Gesammelte Werke: Science-Fiction-Romane + Abenteuerromane + Erzählungen. Dominik Hans
Unterhalb des Hauses … da bildet der Bach einen kleinen See … da kann ich sie finden … die Ruhe … die Erlösung von aller Qual …«
Sie raffte sich von ihrem Lager empor.
»Ja! … ja … ja …«
Die Festigkeit des gefaßten Entschlusses prägte sich in ihren Mienen aus. Schnell schritt sie zur Tür, um sie zu öffnen. Mochte irgendeine unheimliche Kraft ihr die Flucht aus diesem Hause zu den Menschen hindern, die Flucht in die Ewigkeit sollte ihr niemand verbieten.
Sie griff den Türdrücker und öffnete die Tür.
Die keifende Stimme der schwarzen Abigail drang ihr ans Ohr. Offenbar war die Alte dabei, irgendeinem Besucher den Zutritt zu verwehren, vielleicht einen Hausierer abzuweisen.
»Kann ich nicht einmal sterben?« … Sie wollte die Tür wieder leise ins Schloß drücken … Da … ihre Hand umkrampfte den Drücker.
Welche Stimme? … Der Fremde … Mit einem Ruck riß sie die Tür auf.
»Silvester!« Ein Schrei aus tiefstem Herzen. Mit geschlossenen Augen lehnte sie an dem Türrahmen und streckte die Hand nach ihm aus.
»Silvester …!«
Sie sah es nicht, wie Abigail, von einem kräftigen Faustschlag getroffen, in eine Ecke flog, wie ein Mann mit Tigersprüngen die Treppe hinaufdrang, sie fühlte nur, daß sie am Herzen Silvesters ruhte, daß eine leichte, weiche Hand ihr Gesicht streichelte, daß Worte der Liebe und des Glückes ihr Ohr trafen.
Erik Truwor arbeitete allein im Laboratorium zu Linnais. Nach den Plänen Silvesters baute er den neuen Strahler zusammen. Der Apparat war viel größer als der erste, den die Freunde mit auf die Reise genommen hatten. Der neue Strahler nahm immerhin den Raum eines mäßigen Schrankes ein.
Aber er war geradezu lächerlich klein, wenn man seine Wirkungen betrachtete. Die neue Konstruktion konnte zehn Millionen Kilowatt telenergetisch konzentrieren. Diese Riesenleistung wurde nur dadurch möglich, daß der Apparat die Energie nicht mit den hergebrachten Mitteln erzeugte, sondern nur die überall im Raum vorhandene Energie freimachte.
Es drehte sich um die alte, schon von Oliver Lodge zum Anfang des Jahrhunderts aufgestellte Hypothese, daß in jedem Kubikzentimeter des äthererfüllten Raumes ein Energiebetrag von zehn Milliarden Pferdekraftstunden in latenter Form vorhanden ist. Etwa so, wie die Pulverladung einer Mine Hunderttausende von Metertonnen enthält. Der Fingerdruck eines Kindes genügt, um diese gewaltige Energie zu entfesseln. Es ist nur notwendig, daß dieser schwache Druck die Knallkapsel zur Entzündung bringt, die dann die Mine detonieren läßt.
»Das Problem der telenergetischen Konzentration ist praktisch gelöst.« Stolz und siegesgewiß hatte Silvester die Worte gesprochen. Wenige Stunden, bevor er in windender Sturmfahrt nach Westen ausbrach, um von dort sein Liebstes zu holen.
Die letzte Schwierigkeit, die noch zu lösen blieb, betraf das genaue Zielen. Es war notwendig, das entfernte Objekt, auf welches der Energiestrom gerichtet wurde, zu sehen. Erik Truwor fühlte die reine Freude eines intellektuellen Genusses, als er die Aufzeichnungen Silvesters durchlas. Die aus dem Strahler entsandte Formenenergie reflektierte zu einem winzigen Teile von der Konzentrationsstelle zum Strahler zurück und entwarf hier ein optisches Bild dieser Stelle. Jetzt, da er es las, schien es ihm beinahe trivial einfach. Eine simple Rückmeldung, wie sie in der Technik an tausend Stellen seit hundert Jahren gebräuchlich war. Nach der Theorie mußte sich auf der weißen Mattglasscheibe des neuen Strahlers ein genaues Bild des Ortes zeigen, an dem die Energie sich konzentrierte.
Er schaltete den Apparat ein. Nebel wallten auf der Scheibe hin und her. Es flimmerte durcheinander. Gestalten wollten sich bilden, doch es wurde kein klares Bild.
Noch einmal überprüfte er die Schaltung. Dann machte er sich an die Arbeit. Die Stunden verrannen. Er spürte es nicht. Die Mitternacht verstrich, und der Morgen kam. Niels Nielsen, der alte, noch vom Vater überkommene Diener, fand seinen Herrn im Laboratorium in die Arbeit versunken.
