Inseldämmerung. Bent Ohle

Inseldämmerung - Bent Ohle


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alles. Neue Möbel, neue Gardinen, neue Tassen, eine neue Wohnung, ein neues Leben.

      »Aber für dich hab ich was. Es ist nur noch nicht eingepackt.« Anette stand eilig auf.

      »Mama, lass doch. Das ist …« Simon gelang es nicht, sie von ihrer Idee abzubringen.

      »Nein, nein, ich bin gleich wieder da.«

      Sie verließ das Wohnzimmer und raschelte im großen Kleiderschrank im Schlafzimmer herum.

      »Sie hat das Ding unten bei ›Eddi’s Kiosk‹ gesehen«, informierte ihn Armin mit einem fast vorwurfsvollen Blick. »Ich fand’s überteuert, so was kauft man doch nicht im Kiosk.« Er schüttelte den Kopf und widmete sich wieder dem Bildschirm.

      Anette kam zurück.

      »So, eine Kleinigkeit für dich«, sagte sie und legte ein silbernes Sturmfeuerzeug vor Simon auf den Tisch.

      Er nahm es in die Hand und klappte es auf.

      »Das funktioniert wohl irgendwie elektrisch, und man kann es an den Computer anschließen mit UPS«, erklärte sie.

      »USB«, korrigierte Simon. »Vielen Dank, Ma.«

      Er nahm es an sich und zündete einmal. Ein blauer Blitz knisterte zwischen zwei Elektroden auf. »Kann ich gut gebrauchen.«

      Vielleicht konnte er so etwas tatsächlich gut gebrauchen bei ihrem Vorhaben. Der Sturm war im Anmarsch, und hiermit war er gewappnet.

      Seine Mutter setzte sich erfreut auf ihren Platz und leerte ihren Kaffee.

      Armin grummelte unzufrieden auf der Couch, ob wegen des Programms oder wegen des Geschenks, konnte man nicht sagen.

      Simon sah auf die Uhr. Brockhaus war bereits draußen. Heute Abend würden sie zum ersten Mal miteinander sprechen. Nicht persönlich, aber über ein Spiel auf der Playstation. Er hatte ihnen einiges aufgetragen. Das meiste davon war erledigt, aber es gab noch ein paar Dinge, die sie besorgen und um die sie sich kümmern mussten.

      »Ich muss los«, sagte Simon leise zu Anette. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Immerhin war sie seine Mutter, und wer wusste, wann er sie wiedersah.

      »Oh, wie schade«, meinte sie und legte ihr Gesicht in Sorgenfalten.

      »Ja, ich hab noch einen Werkstatttermin«, log Simon, und sie erhoben sich.

      Anette drückte ihren Sohn kurz, aber fest. Simon winkte Armin zu, der seinerseits kurz die Hand von der Lehne hob und hustete. Dann ging er. Er stieg im Hausflur die Treppe bis ins Erdgeschoss hinab. Seine Schritte hallten laut von den Wänden wider. Kaum war er draußen auf dem Fußweg und die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, flüsterte er: »Scheiße, Mann. Ich muss ihr was schicken.«

      Erst mal musste er aber seinen Job machen, dann kam lange, lange gar nichts. Da konnte er dann ausgiebig darüber nachdenken, wie seine Mutter etwas von dem Geld bekommen konnte.

      Was für ein Scheißleben, dachte er, knickte einen Ast an einer Hecke ab und warf ihn auf die Straße.

      Hamburg-Ahrensburg, Fritz-Reuter-Straße, 16:41 Uhr

      Martin schloss mit dem kleinen Piet auf dem Arm die Haustür auf und zog den Kinderwagen hinter sich her die Stufen hinauf, raus aus dem Regen, der sie überrascht hatte.

      »So eine Scheiße«, fluchte er, als sein Sohn Joshua von oben die Treppe heruntergepoltert kam.

      »Was’n los?«

      »Na, es regnet!«, rief Martin und wischte Piet das Gesicht trocken. »Hab dieses Regendings vergessen … das Cape, den Umhang, die Hülle …«

      »Ja, ja, hab schon verstanden«, entgegnete Joshua gelangweilt und wollte weiter in den Keller.

