Kleiner Glaube - großer Gott. Tom Wright
drückt es so aus: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Natürlich gibt es viel Platz für ehrlichen Zweifel im Blick auf Dinge, die wir noch nicht wissen können. Abraham wusste nicht, wo er landen würde. Doch durch seinen Gehorsam zeigte er, dass er voller Zuversicht war, dass Gott sein Wort halten würde. Es ist so, wie es der Autor ein paar Verse später sagt: Diese Menschen starben im Glauben. Sie hatten die Erfüllung der Verheißungen noch nicht erlebt, doch sie sahen sie von ferne, waren von ihnen überzeugt und machten sie sich zu eigen. Menschen, die im Glauben leben, mögen zwar nicht wissen, wo sie hingehen. Dennoch kennen sie Gewissheit – die Gewissheit in der Beziehung zu dem Gott, der sie berufen hat und führt.
Wenn wir verstehen wollen, wie der Glaube sowohl das Gegenteil von Schauen als auch von Zweifel sein kann, dann müssen wir aufhören, abstrakt vom Glauben zu reden, und beginnen, konkreter zu werden. Der Glaube ist ja als solcher nicht nützlich oder wertvoll. Glaube ist wie ein Fenster (unser Vergleich aus dem zweiten Kapitel), das nicht um seiner selbst willen existiert, sondern damit wir etwas durch das Fenster sehen können – und damit Licht ins Zimmer einfallen kann. Glaube ist sinnlos und nutzlos, bis er einen Ausblick auf etwas Bestimmtes gewährt.
Das Wort etwas ist allerdings irreführend. Der Glaube ist keine Frage von abstrakten Theorien. Es geht beim Glauben auch nicht darum, sich noch vor dem Frühstück dazu aufzuschwingen, sechs unmögliche Dinge zu glauben (wie die Königin in Alice im Wunderland sagt). Christlicher Glaube besteht nicht bloß darin, einer Reihe von Lehrsätzen gedanklich zuzustimmen, auch wenn er das früher oder später umfassen wird. Es geht auch nicht darum, dass es jedes Objekt irgendeines Glaubens tut, solange nur ein Glaube vorhanden ist. Glaube bedeutet, sich völlig auf Gott zu verlassen und sich Gott für Zeit und Ewigkeit hinzugeben, seine Gebote zu befolgen, nicht zu versuchen, sich selbst als guten Menschen Gott zu empfehlen, sondern der Tatsache zu vertrauen, dass er uns annimmt, wie wir sind, und zwar aufgrund dessen, was Jesus Christus für uns erwirkt hat. Paulus fasste es zusammen, als er aus dem Gefängnis schrieb: „Ich bin eingesetzt als Prediger und Apostel und Lehrer. Aus diesem Grund leide ich dies alles [Glaube als Gegensatz zum Schauen]; aber ich schäme mich dessen nicht [Glaube als Gegensatz zu Zweifel]; denn ich weiß, an wen ich glaube [Glaube definiert durch seinen Inhalt], und bin gewiss, er kann mir bewahren, was mir anvertraut ist, bis an jenen Tag.“ Ich weiß, an wen ich glaube. Der Glaube mag manchmal wie ein Sprung ins Dunkel aussehen, aber er ist immer ein Sprung, zu dem man im Gehorsam gegenüber einer Stimme ansetzt, die aus dem Dunkel kommt und sagt: „Spring, ich fange dich auf.“
Der christliche Glaube ist also kein vager Optimismus und keine allgemeine religiöse Herangehensweise an das Leben. Christlicher Glaube heißt, dem Gott zu glauben und zu vertrauen, der in Jesus von Nazareth gezeigt hat, wie er ist. Was heißt das? Es heißt erstens, dass wir wissen, dass Gott ein heiliger und allmächtiger Gott ist: Daran lässt das Leben Jesu keinen Zweifel. Es heißt zweitens, dass er ein liebender und barmherziger Gott ist: Daran lässt der Tod Jesu keinen Zweifel. Es heißt drittens, dass er ein Gott ist, der neues Leben schenkt: Daran lässt die Auferstehung Jesu keinen Zweifel. Wir können Gott nicht sehen; aber Jesus hat uns gezeigt, wie er ist. Und Gott verlangt von uns (in erster Linie) keinen großen Glauben. Als die Jünger zu Jesus sagten: „Herr, mehre unseren Glauben“, sagte Jesus ihnen, dass nur ein Glaube nötig ist, der so groß wie ein Senfkorn ist. Wir brauchen keinen großen Glauben. Wir brauchen Glauben an einen großen Gott. Daher der Titel dieses Buches. Und dieser Glaube entsteht im Hören auf die Verheißungen Gottes, wie es Abraham vormacht: Man hört die Verheißungen, glaubt ihnen und handelt auf ihrer Grundlage.
