Der Normannenfürst. Rune Pär Olofsson
nicht länger als notwendig. Es war etwas auf dem Wege, worauf sie gehofft hatten. Vorausgesetzt, man konnte sich auf die Normannen verlassen? Botho versicherte, dass man das konnte: Er selbst würde dafür bürgen.
„Wir haben wohl mehr Freude an einem ganzen Jahr Frieden für eine Stadt als an einem normannischen Anführer im Keller“, meinte Graf Odo.
Also wurde Botho zu den Normannen herausgelassen; die übrigen Gefangenen sollten als Geiseln für ein Jahr verbleiben, zur Erinnerung, falls deren Herren sich vergessen sollten.
Während des Jahres, das vergangen war, wurde Bayeux mit großem Eifer zusätzlich befestigt. Vor einem Monat war dann die Frist ausgelaufen. Am Tag ein Jahr nach Bothos Gefangennahme segelte ein Normannenschiff die Aure herauf. Es hatte Friedensschilde aufgesetzt und war allein, weshalb sich keine Unruhe bei den Verteidigern zeigte. Das Geschäft des Schiffes war, die zurückgelassenen Geiseln zu holen. Aber Graf Odo hielt vor, in diesem Fall müssten neue Geiseln gestellt werden: Er war keinesfalls damit einverstanden, die normannischen Krieger für Nichts herauszulassen.
„Nichts? Du hast für ein Jahr Frieden erhalten. Nennst du das Nichts, sollst du bald etwas anderes erfahren. Da kann es geschehen, dass du meinst, nur ein Tag Frieden sei Gold wert.“
„Da sagst du etwas. Ich nehme gern Gold im Austausch für diese Großesser.“
Nach einer weiteren Weile Gezänk gingen die Sendboten auf das Schiff zurück. Als sie zurückkamen, waren sie mehr. Wie Odo erraten hatte, hatten sie damit gerechnet, neue Geiseln stellen zu müssen. Drei vollgerüstete Männer wurden nun zum Tor geführt, mit den Händen um die Schwertschneiden und die Griffe gegen Graf Odos Leute gewandt. Der Austausch geschah; die gefangenen Normannen wurden freigelassen und die Geiseln herein. Darauf eilten die Normannen zum Schiff, legten ab und verschwanden.
Die Geiseln wurden entkleidet und als drei friesische Nonnen befunden.
2
Die Burg in Bayeux war so gut wie von Kriegsvolk entleert. Ein gewaltiges normannisches Heer belagerte Paris und fuhr plündernd im Land darum umher. Herzog Robert von Francien, der auch Graf von Paris und dessen Vasall Graf Odo Berenger war, hatte seine Vasallen um Hilfe gebeten, die Gewalttäter aufzuhalten. Für solche Bitten waren die Vasallen ganz taub. Gewöhnlich konnten sie vorgeben, alle Hände voll zu tun zu haben, ihre eigene Grafschaft zu schützen - welche ja die des Herzogs in letzter Hand war. Aber nun, da Bayeux ein Jahr lang Frieden hatte, ohne dass die Abmachung gebrochen wurde, und die Normannen all ihre Kraft für den Überfall auf Paris gesammelt zu haben schienen, vermochte Graf Odo keine Entschuldigung zu finden. Außerdem hatte die Verwandtschaft des Grafen Lehen in dem Gebiet, das nun geplündert wurde: unter anderem Senlis, welches hoch angesehen war. Also sammelte er seine Leute und zog nach Paris. Mit ihm war der Sohn Bernhard, Popas zwei Jahre älterer Bruder. Die 18-jährige Popa wurde in Bayeux zurückgelassen. Es würde für sie dort sicherer als im Inneren des Landes sein, wenn man sie nicht bis hinauf nach Burgund führen wollte. An Senlis war da gar nicht zu denken! Aber Popa wollte nicht nachgeben, sondern von Senlis quengeln.
„Es ist nicht mal sicher, dass wir bis dorthin kommen", erklärte Graf Odo. „Und wer weiß, ob die Burg in diesem Fall standhalten könnte. Denke daran, dass die Normannen Teufel im Kriegführen sind. Die sind listig wie die Füchse und ganz schonungslos, wenn sie sich etwas in den Sinn gesetzt haben. Und etwas Schlimmeres kann ich mir nicht denken, als dass wir auf dem Weg dorthin überfallen werden und du armes Kind in deren Klauen landen solltest. Die vergewaltigen jedes Frauenzimmer, das sie zu sehen bekommen, egal ob Jung oder Alt. Färsen und Schafe helfen in Ermangelung von Besserem. So bleibst du hier in der Burg. Die Leibwachen sollen nach dir sehen und die Bürger verantworten Tore und Mauern, wenn irgendwelches loses Volk auftauchen sollte. Gehorche jetzt. Deine selige Mutter würde mir zugestimmt haben."
Popa machte eine Grimasse hinter dem Rücken ihres Vaters. Es war schlimm genug mutterlos zu sein; er brauchte sie nicht auch noch daran zu erinnern und die Tote als Rückhalt zu nehmen.
