Bergrichters Erdenwallen. Arthur Achleitner
Jahr zu Jahr steigern, bis die Summe einfach unerschwinglich wird.
„Es bestehen aber Vorschriften über die Benutzung öffentlicher Straßen und ich denke, die Übernahme der Verpflichtung zur Straßenunterhaltung infolge der Mitbenutzung wird die Behörde veranlassen, uns die Straße freizugeben.“
„Gewiß! Aber es steckt die Konkurrenz dahinter, und zweifellos will man mich in einen langwierigen, kostspieligen Prozeß verwickeln, während dessen Dauer ich nicht frachten kann. Sie wissen, daß wir große Lieferungen auf Termin haben. Die Störung in der Verfrachtung bedeutet für mich schwere Verluste und schließlich den Bankerott. Ich kann das Ende solchen Prozesses nicht erwarten! Wie soll ich aber meinen Cement herausbringen?“
Gelassen antwortete der Fabrikleiter. „Durch die Luft!“
„Wie? Was?“
„Sehr einfach, Herr Chef! Wir legen eine Luftseilbahn an und bringen unser Produkt durch die Luft zur Bahn — und von dieser die benötigte Kohle wieder auf gleichem Wege zur Fabrik!“
„Alle Wetter! Ein feiner Gedanke! Aber unser sehr koupiertes Terrain?!“
„Dasselbe bietet einer Weltfirma wie Bleichert u. Co. in Leipzig-Gohlis in ihrer anerkannten Spezialität nicht die geringste Schwierigkeit. Mehr wie 600 m Hängebahnlänge werden wir kaum nötig haben, Spannweiten von 200-500 m, ja bis 700 m sind nichts Ungewöhnliches.“
„Weiß Gott! Ein genialer Gedanke! Aber alles kann doch nicht in der Luft hängen! Die Seilbahn braucht doch Stützträger, Verankerungen und dergleichen mehr!“
„Gewiß! Es wird sich zunächst um die Grunderwerbung zu den Unterstützungen der Laufbahnen handeln.“
„O weh! Da kommen wir wieder zu unsern „lieben“ Bauern zurück. Wollen uns diese die Straßenbenutzung verweigern, ebenso sicher geben sie mir auch den nötigen Grund nicht ab!“
„Herr Chef dürfen eben nicht sagen, wozu Sie den Grund haben wollen!“
„Wie soll ich das machen?“
„Vom Bahnhof über die nächsten Wiesen ist der Grund ohnehin Ihr Eigentum. Von Ihrer Grenze weg dürfte in einer Entfernung von annähernd 100 m die erste Unterstützung zu errichten sein. Also muß das betreffende Wiesenstück angekauft werden. 200 m weiter brauchen wir bloß die Luft und diese zu benutzen wird uns die Behörde sicher erlauben, und die Bauern hat die Luftbahn nichts zu kümmern.“
„Ja, und weiter?“
„Dann kommen wir zum Bergrücken, von dem eine Längsparzelle vom Ärar gepachtet, event. gekauft werden müßte. Auf der Höhe auf Staatsgrund erbauen wir die Verankerungsanlage und von diesem wagen wir, ohne Stützen, eine Spannweite von etwa 500 m direkt hinab in die Fabrik, und wir sind fein heraus, die Bauern haben das Nachsehen bezw. Emporsehen. Wir verfrachten unsere Kohle und den Cement über den Köpfen der liebenswürdigen, aufgehetzten Bauern hinweg.“
„Wenn sich das ermöglichen ließe, heiliger Gott, die größte Sorge wäre von mir genommen.“
„Die Hauptsache ist die Grunderwerbung für die Luft-Seilbahn auf ganz stille, harmlose Weise. Ich möchte vorschlagen, Herr Chef lassen durch einen Mittelsmann die Parzellen kaufen und erwerben selbe dann vom Vermittler. Haben wir diese Flächen, so wird es ein leichtes sein, mit dem Forstärar ein Abkommen zu treffen.“
„Gut! Ich werde die Sache überlegen. Aber was wird die Drahtseilbahn durch die Luft auf schier 4000 m Länge kosten?“
„Wenn es sich um den Ruin handelt, darf die Kostenfrage nach meiner Meinung keine Rolle spielen. Bleichert wird gewiß einige Teilzahlungen gewähren, in zwei, längstens drei Jahren ist die Anlage bezahlt und C. Ratschillers Cementfabrik ist gegen alle Anfeindungen durch Anrainer und Konkurrenz gefeit.“
„Ja, wenn das wenn nicht wäre!“ seufzte der Chef.
„Mit Erlaubnis, Herr Chef, es heißt im Sprichwort: Con si et ma nulle fa!“
„Die Kosten, die Kosten, lieber Hundertpfund! Haben Sie eine Ahnung, was eine solche Anlage kostet?“
„Ich denke, mit 80000 Gulden wird sie gemacht!“
„Allmächtiger! 80000 Gulden!“ stöhnte der Fabrikherr.
