Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
über ihre Lippen gekommen. Plötzlich eilten sie im Galopp davon, wie im Wunsch zu fliehen, fort zu eilen, weit, weit fort!
Dann war es, als wäre Gilberta erregt, ein Windstoß trug oft ihre lebhafte Stimme zu den Ohren der beiden zurück gebliebenen Reiter, dann lächelte der Graf und sagte zu Johanna:
– Meine Frau ist nicht etwa immer guter Laune.
Eines Abends, als sie heimkehrten und die Gräfin ihre Stute unnütz aufregte, ihr die Sporen gebend und sie dann plötzlich mit jäher Parade zurückhaltend, hörte man, wie Julius manchmal sagte:
– Nehmen Sie sich in Acht, nehmen Sie sich in Acht, der Gaul geht noch mal durch!
Sie antwortete: »Ach was, das geht Sie ja nichts an«, in so klarem und hartem Ton, daß die Worte über das Feld klangen, als ob sie in der Luft hängen geblieben wären.
Das Tier bäumte sich, schlug aus und schäumte ins Gebiß. Plötzlich rief der Graf, der ungeduldig geworden war, mit vollen Lungen:
– Paß doch auf, Gilberta!
Sie schlug in einem Augenblick jener weiblichen Nervosität, die nichts beruhigen kann, auf rohe Weise mit ihrer Reitpeitsche das Tier zwischen die Ohren, sodaß es stieg, wütend mit den Vorderbeinen in der Luft herumfuchtelte, dann wieder fußte, mit einem mächtigen Satze davon flog und über die ganze Ebene hin in rasendem Laufe abging.
Zuerst jagte sie über flache Wiesen, dann kam sie auf Äcker und die nasse, fette Erde spritzte nur so hinter ihr her. Sie schoß so schnell dahin, daß man Roß und Reiterin kaum erkennen konnte.
Julius blieb ganz verstört halten und rief verzweifelt:
– Gräfin! Gräfin!
Der Graf brummte etwas, beugte sich auf das Widerrist seines mächtigen Pferdes, warf es mit einem Stoß des ganzen Körpers vorwärts und trieb es dermaßen an, durch Stimme, Bewegung, mit dem Gesäß, mit den Sporen, daß es den Eindruck machte, als ob der Riesenreiter das schwere Tier zwischen den Beinen aufhöbe, davon trüge, und mit ihm fortflöge. Sie schossen in wahnsinniger Hast dahin, geradeaus, vorwärts. Und Johanna sah in der Ferne die beiden Gestalten der Reiter, Frau und Mann, fliehen und fliehen und immer kleiner werden, verlöschen und verschwinden, wie man zwei Vögel, die sich verfolgen, sich in der Ferne verlieren und endlich am Horizont verschwinden sieht.
Da näherte sich Julius immer noch im Schritt und brummte:
– Ich glaube, heute ist sie verrückt.
Und beide folgten ihren Freunden, die nun hinter einer Bodenwelle verschwunden waren.
Nach einer Viertelstunde sahen sie die beiden zurückkommen und hatten sie bald erreicht.
Der Graf war rot, in Schweiß gebadet. Er lachte zufrieden, triumphierend und hielt mit eiserner Faust die Zügel des zitternden Pferdes seiner Frau. Sie war bleich und hatte einen schmerzvollen, verzerrten Ausdruck, und mit einer Hand hielt sie sich an der Schulter ihres Mannes, als fürchte sie, ohnmächtig zu werden.
An diesem Tage ward es Johanna klar, daß der Graf unsäglich in seine Frau verliebt war.
Dann war die Gräfin während des folgenden Monats so lustig, wie sie es nie gewesen. Sie kam häufig nach Les Peuples, lachte unaufhörlich und küßte Johanna in Anfällen plötzlicher Zärtlichkeit. Es war, als ob eine wundersame Freude ihr plötzlich begegnet wäre. Ihr Mann, der selbst glückselig war, ließ sie nicht aus den Augen, suchte alle Augenblicke ihre Hand zu berühren oder ihr Kleid im neuen Ansturm der Leidenschaft.
Eines Abends sagte er zu Johanna:
– Wir sind in glücklicher Stimmung jetzt, Gilberta ist nie so nett gewesen wie jetzt. Sie ist nicht mehr schlechter Laune, nicht mehr wütend, ich fühle, daß sie mich liebt, während ich es bis jetzt doch noch nicht bestimmt wußte.
Auch Julius schien verändert. Er war heiter, weniger ungeduldig, als ob die gegenseitige Freundschaft der Familien beiden Friede und Freude gebracht.
