Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон

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haben und dann die Sinne verlassen haben, so verfahren auch Die, welche, von dem Begehren nach den Dingen ausgehend, dann die Schönheit der Tugend erblickt haben; sie werfen alles ausser der Tugend Gesehene bei Seite und vergessen, dass jede Natur in ihrem Begehren sich so entwickelt, dass sie von den Anfängen zu den Zielen fortgeht und sie übersehen, dass sie diesen schönen und bewundernswerthen Dingen die Grundlage entziehen.

      Kap. XVI. (§ 43.) Mir scheinen daher Alle sich geirrt zu haben, welche das höchste Gut in das sittliche Leben setzten; indess der Eine mehr als der Andere; am meisten Pyrrho, welcher nach Aufstellung der Tugend durchaus nichts Begehrenswerthes daneben gelten lässt; dann Aristo, der nicht so weit ging, sondern Dinge anerkannte, welche den Weisen erregen, so dass er sie begehrt, wenn sie ihm in den Sinn kommen, oder gleichsam begegnen. Er steht über Pyrrho, weil er noch andere Dinge neben der Tugend als begehrenswerth anerkennt, aber er steht hinter den Uebrigen zurück, weil er ganz von der Natur abgewichen ist. Die Stoiker stehen Beiden in so weit gleich, als sie in die Tugend allein das höchste Gut setzen; indem sie aber auch eine Grundlage für die Pflichten suchen, stehen sie über Pyrrho, und indem sie kein solches Entgegenkommendes sich ausdenken, auch höher als Aristo; indem sie aber das von ihnen als naturgemäss Anerkannte und um sein selbst willen zu Suchende nicht in das höchste Gut einschliessen, fallen sie von der Natur ab und gleichen gewissermassen dem Aristo. Dieser stellt entgegenkommende Dinge auf, ich weiss nicht welche; die Stoiker stellen nun zwar ein erstes Naturgemässe auf, aber trennen es vom Endziele und vom höchsten Gute; soweit sie nun jenes zu einem bevorzugten machen, um damit eine Auswahl zu ermöglichen, folgen sie der Natur; indem sie aber bestreiten, dass es zu dem höchsten Gute gehöre, weichen sie wieder von der Natur ab. (§ 44.) Bis hierher habe ich ausgeführt, dass Zeno keinen Grund hatte, von den anerkannten Lehren der Aeltern abzuweichen; ich gehe nun zu dem Uebrigen fort, wenn Du, mein Cato, nicht auf das Bisherige Etwas erwidern willst oder ich nicht schon zu lange gesprochen habe. – Keines von Beiden, sagte er; vielmehr möchte ich, dass Du Deine Ausführung vollendetest, und Deine Rede wird mir nicht zu lang werden. – Sehr gut, sagte ich; was kann mir lieber sein, als mit Cato, dem Muster aller Tugenden, über die Tugend mich zu unterhalten. (§ 45.) Ich bitte Dich, zunächst zu beachten, dass Euer oberster Grundsatz, der alles Andere nach sich zieht und wonach nur das Sittliche allein das Gut und ein sittliches Leben das höchste Gut ist, Euch mit allen Denen gemeinsam ist, welche in der Tugend allein das höchste Gut finden, und wenn Ihr sagt, dass man sich von der Tugend keinen Begriff machen könne, wenn noch etwas Anderes als das Sittliche dazu gerechnet werde, so wird auch dies von Denen behauptet, die ich eben genannt habe. Mir hätte es nun richtiger geschienen, wenn Zeno bei seinem Streit mit Polemo, von dem er die ersten Naturtriebe übernommen hatte und mit dem er die Grundlagen, von Denen sie ausgingen, gemeinsam hatte, den Punkt beachtet hätte, wo er zuerst einzuhalten habe, und bei welchem Punkte der Anlass zu seinen abweichenden Ansichten zuerst hervortrete; und wenn er sich nicht Denen zugesellt hätte, welche gar nicht behaupteten, dass ihr höchstes Gut von der Natur ausgehe, während er doch dieselben Beweisgründe und Aussprüche, welche diese aufgestellt hatten, benutzte.