      »Kannst du ihn kurz halten?«

      »Ich muss zum Training!«

      »Nur einen Moment, hier ist alles nass, ich wische nur schnell.«

      Joshua streckte die Hände aus und lächelte seinen kleinen Bruder an. Erleichtert gab Martin Piet an Joshua ab, der sogleich Grimassen machte und Piet zum Lachen brachte.

      »Gar nicht so einfach, die Elternzeit, was?«, fragte Joshua, während Martin den Flur wischte.

      »Was soll das heißen?«

      »Nichts, ich meine nur. Du siehst gestresst aus.«

      »Na, Zuckerschlecken mit Füßehochlegen ist es jedenfalls nicht.«

      »Hast du es deshalb bei mir und Dani nicht gemacht?«

      Martin stützte sich auf den Stiel des Wischers.

      »Ach, damals war das noch nicht so gang und gäbe, weißt du? Die Zeiten haben sich geändert.« Er wischte weiter.

      »Ja, eben denkst du noch, du bist Manager, und schon wachst du als Hausfrau wieder auf, was?«

      Martin blickte auf. Hatte Joshua einen Scherz machen wollen, oder meinte er das ernst? In letzter Zeit fiel er mit sehr zynischen Kommentaren ihm gegenüber auf. Martin hatte das auf die Pubertät geschoben und auf seine beginnende rebellische Ader, die wohl in jedem einmal aufkeimt.

      »Wann kommt Mama nach Hause?«, fragte Martin.

      »Das musst du doch wissen, ist doch deine Frau«, sagte Joshua und hob seinen Bruder in die Luft.

      »Hast du irgendwas?«, hakte Martin nach. Er folgte seinem Sohn in die Küche.

      »Nein, ich muss nur zum Training.«

      »Schon gut, ich nehm ihn wieder«, sagte Martin.

      Er legte Piet auf seine Decke im Wohnzimmer und begann, in der offenen Küche ein Fläschchen Milch für ihn warm zu machen. Daniela glitt lautlos auf ihren Plüschhausschuhen ins Wohnzimmer, den Blick auf ihr Handy gerichtet und trotzdem den Weg zum Sofa findend.

      »Hallo, Dani«, grüßte Martin.

      »Hi, Dad.«

      »Weißt du, wann Mama heute nach Hause kommt?«

      »No«, antwortete sie, ohne aufzublicken.

      Die Haustür wurde aufgeschlossen.

      »Da ist sie«, sagte Daniela beiläufig und ganz auf ihr Handy konzentriert.

      »Danke, Schatz.« Martin grinste und lugte um die Ecke in den Flur. »Hi, wie war’s?«

      »Sogar am letzten Schultag können einem die Ferien noch verdorben werden«, schimpfte Alexandra und warf ihre Jacke über den Garderobenhaken. Sie fiel herunter. Alexandra blieb mit hängenden Schultern stehen.

      »Na, komm, ich helf dir.«

      Martin hob die Jacke auf und hängte sie an den Haken. Dann nahm er seine Frau in den Arm.

      »Was war los?«

      »Dieser Vater besitzt doch tatsächlich die Frechheit und beschuldigt mich, seinen Sohn angestachelt zu haben. Ich hätte mich wohl falsch verhalten und seinen Jungen dazu gebracht, im Unterricht mit seinem Etui nach mir zu werfen.«

      »Ich wusste, du bist schuld«, sagte Martin, und Alexandra lachte traurig in seine Schulter hinein. »Jetzt sind Ferien. Morgen fahren wir in den Urlaub. Du brauchst dir um nichts mehr Gedanken zu machen.«

      »Gibt’s Probleme?«, fragte Joshua, der mit einem Wäscheberg auf dem Arm aus dem Keller kam.

      »Joshi, ich denk, du bist längst beim Training«, sagte Martin leicht vorwurfsvoll.

      »Josha, Papa, Josha. Ich musste erst meine ganzen Klamotten abhängen.«

      »Ach, du Armer.«

      »Was ist mit dir, Mama?«

      »Alles gut«, wiegelte Alexandra ab. Sie löste sich aus Martins Umarmung. »Da war nur so ein Vater, der mich angegriffen hat …«

      »Angegriffen?«, fragte Joshua alarmiert.


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