"Ist doch ein geiler Verein". Christoph Ruf
bei seinem Herzensklub anzunehmen. Und die 85-Jährige, die lieber vier Tage in der Woche mit dem Halleschen FC verbringt als sich auch nur an einem einzigen mit Gleichaltrigen über deren Zipperlein zu unterhalten. Und natürlich gibt es den Vereinsmitarbeiter, der schon als Kind 1.000 Kilometer zum Heimspiel und wieder zurück fuhr und heute geradezu stolz das Alleinstellungsmerkmal seines Vereins präsentiert: »Das hier ist richtig Scheiße!«
So habe ich mich auf die Reise durch die fußballerischen Niederungen der Republik gemacht. Manchen Verein habe ich auch deshalb besucht, weil zu befürchten steht, dass es ihm schon bald so gehen wird wie der Brauerei um die Ecke. Über 100 Jahre nach der Gründung dürften mancherorts bald die Lichter ausgehen – auch weil das Publikum scheinbar nur noch das schätzt, was es täglich im Fernsehen sieht.
Um eines gleich vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist keine sozialromantische »Wir da unten, ihr da oben«-Lyrik. Das Gros der Verbandsligaspieler spielt eben in der Verbandsliga, weil es für die Bundesliga nicht gereicht hat. Und einen Dietmar Hopp hätten sie auch in Leipzig oder Darmstadt gerne. In den unteren Ligen agieren nicht die besseren Menschen – nur die weniger erfolgreichen. Aber dort spielen sich auf den Rängen, auf dem Platz und hinter den Kulissen die Geschichten ab, die den Fußball liebenswert machen.
Freiburg, im Frühjahr 2008 | Christoph Ruf |
»So ein geiler Verein – warum merkt das nur keiner?«
Wer einmal im Fanmuseum der Spielvereinigung Bayreuth war, vergisst schon bald, dass die Vereinsfarben Schwarz und Gelb gemeinhin mit einem Bundesligisten aus dem Ruhrgebiet verbunden werden. Und das nicht nur wegen einer Spielerattrappe, für die ein Fan eine Brusthaarspende leistete.
Vereine wie die Spielvereinigung Bayreuth sind ein wenig wie Michael Dukakis – man verbindet vage Erinnerungen mit dem Namen, nur absolute Fachidioten wissen hingegen Genaueres. Dukakis, war das nicht irgendein US-Politiker? Spielvereinigung Bayreuth, haben die nicht auch mal höher gespielt? Richtig, die Gelb-Schwarzen haben wirklich zwölf lange Jahre in der zweiten Liga gekickt, ehe sie 1990 aus dem bezahlten Fußball und damit aus dem öffentlichen Bewusstsein ent schwanden. Und Dukakis war der Gegenkandidat von George Bush senior im 1988er Präsidentschaftswahlkampf. Doch uns sollen hier nicht die Dinge interessieren, die über Google herauszufi nden sind.
Uns interessiert die andere Sicht, die, die Mrs. Dukakis, deren Kinder und deren Freunde haben, die in den letzten 20 Jahren Wichtigeres mit Dukakis erlebt haben mögen als eine unglücklich verlaufene Wahlkampagne. Oder die der Menschen, die von »Altstadt« sprechen, wenn sie den fränkischen Oberligisten meinen. Es ist die Perspektive von Menschen wie Christian Höreth, der nach einem Heimsieg gegen die Amateure von Greuther Fürth einmal ausrief: »Mein Gott, was für ein geiler Verein!« Und kurz darauf nachschob: »Warum merkt das nur keiner?«
Nun ja, 1.000 Fans im Schnitt kamen immerhin zu den Oberligaspielen in der Saison 2007/08, darunter auch Höreth, der Radiomann, der schon eine Tour von Boris Becker moderierte. 1.000 Zuschauer sind nicht wenig, aber auch nicht besonders viel für einen Verein, der zu Hause ungeschlagen blieb und mit 42 Punkten aus 20 Spielen vergleichsweise unangefochten als Tabellenführer überwinterte. Auf die Zuschau erzahl angesprochen, wollte dann auch Trainer Klaus Scheer seine Enttäuschung nicht verbergen, relativierte dann aber schnell: »Die Fans, die kommen, sind dafür Weltklasse.« Scheer hatte vorher Elversberg trainiert, einen Dorfverein mit dem geringsten Zuschauerschnitt der Regionalliga Süd. Das mag Scheers Enthusiasmus erklären. Berechtigt sind die lobenden Worte dennoch, denn die Fans legen in der Tat eine erstaunliche Kreativität an den Tag. Und das nicht erst mit dem Anpfiff.