Wie sehen diese Verheißungen aus, und für wen sind sie? Sie sind für uns alle: für diejenigen, die schon sehr lange Christen sind und die wieder einmal die Leben spendenden Worte hören müssen, die Gott spricht; für diejenigen, die als Christen vor sich hin wursteln und die dringend aus der Macht und Liebe Gottes Kraft für die nächsten Tage und Wochen ziehen müssen; bis hin zu jenen, die bisher noch nie Gott ihr Vertrauen gegeben haben und die dies vielleicht dringender tun müssten, als sie meinen. Uns allen gelten die Verheißungen: „Wer mein Wort hört“, sagt Jesus, „und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben.“ Oder auch: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben.“ Und wiederum: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben.“
Eine der erstaunlichsten Verheißungen ist genau in der Passage zu finden, die wir untersucht haben. Nachdem der Autor den Glauben beschrieben hat, der sowohl das Gegenteil von Schauen als auch von Zweifel ist, sagt er über die Männer und Frauen des Glaubens: „Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott zu heißen“ (Hebräer 11,16). Dieses kleine Possessivpronomen, ihr Gott, fasst alles zusammen. Gott will für sein Volk kein ferner Gott sein, und er wird das auch nicht sein. Der christliche Glaube ist eine Beziehung – eine persönliche Beziehung – in der Gott sein Volk liebt und sich um sie kümmert, und in der sein Volk Gott kennt, ihn liebt und ihm gehorcht.
Man ist versucht zu sagen: „Mach damit, was du willst!“ Doch ich möchte gerne sagen: „Greif zu!“
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Der brennende Busch
EINER DER GROSSEN GLAUBENSHELDEN IN Hebräer 11 ist Mose. Doch Mose taucht auch schon früher in diesem Brief auf, in Kapitel 3, und dort ist er nicht nur ein großartiges Beispiel für das, was Gott in einem Menschen bewirken kann. Er wird dort auch mit Jesus selbst verglichen. Dieser Vergleich fällt für Mose natürlich nicht besonders vorteilhaft aus. Bei welchem Menschen wäre das schon der Fall? Doch wenn wir uns Mose für einen Moment im Lichte von Kapitel 3 anschauen, dann wird uns folgende Brücke gebaut: Wir werden vom Nachdenken über den Glauben dazu übergeleitet, Christus in den Blick zu bekommen, und dieses Fokussieren auf Christus ist die beständige Aufgabe des Glaubens. Wir beginnen am Anfang, damals beim Exodus, beim Auszug aus Ägypten.
Erinnern wir uns an die Story:1 Mose, voller erhabener Visionen und Träume von der Befreiung seines Volkes, hatte versucht, eine israelische Befreiungsarmee zu gründen – bestehend aus einem einzigen Mann, ihm selbst. Er fand schnell heraus, dass er genötigt war, Ägypten fluchtartig zu verlassen. Er geht in das Land Midian, tut irgendeiner Schäferin einen Liebesdienst, wird ihrem Vater vorgestellt, wird auf ein Essen eingeladen, bleibt und wird der Ehemann von einer der Töchter, wird Vater eines Sohnes und der Hirte von Jethros Schafen. Als solchen finden wir ihn in 2. Mose 3 auf einem Berg vor, wo er lernt, sich um eine Herde dummer Tiere in einer Wüste zu kümmern. Wobei: Das war ja gar keine so schlechte Sache, wenn man einmal darüber nachdenkt. Denn in der Zwischenzeit hörte Gott das Schreien seines Volkes Israel in Ägypten und er erinnerte sich an seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob. Und Gott erschien Mose, um ihn zu beauftragen, mit göttlicher Kraft das zu tun, worin Mose selbst versagt hatte. Wie der Psalmist sagt: Gott führte sein Volk wie Schafe, durch die (geübte) Hand von Mose und Aaron.
Diese Beauftragungszeremonie, die in der prächtigen Szene am brennenden Busch stattfand, bestand im Prinzip in einer Offenbarung des Charakters Gottes. Mose ist in dieser ganzen Story hauptsächlich eine schattenhafte Figur. Er zieht nur seine Schuhe aus, verbirgt angstvoll sein Gesicht, bekennt seine eigene Unwürdigkeit für die Aufgabe und sagt, dass er nicht einmal den Namen Gottes kennt.
All dies ist natürlich die richtige und angemessene Reaktion auf die Selbstoffenbarung Gottes, der nicht ganz unpassend als brennendes Feuer porträtiert wird, als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, als der Gott, der eindrucksvolle Verheißungen für die Zukunft gibt, und als der Gott, dessen Name seine Großartigkeit und Ewigkeit verkündigt – insofern wir diesen Namen überhaupt verstehen können. Mose mag als gescheiterter Revolutionär in die Wüste gegangen sein. Er kam als jemand zurück, der weniger Selbstvertrauen hatte als je zuvor, doch er war Gott begegnet. Sein Mut, mit dem er vor dem Pharao stand, kam also nicht aus ihm selbst, sondern von Gott, der versprochen hatte, bei ihm zu sein.
Es ist recht und billig, dass wir mit der