»Herr Erik, Ihr Bett blieb unberührt.«
Erik Truwor winkte ab und riß ärgerlich einen Draht heraus, den er falsch geschaltet hatte.
»Stören Sie mich nicht.« Der Diener ging.
Stillschweigend erschien er wieder und stellte eine Platte mit kalter Küche auf einen Seitentisch.
Erik Truwor hatte die Schaltung vollendet. Schaltete ein und sah noch weniger als zuvor. Ein schwerer Fehlschlag! Rastlos arbeitete er weiter.
Erik Truwor spürte Hunger. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß er seit vierzehn Stunden im Laboratorium arbeitete.
Automatisch begann er zu essen. Der starke schwarze Kaffee erfrischte ihn. Während er aß und trank, gewann er Distanz zu seiner Arbeit. Er fand die Kraft, völlig von neuem zu beginnen. Er prüfte die Schaltung Silvesters. Hier war eine Verbesserungsmöglichkeit.
Die sekundären Erscheinungen mußten zurückgehalten werden. Es bestand Gefahr, daß sie den gewollten Effekt überwucherten.
Erik Truwor arbeitete. Und aß in langen Pausen. Die zweite helle Nordlandsnacht brach herein.
Der Diener kam. »Vielen starken Kaffee!« Mit dem Befehl jagte ihn Erik Truwor aus dem Laboratorium. Die Vorzüge der veränderten Schaltung wurden ihm immer einleuchtender, je weiter er baute und schaltete.
Die zweite Nacht verging und der zweite Vormittag. Er zog die letzte Schraube fest und suchte seiner Aufregung Herr zu werden.
Mit zitternder Hand schaltete er den Strahler ein. Nebel zogen über die Mattscheibe.
Er regulierte an den Mikrometerschrauben. Der Nebel löste sich. Blaue und grüne Flächen wurden sichtbar.
Er mußte sich setzen. Die Knie versagten ihm. Dann ein gewaltsames Aufraffen. Ein letztes Drehen an der Feinstellung. Scharf und deutlich zeigten sich die Föhren, die zwanzig Kilometer entfernt am Unterlaufe des Tornea standen. Erik Truwor kannte die Stelle.
Die Mattscheibe bot ein Bild, wie man es seit langen Jahren in der photographischen Kamera beobachten konnte. Doch das Bild hier wurde auf ganz andere Weise gewonnen. Es kam nicht rein optisch, sondern energetisch zustande.
Der Wurf war geglückt. Er stellte den Strahler ab und warf sich erschöpft auf das Ruhebett im Laboratorium.
Mit offenen Augen lag er dort und starrte zur Decke. Die Macht lag jetzt in seiner Hand. Die Macht, die Menschen nach seinem Willen zu zwingen. Zu Asche zu verbrennen, was ihm widerstrebte. Eine Macht, wie sie nie zuvor ein einzelner Mensch besessen hatte.
Er fühlte die furchtbare Verantwortung, die mit der Macht verbunden war … und dann wurden seine Gedanken sprunghaft. Die Natur forderte ihr Recht. Die Augen fielen ihm zu. Nach vierzig Stunden intensivster Arbeit verlangte der Körper Ruhe.
Es wurde nur ein fieberhafter Halbschlaf. Der Geist war zu erregt und riß den Körper mit.
Er fuhr empor. Drei Stunden hatte er im Halbschlummer gelegen. Im Augenblick war er wieder vollkommen wach. Der Schreiber der drahtlosen Station hatte in der Zwischenzeit gearbeitet. Er las die Zeichen auf dem Papierstreifen: »Haben den Ring. Gehen nach Elkington, Reynolds-Farm, Jane zu holen.«
Er rieb sich die Stirn. Jane nicht in Trenton? Aus dem Atlas entnahm er die genauen Koordinaten und richtete den Strahler. Die Nebel wogten. Jetzt ruhigere Linien. Grünes Feld. Ein Farmhof. Er regulierte und konnte jede Fuge und Maserung der Hoftür erkennen.
Eine Gestalt schritt von links her in das Bild … Silvester Bursfeld. So scharf und deutlich, als ob er in Greifweite stünde. Silvester kam allein und hatte nicht einmal den kleinen Strahler an der Seite.
Erik Truwor wollte dem Freunde etwas zurufen und vergaß, daß er durch tausend Meilen von ihm getrennt war.
Eine andere Gestalt hob sich auf der Bildfläche ab. Ein schwarzes, häßliches Negerweib. Erik Truwor sah, wie sie Silvester vom Hofe zu weisen versuchte, wie der Freund sie zurückdrängte und der Haustür zuschritt. Wie das Negerweib