Kreibohms Welt!. Stefan Kreibohm

Kreibohms Welt! - Stefan Kreibohm


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dass die Ernte nicht eingefahren werden konnte, weil irgendeine Schraube nicht in „mein“ Gewinde passte. „Nein!“, dachte ich damals, „so etwas wie hier, das Arbeiten mit all den Maschinen, das Feilen – das willst du niemals im Leben mehr machen. Du musst einen Beruf wählen, bei dem du ein Büro hast, einen Schreibtisch, einen Stift – und versuchst, wenigstens wichtig zu gucken.“

      Glücklicherweise deutete sich ziemlich schnell an, dass es zumindest in diese Richtung gehen würde, denn, wollte ich mir meinen vom Wetter geleiteten Berufswunsch erfüllen, musste ich mich schon mit dem Halbjahreszeugnis der 9. Klasse bewerben. Der Zensurenspiegel schien den Anforderungen zu entsprechen, bekam ich doch rasch die Zusage. Als einer der ersten meines Jahrganges hatte ich einen Lehrvertrag in der Tasche. Kein Lehrer konnte sich daran erinnern, dass jemals einer seiner Schüler „Technischer Assistent für Meteorologie“ werden wollte. Und es nun auch noch werden konnte mit seinem Lehrberuf beim Meteorologischen Dienst der DDR in Potsdam. Am 1. September 1986 sollte es losgehen. Ich freute mich darauf.

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      Der Wetterbeobachter

      Den Beruf des Technischen Assistenten für Meteorologie (TAM) auszuüben, bedeutete Schichtdienst, selbstverständlich auch an Wochenenden und Feiertagen, denn das Wetter macht schließlich niemals Pause. Für eben dieses Wetter war man zuständig, genauer gesagt: für die Beobachtung des Geschehens am Himmel sowie das Messen bestimmter meteorologischer Parameter. Dies geschah allerdings nicht nach Lust und Laune, sondern nach einem exakt festgelegten, minutengenauen Plan.

      Alle Wetterbeobachter sind angehalten, sich an diesen Plan zu halten, wirklich alle, auf der ganzen Welt. Jede Wetterstation ist Bestandteil eines weltumspannenden Mess- und Beobachtungsnetzes. Sinn und Zweck ist es, das Wetter in seiner gesamten Bandbreite zu erfassen – und dies mit vergleichbaren Methoden. So schauen überall auf der Erde Wetterbeobachter zur gleichen Zeit in den Himmel. Das synchrone Betrachten der Vorgänge in der Atmosphäre gibt dem Teilbereich der Meteorologie, der sich mit aktuellem Wetter und seiner Vorhersage beschäftigt, seinen Namen: Synoptische Meteorologie, kurz Synoptik genannt.

      Im Fachjargon ist die mindestens stündlich erfolgte Meldung eines Wetterbeobachters an die Zentrale Sammelstelle des nationalen Wetterdienstes ein SYNOP. Ohne diese SYNOPs geht gar nichts oder zumindest nicht viel. Sie sind die Grundlage für die Wettervorhersage, denn nur durch sie erfahren die Meteorologen, wie sich das Wetter auf der Welt oder in ihrer Region, für die sie zum Beispiel eine Vorhersage machen sollen, gestaltet. Theoretisch könnte also jeder Meteorologe, der sich der synoptischen Wettervorhersage widmet, erfahren, wie das Wetter an jedem Ort der Welt gerade ist, vorausgesetzt, dieser Ort hat eine Wetterstation und sein Wetterdienst stellt die Daten zur Verfügung.

      Wetterstationen gibt es auf Bergen, in Tälern, in Städten und Dörfern, mitten in der Pampa oder in der Wüste. Das Netz ist nicht überall eng gesponnen, je nach Besiedlungsdichte liegen zwischen den Messpunkten wenige oder hunderte Kilometer. Je dichter es ist, desto besser kann man den Istzustand erfassen.

      In der DDR war der Meteorologische Dienst für das Erfassen der Wetterdaten zuständig und beschäftigte dafür Technische Assistenten für Meteorologie. Ein Knochenjob. Musste man doch pro Stunde mindestens einmal aus seinem Bürostuhl aufstehen und vor die Tür gehen, natürlich bei Wind und Wetter. Ziel war, zu erfassen, wie sich das Wetter gerade darstellte. Bevor weite Teile der Datenerfassung automatisiert wurden, gab es zum Beispiel die Temperaturmessung „von Hand“. Die Thermometer hingen in einer schneeweißen „Thermometerhütte“, diese schirmte die Messinstrumente von jeglicher Sonnenstrahlung ab, was auch die immer vorhandene Rückstrahlung des Erdbodens einschloss. Alte Hütten waren aus Holz, die neueren aus Plastik. Die Lamellenwände, durch die der Wind problemlos wehen konnte, hielten den Regen von den Thermometern fern, auch unter dem leicht schrägen weißen Dach gab es kleine Lüftungsschlitze.

