Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
also!« sagte er trocken.
»Was denn?«
»Darum spielen Sie, wie neulich abends, die Spröde?«
Valeska schaute beklommen zu Boden.
»Sie sind mir gewiß recht böse wegen neulich?«
»Natürlich bin ich böse! Mich allein für einen ganzen Abend zwischen Hammerschmiedt und der Hannemann zurückzulassen, ist eine Tat, die an Vatermord grenzt. Aber damit sind wir fertig. Jetzt begreife ich alles, da ich sehe ...«
»Was sehen Sie?« Die Elten stand erregt auf ... »... Daß ein Kollege mich besucht ... weiter nichts ...«
Der Dandy lächelte mit der Überlegenheit des vielerfahrenen Weltmannes.
»Wozu der Zorn?« sagte er gleichmütig... »... Ich sehe hier zwei Menschen, die wahnsinnig ineinander verliebt sind ... bitte ... unterbrechen Sie mich nicht ... ich weist schon ... Sie haben sich noch kein Wort davon gesagt... aber Sie werden es sich sagen ... heute oder morgen oder übermorgen ... gleichviel wann ... und Sie wissen es beide schon jetzt genau, daß Sie sich lieben, und wer Augen im Kopfe hat, der sieht es ...«
In dem Zimmerchen war es still. Nur von der Straße her drang undeutliches Rollen und Lärmen, und zuweilen zirpte der Kanarienvogel, den Zajonchek gestern – wie er behauptete, nur zur einstweiligen Aufbewahrung – mitgebracht. Singen wollte das Tierchen noch nicht, sondern hüpfte töricht piepsend von Stange zu Stange und zupfte an den Salatblättern, die zwischen dem Drahtgitter staken.
Valeska sah ihm mit gedankenloser Aufmerksamkeit zu. Sie konnte keine Erwiderung auf Seyblings Worte finden.
Endlich raffte sie sich auf.
»Wir kennen uns ja kaum ... er und ich...«, sagte sie ... »... vor drei Tagen haben wir uns zuerst gesehen. Also schon daraus können Sie schließen ... daß es gar nicht so ist, wie Sie meinen ... und überhaupt...«
Aber Seybling achtete gar nicht darauf.
»Es ist merkwürdig«, meinte er gedankenvoll ... »höchst merkwürdig, daß die Menschen immer noch nach Entschuldigungen und Erklärungen suchen, wenn sie verliebt sind. Ihr liebt euch! Warum ... das wissen Sie nicht, das weiß er nicht ... das weiß nur die geheimnisvolle Macht, der wir diese buntschillernde Seifenblase verdanken, die wir mit tiefem Ernste die Welt nennen und als etwas Rechtes ansehen. Ein Unparteiischer möchte vielleicht finden, daß er einen recht guten und Sie einen recht schlechten Geschmack besitzen, aber einerlei ... ich bin in dieser Angelegenheit kein Unparteiischer und entsage von heute ab jeglicher Hoffnung auf Ihre Gunst. Und um so unbefangener können Sie meinen Rat annehmen. Merken Sie auf ... es ist ein seltenes und würdiges Ereignis, daß man einem schönen Mädchen aus reiner Menschenliebe einen guten Rat gibt ...«
Die kleine Elten trat näher.
»Was raten Sie mir?« fragte sie ängstlich.
Seybling sah ihr prüfend ins Gesicht.
»Haben Sie noch das Buch von ›Lilith‹, das ich Ihnen neulich gab?«
»Ja gewiß!«
»So setzen Sie sich hin und lernen Sie die Rolle der Lilith ... Wort für Wort ... so rasch wie möglich. Jetzt ist Sonnabend mittag ... Montag früh ist Probe ... bis dahin müssen Sie sie können ...«
»Das ist unmöglich!«
»Wenn man will, ist nichts unmöglich... auch nicht die Aufgabe, zehn oder zwölf Bogen in zwei Tagen und zwei Nächten zu lernen...«
»Ja... und was habe ich davon?«
»Wenn es je eine Rolle gab, mit der Sie einen Erfolg erringen können,« sagte Herr von Seybling langsam und beinahe feierlich...» ... so ist es diese... Sie ist wie für Sie geschrieben. Hochmann selbst hat, wenn er es Ihnen auch nicht sagt, mir bestätigt, daß Sie sie bei späteren Wiederholungen einmal spielen sollen...«
»Dann hat es aber doch noch Zeit...«, meinte Valeska.
Seybling lächelte mitleidig.
