Seine Frau. Hanne-Vibeke Holst
sagt er und lässt seine Hand über ihre Hüfte gleiten. »Hast mehr Zeit für deine Familie ...«
»Von allem anderen einmal abgesehen ...«, sagt sie und schiebt die Hand fort, die auf dem Weg unter ihren Slip ist. »Nicht heute Abend, Schatz!«
»Ich habe es übrigens noch nie mit einem Mitglied des Folketings getrieben!«
»Na bitte, dann hast du ja etwas, worauf du dich freuen kannst!«, sagt sie, küsst ihn auf die Wange und macht die Nachttischlampe aus.
Ich wache davon auf, dass er nach mir tritt. Nicht brutal, eher wie man nach einer toten Ratte tritt oder nach einem schlafenden Stadtstreicher, um zu sehen, ob er erfroren ist. Ich bin nicht erfroren, aber ich wünschte, ich wäre es, denn als ich ihn ansehe, frisch rasiert und angezogen, sehe ich mich selbst: eine Frau in mittleren Jahren, die sturzbetrunken auf dem Sofa in sich zusammengefallen ist, in einem zu kurzen, hochgerutschten Kleid, mit nicht mehr ganz festen Oberschenkeln, gebleichtem Haar und zerzauster Frisur, verwischter Mascara und Tränensäcken unter den rot unterlaufenen Augen. Und in dem Ekel, mit dem er die Schuhspitze zu sich zurückzieht, rieche ich mich auch: Alkohol, Zigaretten, Parfüm, Klimakteriumsschweiß.
»Entschuldigung«, murmle ich und halte abwehrend die Hand hoch. Aber er schlägt nicht, tritt nur noch einmal, diesmal etwas fester. In die Seite.
»Steh auf!«, befiehlt er. »Es ist halb sieben!«
Ich hieve mich auf die Ellenbogen. Werfe einen Seitenblick auf den Sofatisch mit der Flasche Smirnoff, dem Saftkarton, der leeren Zigarettenpackung und dem überquellenden Aschenbecher. Der Fernseher ist ausgeschaltet, aber der in der Küche läuft, das kann ich hören. Ich bin noch immer voll, der Alkohol strömt durch meine Blutbahnen, und deshalb bin ich tollkühn, obwohl ich Angst habe.
»Kommst du nicht mehr im Morgenfernsehen?«, frage ich und muss über meine eigene Dummheit kichern, weil sie wirklich so über alle Maßen dämlich ist, da ich weiß, dass man Männern, die man gerade gefeuert hat, solche Fragen einfach nicht stellt.
»Steh auf!«, wiederholt er und zieht sich einen Schritt weiter zurück, aber so leicht will ich ihn nicht gehen lassen; ich möchte gern mit ihm reden, ich möchte ihm gern zeigen, dass auch ich gefeuert worden bin. Ich bin verdammt noch mal die ganze Zeit dabei gewesen, war Frau Minister dies und Frau Minister das, war mit auf Bällen im Schloss und auf Hochzeiten in Fredensborg, habe das Arbeitergesangsbuch dünngesungen und an so vielen langweiligen offiziellen Abendessen und hirnrissigen Damenveranstaltungen teilgenommen, dass man mir die Tapferkeitsmedaille verleihen sollte. Manchmal, zugegeben, vor allem in den letzten Jahren, hat das zu ein paar kleineren Skandalen von der Art geführt, die anständige Menschen die Augenbrauen hochziehen und Protokollchefs und Diplomaten zur akuten Schadensbegrenzung schreiten lassen. Aber davon einmal abgesehen, war ich scheißloyal und habe nie – nie! – etwas darüber verlauten lassen, was hinter der Fassade abläuft. Und deshalb finde ich mich an diesem Morgen nicht damit ab, ignoriert zu werden, an diesem Morgen, an dem ich wahrscheinlich über zwei Promille im Blut habe und zu betrunken bin, um wirklich Angst zu haben, und deshalb die Linda aus dem Südhafen zum Zug kommen lasse. Und sie ist nicht besonders nett an diesem Tag nach der Wahl, sondern eher frohlockend, an der Grenze zur Schadenfreude, als sie ihm direkt in die Augen sieht und lachend sagt:
»Verdammt, habt ihr den Arsch versohlt bekommen!«
Das lässt er merkwürdigerweise mit einem Schulterzucken durchgehen wie ein Fußballspieler, der den Elfmeter nicht nutzt, doch so leicht soll er nicht davonkommen, deshalb mache ich mit schräg gelegtem Kopf hartnäckig weiter:
»Du vernichtest ihn, nicht? Du machst Per kalt?«
Das wirkt, jetzt geht die Sicherung durch, und er stürzt sich auf mich, zieht mich an den Haaren hoch und schleppt mich über den Wohnzimmerboden, raus auf den Gang und ins Badezimmer, wo er mit einer Hand die kalte Dusche aufdreht, während er so fest an meinen Haaren reißt, dass es sich anfühlt, als würde er mir die Kopfhaut abziehen, und mich unter den eiskalten Strahl schiebt, der mich keuchen und um Atem ringen lässt. Er brüllt wie gewöhnlich verrücktes Weibsbild!, doch ich schreie nicht, denn ich muss mich übergeben, was ich in einem platschenden Strahl tue, der auch ihn trifft.
