Der Heidekönig. Max Geißler

Der Heidekönig - Max Geißler


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Posten, und sein entschiedenes Moorbauerngesicht log die Gleichgültigkeit, die es spiegelte, neugierigen Augen nicht nur vor. Nein nein, diese Gleichgültigkeit war echt wie sein Herz.

      An einem Apriltage traf Nele Greefs zum erstenmal wieder zu freundlichem Plausche mit ihm zusammen. Sie bog von dem Weg aus der Moorheide zu ihm herüber. Er hatte den blauen Zwilchanzug über sein Alltagsgewand gestreift und stapfte in den breiten Holschen zwischen den Beeten dahin, zwischen den langen Beeten — der Frühling drängte aus der dunkelbraunen Moorerde nur so hervor: Scilla, Tulpen, Hyazinthen, Narzissen — hurrjeh, es war überweltlich! Gegen dies Funkelwunder der erwachten Erde war die lichte Aufgetanheit der Nele Greefs an jenem gefrorenen Weihnachtstage nun doch ein recht bescheidenes Spiel — dachte Matheis Maris. Ja. Und dennoch: er dachte daran.

      „Nun, Nele Greefs?“

      „Es ist fein, wie du es da blühen lässt, Matheis Maris! Wir da drüben plagen uns mit Dünger und Kleinvieh herum.“

      „Wir da hüben auch, wenn es wachsen soll.“

      „Es ist aber eine andere Sache. Du lässt jede Krume blühen, jede schwarze Erdkrume auf — na, ich schätze: auf drei Morgen Land. Wenn mir einer sagt, es wäre im Himmel schöner, wo die kleinen Engel die goldenen und sibernen Sternblumen aufgehen lassen, so lach ich ihn aus.“ Matheis Maris sah das blonde Mädel an. Er wusste, das Himmelsbild hatte sie sich von einem anderen malen lassen. „Als die Krokus blühten — das war auch fein! Man dachte: darüber hinaus gäbe es nichts an Frühlingsherrlichkeit ... Warum sagst du denn gar nichts, Matheis Maris? Weil du ein reicher Mann geworden bist, seit wir Stijn Maris begraben haben?“

      „Ich habe zu keiner Zeit viel gesagt.“ Er deutete gegen die blühende Erde. „Vor dieser Osterpredigt ist Menschenwort Geschwätz, Nele Greefs. Höchstens die Lerchen haben da noch ein bisschen zwischenzureden. Verstehst du mich?“

      „Hm,“ machte Nele Greefs. „Nun, man kennt dich ja! Um die Sterbezeit von Stijn Maris hätt’ ich dir auch gern ein Wort gesagt. Aber es liegt dir nichts daran. Weisst du, wir hier draussen am Rande der Erde sollten miteinander umgehen wie Nachbarsleute. Die Viertelstunde Wegs über die Heide könnte man sich in jeder Woche ein paarmal erübrigen. Was meinst du dazu, Matheis Maris?“

      „Ja doch. Wenn man Sehnsucht nacheinander hätte, so würde sich die Zeit dazu wohl heraus schlagen lassen.“

      „Sehnsucht! Denkst du, unsereiner hat keine Sehnsucht, wenn er mit seinem Jungsein so allein ist da drüben?“

      Matheis Maris kniete nun zwischen den Blumen und wühlte mit der Hand in der atmenden Frühjahrserde. „Hast du Sorge, dass dir der Mund zuwächst?“

      Sie wurden immer gleich steil voreinander. Nur an jenem gefrorenen Weihnachtstage waren sie mitsammen gegangen in der Harmlosigkeit aus den Schuljahren — auf der Stiege zum Tanzboden war sie aber schon zerbrochen. Matheis Maris hatte über seinen Arbeiten in den Kulturen im Februar und März gründlich über den Fall nachgedacht. Und wenn er sich einmal zu einer Erkenntnis durchgerungen — was mit einem Aufwande von Bedacht geschah —, dann musste ein gewaltiger Wandel der Dinge eintreten, ihn eines anderen zu belehren. — Nele Greefs hatte das vor.

      Ja. Aber der Weihnachtstag lag zwischen ihnen. Sie dachte, Matheis Maris hätte auf diese Stunde der Abrechnung gewartet. Dass er sich so fest zuschloss vor ihr — nun, das lag in seiner Moorbauernnatur; denn Blumenzüchter sind von anderer Art. Und dass er sie damit peinigte — es war unbequem. Freilich. Aber sie musste wohl stillhalten. Wenn man das hübscheste Mädchen ist neun Meilen in der Runde, so darf man am Ende auch einmal eine Dummheit machen wie jene auf dem Tanzboden ... Inzwischen war Stijn Maris gestorben, der einen Ruf als Blumenzüchter gehabt hatte. Die Dinge lagen auch sonst anders um Nele Greefs. Es war, als hätten sich die Burschen gegen sie verschworen, weil sie an jedem etwas auszusetzen hatte. „Matheis Maris,“ sagte sie, „ich habe seit dem Tode deines Vaters ungeheuer oft an dich gedacht. An jedem Tag ein paarmal. Und ich sehe dir oft zu, wenn du in den Kulturen arbeitest.“ Sie setzte sich auf eine Kiste. Die Haarschnecken, die sie sich über den Ohren gedreht hatte, flimmerten in der Sonne. Und ihr Herz flimmerte auch.