„Wird nicht viel billiger gemacht werden können. An 50000 Gulden beanspruchen die Lieferungen von Seilen &c. aus den Fabriken von Bleichert. Reell, sicher, allen Anforderungen und Auflagen der Behörden muß die Luftbahn entsprechen, sonst erlangen wir die Erlaubnis zur Anlage und zum Betrieb nicht. Ich sage nochmals: Die Kosten dürfen keine Rolle spielen! Jetzt oder nie, und wenn schon denn schon! Setzen Sie sich mit Bleichert in Verbindung, ich wette, die Korrespondenz wird das von mir prophezeite Resultat erbringen. Aber nun ist tiefstes Schweigen über den Plan unerläßliche Bedingung für ein Gelingen.“
„Ja, ja, gewiß!“
„Es darf auch Ihre werte Familie von dem Plan nichts erfahren!“
„Aber, Hundertpfund! Meine Familie steht mir doch am nächsten!“
„Gewiß! Aber ein einziges unvorsichtiges Wort der Damen oder des jungen Herrn, und alles ist verloren! Wenn die Konkurrenz unsern Plan nur zu ahnen beginnt, ist er schon verloren!“
„O, Gott! Sie haben nicht Unrecht! Aber kann ich mich denn in eine so kostspielige Sache einlassen, über eine solche Riesensumme disponieren, ohne meine Familie zu verständigen?! Ich müßte ja das ganze Vermögen hinein stecken! Stürbe ich vor Vollendung des Planes, meine Familie würde bettelarm sein!“
„Bitte, das ist denn doch eine Übertreibung! In Ihren Jahren und bei solcher Rüstigkeit! Auch brauchen Sie sicher nicht mehr wie ein Drittel der Anlagekosten bar zu zahlen, den Rest in Wechseln auf lange Frist! Doch wie Herr Chef wollen! Ich habe ja nur das Gedeihen und Wachsen der meiner Leitung anvertrauten Fabrik im Auge, und unter diesem Gesichtspunkt, angeregt durch die Proteste der Straßenbauern, habe ich den gewichtigen Vorschlag gemacht!“
„Ja, das verkenne ich nicht! Ich danke Ihnen auch herzlich! Und es soll über den Plan geschwiegen werden! Nur mit dem Bezirkshauptmann und Domänenverwalter will ich Rücksprache pflegen!“
„Ich möchte raten, zuerst durch einen Mittelmann den benötigten Grund für die erste, wichtigste Stütze zu kaufen. Dann erst ist es opportun, mit den Behörden in Unterhandlung zu treten. Immer zuerst mit den Querköpfen verhandeln, diese sind am gefährlichsten, wenn sie eine Absicht merken!“
Nach herzlicher Verabschiedung entfernte sich der umsichtige, im Geschäft weitblickende Fabrikleiter.
Ratschiller sen. blieb in einer Art Betäubung im Sorgenstuhl sitzen. Der Plan erdrückt ihn schier, und dennoch däucht er ihm ein Geschenk des Himmels, eine Erlösung aus einer wahrhaftigen Misere zu sein. Aber 80000 Gulden! Unwillkürlich erhob sich der Chef, öffnete den gepanzerten Geldschrank und begann den Barbestand zu zählen, dessen Totalsumme ein Hohn auf die Riesensumme des Luftbahnplanes ist. Freilich steckt viel im Grund und Boden, nahezu alles, und eine gewaltige Summe umfassen die Außenstände für gelieferten Cement. Taufende und Abertausende stecken in laufenden Wechseln und rollen im Clearingverkehr der Post. Ein Vermögen hat der Ankauf von Berggründen zum Abbau und zur Mergelgewinnung für die Cementbereitung gekostet. Und jetzt der Riesenplan! Ein Teufelskerl, dieser Hundertpfund!
Der alte Herr vermochte nicht länger in dem kleinen Komptoir zu verbleiben, es ist ihm zu enge geworden, er braucht Luft und Bewegung. Zum maßlosen Erstaunen der Komptoiristen verläßt Ratschiller das Haus noch vor Beendigung der Büreauzeit, und just am Eingang traf er mit seinem Sohne Franz zusammen, der eben notgedrungen seine Arbeitsstube aufsuchen wollte.
„Franz, komm mit! Ich habe mit dir zu reden!“ sprach ernst der alte Herr.
Verdutzt gehorchte der Sohn und blickte scheu von der Seite auf den Vater. Auf einen Rüffel war Franz gefaßt, die Aufforderung zu einem Spaziergang während der Büreauzeit wirkt verblüffend auf den jungen Mann. Beide schlugen einen Wiesenpfad ein, der alte Herr voraus, aufmerksam das Gelände