      Gemessen wurde stets zwei Meter über Grund und dies auf zwei Flüssigkeitsthermometern gleichzeitig. Bei einem war das kleine Flüssigkeitsgefäß des Thermometers mit einem „Strumpf“ überzogen. Das so eingepackte Gefäß tauchte man in ein kleines Gläschen, das mit destilliertem Wasser gefüllt war. Nach diesem Anfeuchten wurde mit einer speziell dafür vorgesehenen Vorrichtung Luft angesaugt und an beiden Flüssigkeitsgefäßen vorbeigeführt, aspirieren nennt sich dieser Vorgang. War die Luft trocken, verdunstete viel Wasser aus dem feuchten Strumpf, wobei Wärme verbraucht wurde. Das feuchte Thermometer zeigte folglich nach kurzer Zeit eine tiefere Temperatur an als das trockene. Hatte man mehrfach die Temperatur des Feuchtthermometers abgelesen, hörte die Temperatur auf zu sinken und die „Feuchttemperatur“ war erreicht. Je größer die Differenz zwischen beiden Temperaturwerten, desto trockener die Luft: So ließ sich die relative Luftfeuchtigkeit ermitteln und die Taupunkttemperatur. Sind trockene und feuchte Temperatur gleich, gibt es keine Verdunstung, da die vorbeiströmende Luft bereits zu 100 Prozent gesättigt ist, bei Nebel zum Beispiel. Dann ist die Lufttemperatur auch gleich der Taupunkttemperatur. Kurz: Durch das Aspirieren lässt sich feststellen, wie viel Wasserdampf in der Luft enthalten, ob sie eher feucht oder trocken ist.

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       Haus „Erika“, erster Standort des Wetterstudios Hiddensee, mit Thermometerhütte im Vordergrund (um 2000)

      Neben der Erhebung der Temperatur- und Feuchtedaten gab es alle sechs Stunden die Messung des Niederschlages und der Schneehöhe. Alle zwölf Stunden wurden zusätzlich noch die höchste und tiefste Temperatur ermittelt, dazu dienten zwei weitere Thermometer mit einer etwas anderen, aber vergleichbaren Messmethode. Ergänzend hierzu kam am Morgen die tiefste Temperatur, gemessen 5 Zentimeter über Grund. Diese Temperatur ist gemeint, wenn man von Bodenfrost spricht.

      Aber auch im Boden selbst wurde und wird gemessen, und zwar in 5, 10, 20, 50 und 100 Zentimetern Tiefe, das ist gleichfalls internationaler Standard. Interessant sind diese Daten unter anderem, um festzustellen, wie tief der Frost ins Erdreich eingedrungen ist (die sogenannte Frosteindringtiefe). Zugleich wird so der Erdbodenzustand eingeschätzt. Ist er trocken, feucht, nass oder gefroren?

      Auch Schnee musste, als ich beim Meteorologischen Dienst begann, noch ohne große automatische Unterstützung eingeordnet werden – in nassen oder trockenen, gleichmäßig oder verweht liegenden.

      Zu all diesen Messungen und Schätzungen kam die Augenbeobachtung. Wie viel Bewölkung zeigte sich am Himmel? Mit dem Zählen der Wolken kam man nicht weit, aber mit der Abschätzung des Bedeckungsgrades. Hierfür wurde der Himmel in Achtel eingeteilt und man musste überlegen, wie viel Achtel komplett mit Wolken ausgefüllt wären, würde man alles Gewölk zusammenschieben. Wichtig war auch die Bestimmung der Wolkenart, alles gemäß des internationalen Wolkenatlas’. In diesem hat man festgelegt, was eine Cumulus-, eine Schicht- oder eine Cirruswolke ist, mit all ihren Unterarten in den verschiedenen Höhen der Troposphäre.

      Doch die Augenbeobachtung ging weiter. Wie weit konnte man schauen? Jede Wetterstation hatte Sichtmarken in der näheren und weiteren Umgebung, die der Orientierung dienten. War zum Beispiel eine Kirchturmspitze in 20 Kilometern Entfernung gerade noch zu sehen und befanden sich entfernter liegende Sichtmarken hinter einem Dunstschleier, konnte man die Sichtweite auf 21 oder 22 Kilometer festlegen.

      Schließlich musste natürlich noch zur Erfassung des aktuellen Wetterzustandes festgehalten werden, ob es gerade regnete oder schneite – und wenn ja, wie stark. Diese Aspekte waren allerdings permanent zu dokumentieren, folglich hatte man im Dienst schon darauf zu achten, was zwischen den stündlichen Beobachtungsterminen draußen los war. Wenn beispielsweise Regen angekündigt war, ging es doch immer wieder vor die Tür, damit man dessen Beginn nicht verpasste. Die Wetterstation in Berlin-Dahlem besaß hierfür einen elektrischen Regenmelder, eine unter schwachem Strom stehende Metallplatte im Freien. Trafen Regentropfen darauf, ging im Dienstraum des Wetterbeobachters ein rotes Licht an. Bei Vogelschiss allerdings auch. So einen Regenmelder, eine geniale Erfindung, habe ich in meiner Laufbahn jedoch nur in Dahlem kennengelernt, die zum Meteorologischen Institut der Freien Universität gehörende


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