3
Mit der Belagerung von Paris ging es stockend. Um die Wahrheit zu sagen, machte sie nicht einen einzigen Fortschritt. Gewiss wuchs das Heer jeden Tag im Ausmaß: Nordmänner und Männer von den englischen Inseln, die das Gerücht über die große Belagerung gehört hatten und nun reiche und leicht gewonnene Beute winken sahen. Aber der Zuwachs des Heeres erschwerte auch die Versorgung. Man war gezwungen, immer größere Gebiete zu plündern, um das Nötigste für den Tag zusammen zu bekommen - und was wurde da aus der Belagerung! Rolf Jarl, der von den Franken Rollo genannt wurde, war mit dem meisten unzufrieden, so, wie die Sache nun stand. Sein Onkel Hulk war dem Namen nach oberster Kriegsanführer, auch wenn sich die Jarle gleich an Macht sahen und der Onkel nichts ohne deren Zustimmung tun konnte. Der Mann begann wohl alt zu werden und dazu selbstherrlich, so war es. Diese Belagerung hier betrieb er schlecht, so war es auch. Obendrein hatte sich der Narr von einem Bischof in Denain taufen lassen und dafür reiche Geschenke und schöne Versprechungen erhalten. Danach hatte er trotzdem weiter wie vorher gelebt, nicht nur, dass er sich zu Thor und Odin hielt, sondern auch seine Plünderungen fortgesetzt, entgegen dem gegebenen Versprechen.
Derartiges brachte die Nordmänner in Verruf. Wer wollte letztendlich irgendwelche Übereinkommen mit ihnen eingehen, wenn sie eingegangene Absprachen nicht einhielten?
Es war noch mehr, was schlecht war. Allzu viele befestigte Burgen hatten unangetastet zurückgelassen werden müssen. Paris würde niemals genommen werden, wenn das Land im Rücken der Nordmänner in Feindeshand verbleiben sollte. Ständig wurde die Furage von Reitern aus diesen Burgen überfallen: Ein schneller Ausfall bedeutete den Tod guter Männer und verlorene Beute, und dann, flugs waren die Franken wieder in ihren Burgen, sicher und gesund, bereit zu neuen Ausfällen, sobald sie dazu Gelegenheit erhielten.
So ein Dorn im Auge Rollos war Bayeux. Mehrere Versuche, diese Festung zu erobern, waren missglückt und wurden frühzeitig aufgegeben. Mehr als ein Haufen Feinde hatte sich innerhalb dieser Mauern in Sicherheit gebracht. Mehr als einmal hatte ein Ausfall von dort Rollos eigene Streitkräfte aufgerieben oder wurde ihnen zu einer Bremse unter dem Steiß, als sie alle Kräfte für anderes benötigten. Wie jetzt. Er hatte eine gute Stellung räumen müssen, weil diese aus völlig unerwarteter Richtung angegriffen wurde. Gefangengenommene hatten erklärt: Die Reiter kamen von Bayeux - auf dem Weg, die Verteidigung von Paris zu verstärken ...
Es lagen gewiss ungebrandschatzte Burgen in näherer Umgebung; von Paris bis Bayeux war es nicht am nahesten. Aber Rollo hatte große Lust gerade gegen Bayeux zuzuschlagen. Nicht, weil die letzte Verstärkung für die Verteidiger von Paris von dort gekommen war und diese Gegend deshalb schlecht verteidigt war. Nein, er wollte Bayeux und dessen Graf für den Schimpf gegen Botho und für den schimpflichen Waffenstillstand bezahlen lassen. Dann würde es auch gut tun, sich an allen zu rächen - am meisten an diesen Frauenzimmern, die sich mit den Mitteln der Natur verteidigt hatten. Diese Schande würden die getroffenen Nordmänner lange nicht vergessen ...
Er rief seine Anführer zusammen und ließ sie an seinen Gedanken teilhaben. Ja, da waren sie mehr als willig, etwas anderes als diese zähe Belagerung zu probieren. Also beschlossen sie den Tag und beratschlagten über die beste Weise.
Rollo war sich zumindest einer Sache gewiss: Dieses Mal würden sie besser gerüstet sein und Rat finden, über die verdammte Mauer zu kommen.
4
Popa hatte sich so in ihren Gedanken verloren, dass sie erst jetzt die drohende Gefahr begriff. Alte ehrenreiche Erinnerungen waren nicht viel wert, sich dagegen zu lehnen, wenn es ernst wurde. Würden die Leibwächter und die Bürger gegen so viele Angreifer standhalten können? Nun, wo der Vater mit dem größten Teil der Garnison fort war, schienen auch alle seine guten Lehren wie fortgeblasen. Sie sah Männer und Frauen wie aufgescheuchte Hühner an der Stadtmauer entlang rennen und mal hier, mal dort picken. Und selbst fiel ihr nichts anderes ein, als da zu stehen, wo sie stand.
Sie hörte von unten die verängstigten Rufe der Verteidiger:
„Wer hat die Feuer ausgehen lassen! Das Pech ist ja steif wie Eichenholz!“
„Genauso