      Matheis Maris merkte, wohin sie zielte. Zuerst redete sie in abgebrochenen Sätzen — denn sie hatte zuvor nie nötig gehabt, zu werben. Aber Matheis Maris war aus Eichenholz. Da war das eine andere Sache. Und es konnte kein Mensch erlauschen, was sie miteinander sprachen. Die Schuppen und Keller lagen weit rückwärts gegen das Haus hin. Da zog Nele Greefs auf mit dem klingenden Spiel ihres Lachens und ihrer funkelnden Jugend. — Nun, Matheis Maris war sein Lebtag keinem ins Wort gefallen.

      „Es ist gut und umsichtig, was du dir da ausgedacht hast, Nele Greefs,“ sagte er danach, „aber es geht nicht hinaus über unsere Grenzsteine.“ Und dass Matheis Maris in jeder Feierstunde vor der Natur sass, sie abzubilden mit Stift, Kohle und Farben, das war ihr nicht einer kleinen Rede wert gewesen! Sie trachtete, den beiderseitigen Besitz einmal zusammenzuwerfen. Aus dem Eselein, mit dem die Maris ihre Blumenzwiebeln über die Heide zur Bahn fuhren, könnten dann leicht zwei Pferde werden, und aus den Geissen auf der Weide ein Dutzend bunte Kühe. „Wäre das nicht etwas?“ — „O ja.“

      Aber die Gedanken des Matheis Maris — wenn er einmal recht voll von sich selber war — die Gedanken des Matheis Maris fingen ihre grosse Reise erst an, wo die von Nele Greefs aufhörten. Seiner Klugheit, seines Fleisses, seiner tätigen Wortkargheit hatte sie gedacht. Sie war lustig geworden an diesem, und sie legte einen gewichtigen Respekt in ihre Worte vor jenem. Nur die Malerei des Matheis Maris war ihr nicht der geringsten Rede wert! Deshalb sagte er: die Welt finge für ihn erst an, wo sie für Nele Greefs aufhörte. Das verstand sie nicht. Da erklärte er ihr: seine Brüder Jakob und Willem seien in der Lehre bei tüchtigen Malermeistern, seit vierzehn Tagen; der eins in Utrecht, der andere in Amsterdam — weil die kleine Blumenzucht ihrer drei nicht trüge. Er aber wolle das Anwesen verkaufen, wenn es soweit wäre, dass sie ihrer Mutter einen Zuschuss an Geld geben könnten. Einen Augenblick dachte er auch daran, der Nele auseinanderzusetzen, welch ein Unterschied zwischen der Malerei wäre, die er triebe, und jener, die seine Brüder erlernten. Aber nur einen Augenblick; denn bei diesem Gedanken machte sein Herz eine halbe Drehung wie ein Soldat, der einen Befehl erhalten, und marschierte über die Grenzsteine, die Nele Greefs so mädchenklug aufgerichtet hatte — marschierte hinaus ins blaue Land.

      Da ging Nele Greefs ihres Wegs. Einmal noch blieb sie stehen. Es war für sie nun eine ausgemachte Sache: die Leute hatten recht, die da behaupteten, im Kopfe des Matheis Maris wäre nicht alles in Ordnung. „Nun, ich werde noch manchmal an dich denken, Matheis Maris. Aber viel Gutes für dich wird dabei nicht herauskommen.“ — „Siehst du,“ sagte er, „das ist die Hürde, die zwischen uns steht! Ich muss begraben in mir wie eine Erinnerung, dass du so schön bist und in deiner Art klug und dass ich dich lieb gehabt habe, seit ich denken kann.“ Da richtete er sich in seiner ganzen Länge vor ihr auf: „Nele Greefs, blanke blonde Nele Greefs, es kann sich ein Mann wegen einer kleinen Liebe nicht ein grosses Leben zerschlagen! Bei einem Weibe ist das wohl umgekehrt.“

      Nele Greefs sah ihn mit weiten Augen an. „Matheis Maris, du hast dir das Hirn zersonnen. Ja.“ Dann ging sie hastigen Schrittes wie ein Mensch, der sich auf nächtlichem Pfade fürchtet. Sie dachte, nun müsse er mit langen Sprüngen hinter ihr dreinkommen und sie mit seinen Wunderlichkeiten quälen. — Sie glaubte: an allem sei der Tanzboden schuld.

      Neben den drei Morgen Blumenzwiebeln, die der alte Maris seit Jahren zu anerkannter Vollkommenheit gezogen hatte, lag da noch eine Fläche für Freiland-Rhododendren und Azaleen. Die abseitige Lage machte den Versand beschwerlich und den Ertrag des Geschäftes bescheiden. Aber die Freude des Stijn Maris hatte das nicht gemindert. Er hatte auf seine Söhne gewartet, und er hatte wohl auch davon geträumt, dass einst eine Zweigbahn durch die Stille dieser Moore führen würde, die sein Werk mit einem Male zu der Grösse bringen sollte, die ihm vorschwebte. — Dann starb er.

      Die tiefe Liebe zu dem, was er mit herzlicher Hingabe geschaffen, hatte von seinen Söhnen nur Matheis überkommen. Stijn Maris hatte die Gärtnerei in Harlem erlernt. Aber die Sehnsucht nach dem Moorlande seiner Kinderjahre, und die Fremdheit, mit der er unter den Menschen gestanden, wiesen ihm später einen eigenen Weg ins Leben. Zwischen Blumen und


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