Das Frühjahr kam besonders zeitig und war auffallend warm. Vom milden Morgen bis zum milden, lauen Abend ließ die Sonne es auf der ganzen Oberfläche der Erde sprossen. Es war ein gewaltiges Blühen und Erwachen aller Keime zu gleicher Zeit, jenes unwiderstehliche Aufschießen, jene brünstige Wiedergeburt, die die Natur manchmal in besonderen Jahren zeigt, sodaß man an die Verjüngung der Welt glauben könnte.
Johanna fühlte sich durch diese Fruchtbarkeit der Natur seltsam bewegt. Vor irgend einer kleinen Blume im Grase ward sie plötzlich schwach und matt, und eine köstliche Melancholie kam über sie in solchen Stunden träumerischer Weichheit. Dann kamen zärtliche Erinnerungen an die ersten Stunden ihrer Liebe; nicht eine neue Leidenschaft für Julius, denn das war aus für immer, aber ihr ganzer Körper, den die Winde umspielten, den die Lenzdüfte umwehten, ward wie ergriffen von einem unsichtbaren, zarten Gefühl.
Sie war gern allein, ließ sich von der warmen Sonne bescheinen und dann kamen Empfindungen über sie, ein unbestimmtes, reines Glück, daß ihr Denken verlöschte.
Eines Morgens, als sie so träumte, hatte sie eine Vision. Sie sah plötzlich jene von der Sonne bestrahlte Stelle mitten im dunklen Laubwerk vor sich in dem kleinen Gehölz bei Etretat. Da war ihr zum ersten Mal an der Seite dieses jungen Mannes, der sie damals liebte, ein Schauer über den Leib gelaufen, da hatte er zum ersten Mal die schüchternen Wünsche seines Herzens gestanden, und auch da war plötzlich der Glaube über sie gekommen an alles strahlende Glück der Zukunft.
Und dieses Wäldchen wollte sie wiedersehen, dorthin eine Art sentimentalen, abergläubischen Pilgerzugs unternehmen, als ob die Rückkehr an diesen Ort etwas im Gange ihres Lebens ändern könne.
Julius war schon bei Tagesanbruch fort, sie wußte nicht wohin. Sie ließ also den kleinen Schimmel von Martins satteln, den sie jetzt manchmal ritt, und machte sich auf den Weg.
Es war einer jener stillen Morgen, wo sich nirgends etwas bewegt, kein Grashalm, kein Blatt, alles scheint für immer unbeweglich, als ob der Wind gestorben sei. Es war, als wären selbst die Insekten verschwunden.
Die Sonne strömte glühenden erhabenen Frieden herab, und Johanna ritt glücklich, von ihrem Pferde gewiegt, dahin. Ab und zu blickte sie auf zu einer kleinen, weißen Wolke, die wie eine Flocke, so groß wie ein Stück Watte, dort oben hing und ganz allein dort vergessen schien, mitten im blauen Himmel.
Sie ritt in das Thal hinab, das nach dem Meer führt, zwischen jenen beiden, großen Klippenbögen, die man die Pforten von Etretat nennt, und ganz allmählich lenkte sie nach dem Walde zu ein. Durch das noch dünne Laub stiebte das Licht wie Regen, und sie suchte nach der Stelle, ohne sie zu finden, und irrte die kleinen Wege hin und her.
Da sah sie plötzlich, als sie eine lange Allee querte, am Ende zwei Reitpferde an einen Baum gebunden, die sie sofort erkannte. Es waren die von Gilberta und Julius. Die Einsamkeit lastete auf ihr, und so war sie glücklich über diese unvermutete Begegnung und setzte ihren Gaul in Trab.
Als sie die beiden, geduldigen Tiere erreicht hatte, die da standen, als wären sie an langen Aufenthalt schon gewöhnt, rief Johanna, ohne irgend eine Antwort zu erhalten.
Ein Damenhandschuh und die beiden Reitpeitschen lagen auf dem zertretenen Rasen. Dort hatten sie also gesessen, dann sich ein Stück entfernt und ihre Pferde hier stehen gelassen.
Sie wartete eine Viertelstunde, zwanzig Minuten, erstaunt, denn sie wußte nicht, was die beiden treiben könnten. Sie war abgesessen, und blieb so regungslos gegen einen Baumstamm gelehnt. Da ließen sich zwei kleine Vögel, ohne sie zu bemerken, in ihrer Nähe ins Gras fallen. Der eine von beiden hüpfte um den andern herum, mit flatternden, zuckenden Flügeln, piepend und mit dem Kopfe nickend, und plötzlich schnäbelten sie sich.
Johanna war erstaunt als hätte sie so etwas nie gekannt, bis sie sich sagte:
– Es ist wahr, es ist ja Frühling.
Dann kam ihr ein anderer Gedanke, ein Verdacht. Sie blickte von weitem den Handschuh, die Reitpeitsche und die beiden verlassenen Pferde an und saß schnell wieder auf, mit nur einem