      Kap. XVII. (§ 46.) Ich kann es nicht billigen, dass, nachdem Ihr nur in das Sittliche das höchste Gut verlegt habt, denn doch wieder es für nothwendig anerkennt, Anfänge, die der Natur angemessen und entsprechend sind, aufzustellen und die Tugend in der Auswahl unter diesen bestehen zu lassen. Ihr durftet die Tugend nicht in eine solche Auswahl setzen, und so dem höchsten Gute noch etwas Anderes anfügen; vielmehr muss Alles, was man ergreifen, auswählen und wünschen soll, in dem höchsten Gute selbst enthalten sein, damit Dem, welcher es erreicht hat, nichts abgehe. Siehst Du nicht, wie klar für Die, welche das höchste Gut in die Lust setzen, vorliegt, was sie zu thun und zu unterlassen haben? Bei diesen zweifelt Niemand, wohin all ihre Pflichten abzielen, was er aufsuchen und vermeiden solle. Und wenn das von mir vertheidigte als das höchste Gut anerkannt wird, so erhellt auch hier sofort, welche Pflichten bestehen und was zu thun ist. Bei Euch dagegen, die Ihr nur das Rechte und Sittliche als höchstes Gut anerkennt, sucht man vergebens die Grundlage für die Pflichten und die Handlungen. (§ 47.) Um diese Grundlage zu gewinnen, müssen Alle, sowohl Die, welche sagen, dass sie nur dem nachgehen, was ihnen einfällt oder in dem Sinn kommt, als auch Ihr, zur Natur zurückkehren; und die Natur wird Euch und Jenen mit Recht antworten, dass es falsch sei, wenn man das Endziel des glücklichen Lebens wo anders suche, aber doch die Grundsätze des Handelns von der Natur entnehme; vielmehr müsse dieselbe Grundlage sowohl die Grundsätze des Handelns, wie das höchste Gut befassen. So wie die Ansicht Aristo's schon beseitigt ist, wonach kein Unterschied in den Dingen bestehn, und es neben den Tugenden und Lastern nichts geben soll, wobei eines mehr werth sei als das andere, so irrt auch Zeno, wenn er nur in der Tugend oder dem Laster und in sonst keinem Dinge die geringste Bedeutung für die Erlangung des höchsten Gutes findet. So soll also alles Andere für das glückliche Leben keine Bedeutung haben, aber dennoch soll unter demselben Einzelnes das Begehren bestimmen; als ob dieses Begehren in keiner Beziehung zu dem höchsten Gute stehe. – (§ 48.) Was ist widersprechender, als wenn die Stoiker nach Erkenntniss des höchsten Guts zur Natur sich zurückwenden, um aus ihr die Grundlagen für das Handeln, d.h. für die Pflichten zu gewinnen? Nicht das Handeln oder die Pflicht treibt zu dem Begehr des Naturgemässen, vielmehr wird von diesem das Begehren und das Handeln erweckt.

      Kap. XVIII. Ich komme nun zu den kurzen Aussprüchen, welche Du als Folgesätze bezeichnetest; zunächst zum kürzesten von allen: Alle Güter sind lobenswerth und alles Lobenswerthe ist sittlich, mithin sind alle Güter sittlich. Oh! welch bleierner Dolch! wer wird Dir den ersten Satz zugeben; denn dann bedürfte es nicht des zweiten; da, wenn alle Güter lobenswerth sind, sie auch alle sittlich sind. (§ 49.) Niemand, mit Ausnahme des Pyrrho, Aristo und seiner Gesangsgenossen, wird Dir dies zugestehen, und deren Ansichten theilst Du nicht; dagegen wird Aristoteles, Xenokrates mit all ihren Anhängern es nicht einräumen, da ihnen auch die Gesundheit, die Kräfte, der Reichthum, der Rahm und vieles Andere als ein Gut gilt, ohne dass sie sie für lobenswerth halten. Wenn schon diese Männer so verfahren, welche das höchste Gut nicht ausschliesslich in die Tugend setzten, aber die Tugend doch allem Andern voranstellten, was kann man da erst von Denen erwarten, welche die Tugend überhaupt von dem höchsten Gute ausschliessen, wie Epikur, Hieronymus und selbst Jene, die an dem höchsten Gut des Carneades festhalten? (§ 50.) Selbst Callipho und Diodor könnten Dir dies nicht zugestehen, da sie mit der Sittlichkeit noch etwas Anderes, davon Verschiedenes, verbinden. Wirst Du aber, mein Cato, aus nicht zugestandenen Vordersätzen das ableiten wollen, was Du brauchst? – Aber nun kommen wir zu jenem Kettenschluss, obwohl Ihr diese Art von Schlüssen für fehlerhaft haltet. Er lautet: Was ein Gut ist, das ist auch wünschenswerth, und was wünschenswerth ist, das ist zu erstreben, was zu erstreben ist, das ist löblich, und so weiter die übrigen Glieder. Auch hier kann ich nicht nachgeben. Denn in dieser Weise wird Niemand Dir zugestehen, dass das zu Erstrebende löblich sei. Am wenigsten folgerecht, sondern besonders fehlerhaft ist ferner der Schluss, wo Jene, nicht Du, sagen, dass ein ruhmwürdiges Leben auch ein glückliches sei, weil ohne Sittlichkeit Niemand mit Recht gerühmt werden könne. (§ 51.) Polemo wird das dem Zeno zugestehen; ebenso sein Lehrer und seine Anhänger und die Uebrigen, welche die Tugend zwar Allem weit voranstellen, aber ihr doch bei Bestimmung des höchsten Guts noch Etwas beifügen. Aber wenn es auch richtig ist, dass die Tugend des Rühmens werth ist und in unbesiegbarer Weise allem Anderen voransteht, und Jemand auch mit der Tugend allein und ohne sonst etwas glücklich sein kann, so kann man Dir doch nicht zugestehen, dass nur die Tugend und sonst Nichts zu den Gütern zu rechnen sei. Dagegen werden Die, für welche das höchste Gut die Tugend nicht enthält, wahrscheinlich nicht zugestehen, dass Der ein glückliches Leben habe, welcher mit Recht gerühmt werden kann, obgleich auch Diese den Ruhm mitunter zu der Lust rechnen.

      Kap. XIX. (§ 52.) Du siehst also, dass Du entweder Sätze benutzest, die man nicht zugesteht, oder dass Sätze, die man zugesteht, Dir nichts nützen. Ich möchte vielmehr annehmen, dass bei allen diesen Schlussfolgerungen es uns und der Philosophie am Besten anstünde, namentlich bei Aufsuchung des höchsten Guts, unser Leben, unsere Absichten und Pläne zu verbessern und nicht blos die Worte. Wer kann, wenn er jene kurzen und scharfsinnigen Sätze hört, die Dir so gefallen, seine eignen Ansichten aufgeben? Man erwartet und horcht, zu vernehmen, weshalb der Schmerz kein Uebel sei? Man hört zwar, dass


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