»O Gott... wie verliebt!... Bisher verzehrten Sie sich vor Ehrgeiz... schrieben an mich um neue Rollen und Gott weiß was... und nun... seit vorgestern kommt Ihnen das Westend-Theater mit allem, was drum und dran hängt, als eine winzig kleine, lächerliche Sache vor... ein Liliputanernest fern am Rand des Horizonts... und der allein wichtige und denkwürdige Gegenstand ist ›Er‹...«
»Bitte... hören Sie auf...«, sagte Valeska mit abgewandtem Gesicht... »Sie haben gar kein Recht, so zu sprechen!«
»Das Recht des verschmähten Liebhabers!... Ist mir eine ganz ungewohnte Rolle. Ich bin Ihnen beinahe dankbar für diese neue Empfindung ... aber nun Scherz beiseite ... oder vielmehr bei dem gesamten Galgenhumor, mit dem ich hier die Rolle des Ritters Toggenburg spiele, sage ich Ihnen, Valeska Elten: Seien Sie gewappnet mit der Rolle der Lilith, ehe der Montagmorgen graut ... Wer weiß, was sich bis dahin ereignet!«
Er öffnete die Tür und bot ihr seine breite Hand.
»Grüßen Sie den Herrn mit dem unmöglichen Namen von mir ... und vergessen Sie nicht meinen Rat! Vielleicht bringt er Ihnen den Erfolg, nach dem Sie streben, und mir doch noch Ihren Dank ...«
XX.
Also wirklich wieder verliebt ...
Valeska saß fassungslos, wie aus einem Traume erwacht, da, viele Stunden, nachdem sie Seybling verlassen.
Er hatte ihr erst die Augen geöffnet. Bisher war es ihr nicht in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken, warum ihr Leben in diesen Tagen auf einmal wieder einen Inhalt gewonnen hatte. Es war, wie er sagte: Was ihr bisher in Berlin wichtig erschienen, das Westend-Theater, ihre Rollen, ihre Zukunft, das alles kam ihr jetzt so unendlich lächerlich und winzig vor, und dagegen wieder ...
Ja ... es war kein Zweifel ... sie war verliebt ... verliebt, wie sie es nur je gewesen. Jetzt gestand sie es sich mit einem tiefen, glücklichen Aufatmen ein.
Es war ja nicht das erstemal. Sie kannte das sehnsüchtige, quälende Gefühl, das sich langsam vom Herzen losrang und brustbeklemmend emporstieg, und sie wußte, da gab es keine Rettung dagegen.
Es fiel ihr ein, daß sie die ganze letzte Zeit nicht mehr an ihren kleinen Freund in Bergheim gedacht, Selbst die Photographie des Rittmeisters war längst wieder unter dem Kopfkissen hervorgenommen und wohlverpackt irgendwo im Schreibtisch verkramt worden.
Und nicht nur das lag weit hinter ihr. Auch ihre Erlebnisse in Berlin erschienen ihr wie durch einen Schleier. Unendlich ferne lag jener graue Vormittag, da sie vom Goldfischteich einsam und trostlos durch das Regengeriesel nach der Stadt zurückgeschritten.
Vielleicht hatte der sie auch schon vergessen, von dem sie damals Abschied nahm ... Und wenn nicht ... ihre Schuld war es nicht, daß ihre Vergangenheit zwischen ihn und sie getreten ...
Das wußte sie: Zajonchek würde sie nicht nach ihrer Vergangenheit fragen! Der war ihres Stammes, ein Kind dieser Welt wie sie, in Fehlern und Schwächen und Leichtsinn und Liebe. Der saß nicht über andere zu Gericht! Was man begreift und selbst durchlebt, das verzeiht man ...
Sie lächelte träumerisch vor sich hin.
Wie fest hatte sie sich vorgenommen, sich nicht mehr zu verlieben. Und nun hatte es gerade sechs Wochen gedauert, sechs öde, traurige Wochen. Freilich ... ein bißchen anders, als sie damals geträumt, sah der Schwanenritter doch aus, der ihr Trost und Hilfe in ihrer Berliner Not bringen sollte.
Der als Lohengrin! Sie mußte herzlich bei dem Gedanken lachen und schämte sich gleich darauf. Was konnte er denn dafür, daß er kein schöner Mann war?
Da tönte draußen die Klingel. Sie vernahm den Klang seiner Stimme. Reglos blieb sie sitzen, den Blick zu Boden geheftet, und hörte das Hämmern ihres Herzens.
Zajonchek