      Sie empfand etwas wie verzweifelten Haß gegen den stillen Mann da, der ihr alle Ruhe und allen Frieden geraubt. Haß gegen den Geliebten! Sie begriff das nicht. Die erstarrten Glieder dehnend, erhob sie sich langsam und beugte sich über sein grimmiges, vom blutigen Vollbart überschattetes Gesicht. Und wieder rang es sich verzweifelt in ihrem Innern empor: »Hätt' ich dich nie gesehen!« Draußen tönten die schweren Tritte der Bergschuhe und das Aufsetzen der Pickel auf dem Gestein. Die Tür ging auf. Im hellen Morgenschein zeichneten sich die Gestalten der Führer und des jungen Arztes von dem blaßblauen Himmel ab.

      Der Amerikaner kniete neben dem Verwundeten nieder.

      »Also gesprochen hat er?« fragte er erstaunt.

      »Ja, warum denn nicht?« antwortete aus dem Dunkel die tiefe dröhnende Stimme des Barons.

      Die Führer lachten, und auch der Doktor verzog den Mund.

      »Da hat es also keine Gefahr mehr!« sagte er, »nun können wir Sie bequem herunterbringen!«

      »Sind Sie der Arzt?« forschte der Gletschermann.

      »Ja.«

      »Ist was an mir entzwei?«

      »Gar nichts, merkwürdigerweise!«

      »Das ist mehr Glück als ... sonst was!« murmelte es in befriedigtem Baß aus der Ecke, »und ihr Führer da, ihr lasset mir nur das Lachen sein! Von mir könnt ihr was lernen, wann ihr 's nächste Mal abfallt!«

      Elisabeth war zu dem schwarzhaarigen Bergführer getreten. »Ich möchte gern vorausgehen! Wollen Sie mich begleiten?«

      »Parfaitement, Madame!« Der höfliche Welsche machte sich in Eile marschfertig.

      Sie reichte dem Kranken die Hand. »Auf Wiedersehen«, sagte sie rasch und leise, »ich muß jetzt hinunter nach Zermatt. Ich kann nicht warten. Wenn es an der Zeit ist, sehen wir uns im Hotel Schwarzsee wieder!«

      Ehe er etwas erwidern konnte, hatten sie die Cabane verlassen. Heller Sonnenschein überflutete sie mit warmem, neuem Leben, während sie an der Seite des Führers zu Tale stieg.

      XIX

       Inhaltsverzeichnis

      Wie ein Hohn erschien ihr heute der goldene Schein und die Menschen, die sich fröhlich unter dem seit drei Tagen vermißten blauen Himmel


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