Auch wenn Höreth es völlig unverständlich finden mag – Fakt ist derzeit, dass europaweit deutlich ausführlicher über Bayern München als über die Spielvereinigung geschrieben wird. Wenn in der kleinen, aber reisefreudigen Community der Fans von Regional- und Oberligisten das Reich der Gelb-Schwarzen dennoch eines der bevorzugten Reiseziele ist, liegt das daran, dass sie in Eigenregie etwas geschaffen haben, um das sie selbst Fans von Bayern München beneiden würden: Ein liebevoll eingerichtetes Fanmuseum, das gleichzeitig an Spieltagen als Kneipe fungiert. Gerne lud man in seligen Regionalligazeiten auch die Fans der Gastmannschaft hierher zum Umtrunk ein (wenn sie nicht gerade aus Hof kamen). Von der Polizei, die so etwas »deeskalierende Maßnahme« nennt, gab’s dafür ein dickes Lob. Kaufen konnte man sich davon nicht viel, schließlich war man abgestiegen, obwohl man sportlich den Klassenerhalt in der Regionalliga souverän geschafft hatte. 250.000 Euro fehlten im Frühsommer 2006 zur Lizenz. Als Uli Hoeneß die Summe erfuhr, soll er einen Offiziellen verdutzt gefragt haben: »Und warum habt ihr nichts gesagt?« Hoeneß half dann beim Wiederaufbau: Er schickte die Bayern prompt zum »Erste Hilfe«-Spiel in die Wagnerstadt. Selbst Radiomann Christian Höreth ist seither voll des Lobes über die Bayern.
Zu Besuch bei »Bratwurst-Rudi«
Das Fanmuseum des Vereins liegt direkt hinter dem Bahnhof: Zunächst führen ein paar Stufen zum Eingang eines reizlosen Bürogebäudes, dann eine breite Wendeltreppe hoch, links halten, zweite Tür links. Wer neugierig ist, sollte einfach eintreten, an Spieltagen trifft man sich hier bereits deutlich vor Anpfiff. Manch einer der etwa 30 Gäste wird vielleicht zunächst etwas skeptisch schauen, vielleicht wird er sogar fragen, ob man aus Hof stamme. Wer das verneint, bekommt mit ziemlicher Sicherheit ein oder zwei Flaschen Bier ab. Ansonsten einfach nach Jürgen Rank fragen. Der weiß, wie man einen Verein sympathisch präsentiert.
Rank ist in seinem eigentlichen Beruf Trikotdesigner in Herzogenaurach. Allein im vergangenen Jahr ist er in textiler Mission nach England, Spanien, China, Thailand, Amerika, Polen und in die Ukraine geflogen. Privat mag er es heimeliger: Mit Frau und Töchterchen wohnt er in seiner Geburtsstadt, was ihm zusätzlich zur 50-Stunden-Woche noch einmal mindestens zehn Stunden auf der Autobahn einträgt. Doch Bayreuth ist nun einmal die Heimat des 37-Jährigen, nicht zuletzt, weil in der Heimatstadt »die Altstadt« spielt. Beide Städte kann man nicht einfach so verlassen. Höchste Zeit, den seltsamen Vereinsnamen zu erläutern: Die SpVgg wurde im Bayreuther Stadtteil Altstadt gegründet und in ganz Oberfranken benutzt niemand einen anderen Begriff, wenn er über die SpVgg, also über »die Altstädter« bzw. von der »Oldschdod« spricht. In einem Landstrich, in dem man statt Bratwurst »Drei im Weckla« bestellt, klingt das nicht weiter merkwürdig.
Während im Thekenbereich die Laune proportional zum Alkoholspiegel steigt, lädt Rank zur Führung durch die Räumlichkeiten. Sie beginnt mit dem Tresen: Unter die transparente Oberfläche sind Eintrittskarten aus aller Herren Bundesländer und allen geschichtlichen Epochen der Neuzeit gebettet. Auffallend viele davon stammen aus Mönchengladbach, St. Pauli und Liverpool, Fußballstätten, mit denen der ein oder andere »Oldschdäder« fremdgeht. Ein paar internationale Spiele sind dabei. Und natürlich die Grounds, über die man als Fan hoppen muss, wenn die Liebe ausgerechnet beim Verein vor der eigenen Haustür hängen geblieben ist und der sich seit Jahren weigert, endlich einmal bei Real Madrid zu spielen: Ansbach, Weismain, Unterhaching, Quelle Fürth.
An der gegenüberliegenden Wand hängen – feinsäuberlich auf Kleiderbügeln, versteht sich – die Spielertrikots der letzten Jahrzehnte. Dezenter Textilgeruch steigt in die Nase, als Rank die Trikots durchgeht und scheinbar zu jedem Jahrgang eine Geschichte zu erzählen weiß. Dressin, ARO, Großschlachterei Wölfel, NKD, DOMO: all die Sponsoren, die sich einmal etwas davon versprochen haben, auf der Brust der Spielvereinigung Werbung in eigener Sache zu machen. Bereits nach wenigen Minuten des Durchschauens kann man nicht mehr nachvollziehen, warum die Vereinsfarben Gelb und Schwarz gemeinhin einem Bundesligisten aus dem Westfälischen zugeschrieben werden. Der Verein wirkt mittlerweile schon lange deutlich vertrauter als Michael Dukakis.
»Und das da«, unterbricht Rank die eigenen Gedanken, »ist unser Bratwurst-Rudi.« Der Blick fällt auf die Büste einer Schaufenster puppe, die erst bei näherer Betrachtung als solche zu erkennen ist. Gelbschwarzes Trikot, eine Afro-Perücke, mit der man sich auch als ein Fünftel der Jackson Five fühlen könnte, ein hufeisenförmiger Schnauzbart. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass dünne braune Härchen