Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther

Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte - Martin Luther


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flackernden Herdfeuer und las unter Thränen Ihre Mahnung:

      »Hat der Herr ein Leid gegeben,

       Giebt er auch die Kraft dazu;

       Bringt dir eine Last das Leben,

       Trage nur, und hoffe du!«

      Das hatte ein Schüler, ein armer, vielleicht siebzehnjähriger Knabe gedichtet! Und ich?! Es war fast wie Scham, was da über mich kam. Ich ging hinaus vor die Mühle und ein Stück in den Wald hinein. Dort kniete ich nieder und betete – betete – betete. Herr, mein Gott, ich konnte wieder beten! Als ich dann in die Stube zurückkehrte, hatte alles ein ganz anderes Aussehen als vorher. Das Elend war verschwunden und dafür ein stiller, weher Ernst zurückgeblieben. Die Botenfrau sagte mir, daß auch sie Geld von Ihnen bekommen habe und sich nun morgen einmal recht sattessen wolle. Mein Knabe sah mich mit so liebevollen Augen an, und über das Gesicht des Toten hatte sich ein stiller, seliger Hauch des Friedens ausgebreitet. Es war mir, als befinde sich sein Geist an meiner Seite und flüstere mir tröstend zu:

      »Darum gilt auch mir die Freude,

       Die Euch widerfahren ist,

       Denn geboren wurde heute

       Auch mein Heiland, Jesus Christ!«

      Und so ist es geblieben bis zum heutigen Tage. Reden Sie mir nicht darein, sondern lassen Sie mir diesen wohlthuenden Glauben, daß mein Vater von Gott die Erlaubnis hat, unsichtbar bei mir zu weilen, um mich zu leiten und meinen Fuß vor Anstoß zu bewahren! Wenn Gott seine Engel sendet, die uns zu beschützen haben, können wohl auch unsere Abgeschiedenen, die uns durch ihre Liebe doch am nächsten stehen, solche Engel sein! Während die Heerscharen des Himmels seinen Thron umschweben, um ihm Halleluja von Ewigkeit zu Ewigkeit zu singen, steigen die Geister unserer Lieben auf und ab, um seine Befehle auszurichten und uns in ihren Schutz und ihre Hut zu nehmen. Ich möchte nicht um alles diese Überzeugung missen, die mir im Leiden Kraft gewährt, mich in der Einsamkeit tröstet und mir die frohe Hoffnung bietet, daß ich meinen Sohn mit meinem Tode nicht verlassen werde.«

      »Es liegt mir fern,« sagte ich, als sie jetzt zu Ende zu sein schien, »Ihnen einen Glauben zu nehmen, der Sie glücklich macht, weil er eine Konsequenz Ihrer Kindes-und Ihrer Mutterliebe ist. Sie haben damals jedenfalls noch sehr schwere Tage erlebt, von denen wir jetzt lieber gar nicht sprechen wollen. Ich freue mich aufrichtig und herzlich, Sie wiederzusehen, und wünsche, daß wir dieses Wiedersehen nicht durch die Erinnerung an eine Zeit trüben, welche längst vergangen ist.«

      »Sie haben recht. Ich muß um Verzeihung bitten, daß ich gleich die erste Viertelstunde Ihres Besuches mit meinem Rückblicke auf jene Zeit in Anspruch nahm! Ich that es in der Überraschung und weil Sie gleich und vor allen Dingen erfahren und wissen sollten, wie wichtig Sie mir geworden und wie unvergeßlich Sie uns geblieben sind. Ich war damals nicht in der Lage, mich nach Ihnen zu erkundigen, und dies dann durch Briefe von Amerika aus zu thun, verboten uns gewisse Gründe, über welche ich nicht sprechen kann. Ich darf höchstens sagen, daß der Name Wagner ein falscher war und daß wir verschwunden sein mußten, ohne eine Spur zurückgelassen zu haben. Wir hätten zwar vielleicht erfahren können, was Sie geworden sind, denn wir kannten Ihren Namen und – –«

      »Nein, den kannten Sie nicht,« fiel ich ein.

      »Er steht doch auf dem Gedicht!«

      »Nicht ganz; es fehlt eine Silbe. Ich heiße Meier.«

      Als sie sah, daß ich dabei lächelte, fragte sie:

      »Darf ich vielleicht annehmen, daß dies eine Silbe zu viel ist? Ein Schüler setzt, wenn ein Gedicht von ihm veröffentlicht wird, wohl keinen falschen Namen darunter; ich meine vielmehr, daß er sehr stolz sein wird, sich gedruckt zu sehen!«

      »Wie es scheint, sind Sie in die tiefsten Tiefen der deutschen Schülerseele eingedrungen; dennoch muß ich dabei bleiben, daß ich hier in Weston Meier heiße.«

      »Darf man die Gründe erfahren?«

      »Jetzt noch nicht. Sie haben Ihre Geheimnisse, und ich besitze auch welche; jedenfalls aber werden die meinigen noch vor meiner Abreise offen vor Ihnen liegen.«

      »So sollen Sie jetzt meinen Sohn sehen. Ich wollte ihn rufen, denke aber, daß wir ihn lieber in seinem Zimmer überraschen werden. Bitte, kommen Sie!«

      Sie führte mich durch die schon erwähnte Thür in ein einfaches aber sehr trauliches Wohnzimmer, dessen Ausstattung ebenso wie der Empfangsraum einen Westmann als Besitzer verriet. Von hier aus ging es in eine kleinere, einfensterige Stube, wo an einer Wand ein volles Bücherregal und gegenüber ein Schreibtisch stand, an welchem ein junger Mann saß, der bei unserm Eintritte aufstand und uns fragend anblickte. Man sah seinen feinen Zügen die geistige Arbeit an; ich erkannte ihn trotz des Schnurrbartes, den er trug, sofort.

      »Sieh dir diesen Herrn an!« sagte seine Mutter. »Ich bin unendlich begierig, zu erfahren, ob du sagen kannst, wer er ist.«

      Er betrachtete mich eine Weile, schüttelte den Kopf und gab dann den Bescheid:

      »Ich sehe ihn heut auf jeden Fall nicht zum erstenmal, aber sagen, wer er ist, das kann ich nicht. Möglich, daß die dunkle Gesichtsfarbe schuld ist. Der Herr ist ja von der Sonne verbrannt und vom Wetter mitgenommen wie ein Fallensteller!«

      »Fallensteller!« lachte sie. »Um braun zu werden, braucht man nicht auf der Prairie oder im Urwalde herumzulaufen.

      Herr Meier hat den Westen jedenfalls noch nie gesehen, denn er ist – – ich will dir einhelfen: er ist ein Dichter.«

      »Dichter – –? Meier – – Mei – – Mei – –«

      Da flog ein Strahl freudigen Erkennens über sein Gesicht; er streckte mir beide Hände entgegen und rief:

      »Unsinn – – – Meier! Welch eine Überraschung! Eine größere Freude konnte uns gar nicht werden! Jetzt erkenne ich Sie und bin darüber verwundert, daß es nicht sogleich geschehen ist, obgleich Sie damals ein kleines, schmales Kerlchen waren und jetzt fast wie ein Indsman aussehen. Da muß ich doch gleich auch einmal zum Dichter werden, wobei ich mir aber gestatte, die Reime von Ihnen zu entlehnen:

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