Das ist eine neue Variante, das ist noch nie passiert, und allein die Tatsache, dass wir vom Manuskript abweichen, verwirrt ihn so, dass er mich loslässt, um an seinem besudelten Hemd hinunterzugucken, das ansonsten so schön und frisch gebügelt ist. Ich sehe meine Chance gekommen, die Dusche auszustellen, und deshalb hören wir auch das insistierende Klingeln. Ratlos sehen wir einander an, und in dieser Ratlosigkeit sind wir Verschworene, weil wir uns beide schämen. Und die Scham lässt ihn das Hemd über den Kopf ziehen und auf die Fliesen werfen, um mit nacktem Oberkörper die Tür zu öffnen. Damit niemand auf die Idee kommt, dass wir etwas zu verbergen haben.
Ein seltenes Mal tue ich das Richtige, schließe die Badezimmertür ab und gehe zurück unter die Dusche, wo ich das warme Wasser über mein nasses Kleid laufen lasse, während das currygelbe Erbrochene in Wirbeln durch den Abfluss fließt. Glücklicherweise sind nur sehr wenige unverdaute Essensreste darin, ein paar Nudeln und Mais von einem Nudelschnellgericht; das ist der Vorteil, wenn man mehr trinkt als isst. Ich erbreche mich kurz noch einmal, nur ein kleiner Blubb, während ich warte, dass er zurückkommt. Wenn er in dieser Stimmung ist, tritt er die Tür ein, und da es in meinem Leben keinen Notausgang gibt, gibt es auch keinen im Badezimmer.
Aber er tritt nicht die Tür ein, donnert nicht einmal dagegen. Beinahe hätte ich sein Klopfen sogar überhört, doch seine Stimme dringt wie immer klar durch die Tür, auch wenn er nicht den Stabsunteroffizierston draufhat.
»Linda! Ich habe Gäste. Wir sind in der Küche. Ich komme allein zurecht. Geh ruhig ins Bett.«
Ich verstehe. Ich habe »meine Migräne« bekommen, fühle mich »nicht ganz wohl« und kann deshalb die Gäste nicht begrüßen.
»Schatz?«, höre ich ihn noch einmal, diesmal etwas schärfer. »Ist alles in Ordnung?«
Ja, Schatz, alles ist in schönster Ordnung. Jetzt, wo die Luft raus ist, hat er nichts zu befürchten. Ich werde schon gehorchen. Das heißt, mich fernhalten. Mit einigen Mühen komme ich aus der Dusche und schaffe es, das nasse, klebende Kleid, die Strumpfhose und die Unterwäsche auszuziehen. Der Spiegel ist beschlagen, doch ich greife trotzdem schnell nach einem Handtuch, das ich um meinen Körper wickeln kann, den ich nicht mehr gern ansehe. Nachdem ich ein paar Kopfschmerztabletten aus dem Badezimmerschrank geschluckt und mit zwei Gläsern Leitungswasser hinuntergespült habe, bin ich bereit, mir den Bademantel anzuziehen und den kurzen Weg vom Badezimmer ins Schlafzimmer hinter mich zu bringen. Die Küche liegt am entgegengesetzten Ende des Korridors, doch er ist nicht so lang, dass ich nicht hören kann, wer da zu diesem unangemeldeten Morgenkaffee gekommen ist, den er wohl selbst aufgebrüht hat. Und als ich auf dem schwankenden Boden stehen bleibe, um mich an der Wand abzustützen, höre ich auch, was gesagt wird. Jedenfalls das, was Søren Schouw sagt. Laut und unverkennbar rachsüchtig:
»Gert, du sollst nur wissen, dass wir hinter dir stehen. Wenn du das willst. Anytime. Wie sagen sie so schön, Zeit für eine Veränderung? Haha ...«
Die Übelkeit setzt erneut die Speicheldrüsen der Mundhöhle in Gang, doch bevor ich im Badezimmer Zuflucht suchen kann, höre ich Gert noch antworten.
»Danke für das Vertrauen. Ich weiß das zu schätzen ...«
»Gert, entschuldige! Wir sind in der Opposition! Wir haben die Regierungsgewalt verloren! Und wenn wir keinen Wechsel des Vorsitzenden vornehmen, werden wir die nächsten zehn Jahre auch in der Opposition bleiben! Du weißt selbst, was das dann wird. Eine Wüstenwanderung.«
Gerts Antwort ist gemäßigt und reserviert; ich kann nahezu vor mir sehen, wie er sich leicht über den langen provenzalischen Tisch beugt und ruhig die eine Hand auf die andere legt.
»... ich möchte nur konstatieren, dass ich keine diesbezüglichen Pläne habe. Per bestimmt selbst, wann er gehen will. Basta!«
Das ist natürlich eine Lüge, doch das ist ein Teil des Spiels. Dass alle so tun, als