Sophienlust Bestseller Box 2 – Familienroman. Marisa Frank
Letzte Nacht hatte er vor lauter Aufregung Fieber. Er hat sogar den Namen seines Kindes gerufen und weiß heute nichts mehr davon.«
»Dann hat er aber hohes Fieber gehabt«, stellt Regine Nielsen erschrocken fest. »Und jetzt willst du Ulli noch einmal mit ins Krankenhaus nehmen? Ich glaube nicht, daß das gut ist.«
»Sein Vater hat so dringend nach ihm verlangt, daß ich ihm den Gefallen unbedingt tun wollte.«
»Das glaube ich dir gern, Mandy. Aber vergißt du dabei nicht das Wohl des Jungen. Bestimmt würde ein erneutes Zusammentreffen mit seinem deprimierten Vater seiner Kinderseele erheblich schaden. Du siehst ja, wie traurig und schockiert er bereits ist. Also ich bin nicht dafür.«
»Bitte, Regine, urteile nicht so streng. Gerade du müßtest doch wissen, zu was ein Mensch in der Verzweiflung fähig ist. Aber Klaus ist heute nicht mehr so verzweifelt wie gestern. Er hat zu mir gesagt, daß er leben und wieder fröhlich sein will, Ulli zuliebe. Sein Sohn hätte ein Recht auf einen fröhlichen Vater, das hat er mir selbst gesagt.«
Schwester Regine machte zwar ein zweifelndes Gesicht, aber sie widersprach nicht. »Und du meinst, daß er das nach so kurzer Zeit schon schaffen kann?«
»Ich hoffe es, denn er geht selbst kaputt dabei, wenn er sich weiterhin mit Schuldgefühlen herumschlägt.«
»Also gut, wenn Frau von Schoenecker nichts dagegen hat, daß du Ulli mitnimmst, dann hast du auch meinen Segen. Versuchen wir es noch einmal. Dort kommt sie gerade.«
Mandy schaute in die angegebene Richtung. Sie hatte Denise zwar schon öfter von weitem gesehen, aber jetzt, aus der Nähe, fand sie die Frau noch schöner, als sie sie in Erinnerung hatte.
»Guten Tag, Frau von Schoenecker«, grüßte sie höflich und reichte Denise die Hand.
»Schwester Mandy möchte Ulli noch einmal zu seinem Vater bringen, weil er so dringend nach ihm verlangt.«
»Na, der gestrige Besuch war ja ein Fiasko, wie ich gehört habe. Meinen Sie, daß es richtig ist, dem Kind das noch einmal zuzumuten?«
»Ich glaube, daß es für beide, für Vater und Sohn, gut ist, wenn man ihnen noch einmal eine Chance gibt«, entgegnete Mandy, von ihren Worten überzeugt.
Fragend schaute Denise Schwester Regine an.
»Wir haben uns lange über Klaus Meinradt unterhalten, und ich bin auch schon fast der Meinung, daß man es noch einmal versuchen sollte. Anscheinend hat Ullis Vater über Nacht in die Wirklichkeit zurückgefunden. So etwas gibt es.« Nachdenklich starrte die Kinderschwester einem bunten Schmetterling hinterher, der über den gepflegten Rasen gaukelte. »Mir erging es damals ähnlich. Plötzlich wird der Blick wieder klarer, und man kann sogar ein bißchen auf die Zukunft hoffen, wenn man von irgendeiner Seite Hilfe bekommt. Vielleicht ist Ulli diese Hilfe für seinen Vater.«
Eine Viertelstunde später saß Mandy zusammen mit Ulli im Fond des Wagens, der von dem Chauffeur Hermann gesteuert wurde. Er hatte den Auftrag, den Jungen nach seinem Besuch wieder nach Sophienlust zurückzubringen.
Vertrauensvoll legte Ulli seine kleine Hand in Mandys. »Ich will aber nicht zu meinem Vati«, begehrte er auf, nachdem die Krankenschwester ihm gesagt hatte, wohin die Fahrt gehen sollte.
»Und warum nicht?« Zärtlich lächelte die Frau den Jungen an. »Dein Vati wartet so sehr auf dich.«
»Das glaube ich dir nicht. Mein Vati will mich nicht mehr haben.«
»Doch, das will er. Du wirst staunen, wie sehr er sich gleich über deinen Besuch freuen wird.«
Der Junge zweifelte noch immer, als sie bereits an der Tür zum Krankenzimmer standen. »Ich will nicht hinein«, stammelte er und hielt sich ängstlich am Türrahmen fest. »Ich will wieder zurück zu Tante Isi.«
Ratlos schaute Schwester Mandy zu dem kleinen Jungen hinunter. Sie strich ihm über das wirre Haar und suchte verzweifelt nach einer Lösung. Wie sollte sie Ulli nur überzeugen, daß sein Vater ihn erwartete.
»Komm schon mit hinein, Ulli. Wenn dein Vater nicht so ist, wie du dir vorstellst, dann verspreche ich dir, daß ich dich sofort wieder hinunter zum Auto bringen werde. Einverstanden?«
Endlich nickte Ulli widerstrebend. »Von mir aus.«
Klaus Meinradt stand in der Mitte des Zimmers. Mandy sah ihm an, daß es ihn noch sehr viel Überwindung kostete, aber er riß sich zusammen und lächelte.
»Komm her zu mir, Ulli«, sagte er mit bewegter Stimme.
Zaghaft machte der Junge ein paar Schritte auf ihn zu. Dann blieb er stehen und schaute abwartend zu seinem Vater auf.
»Steig hier auf diesen Stuhl. Ich habe ihn extra für dich bereitgestellt. Weißt du, ich darf mich nämlich noch nicht bücken, sondern muß immer kerzengerade stehen.«
Ulli tat, wie ihm der Vater geheißen, aber er fühlte sich sichtlich unwohl auf dem Stuhl.
Lange schauten sich Vater und Sohn in die Augen, und als Klaus Meinradt seine Arme ausbreitete, ließ sich der Junge einfach hineinfallen. Klaus preßte den bebenden Kinderkörper an sich.
Mandy sah, daß in des Mannes Augen Tränen schimmerten. Jetzt war sie sicher, daß Klaus Meinradt das Schlimmste überstanden hatte. Als die junge Schwester merkte, daß auch ihr vor Rührung Tränen in die Augen traten, rannte sie schnell aus dem Zimmer.
*
An einem trüben Septembertag durfte Klaus Meinradt das Krankenhaus verlassen. Fast drei Monate hatte er dort verbracht.
Schon seit Tagen plagte ihn die Vorstellung, daß er allein in sein schönes Haus zurückkehren mußte, in dem er mit seiner Frau so viele Jahre glücklich gewesen war. Er wußte noch nicht, ob er es würde ertragen können.
Zuerst hatte er Ulli von Sophienlust abholen wollen, es sich dann aber doch wieder anders überlegt. Er war noch immer ein kranker Mann, der sich schonen mußte und keine unbedachte Bewegung machen durfte. Wie sollte er da für ein kleines Kind sorgen, das viel Bewegung und Aufsicht brauchte?
Nein, Klaus mußte sich eingestehen, daß Ulli vorläufig in Sophienlust besser aufgehoben war als bei ihm zu Hause.
Freundlich und dankbar verabschiedete er sich an diesem Morgen von Dr. Schmoll, dem Stationsarzt, und von den Schwestern, die ihn so gut versorgt hatten.
Am schwersten fiel ihm der Abschied von Schwester Mandy, denn er mußte ja annehmen, daß er auch sie nicht wiedersah, wenn sie nicht der Zufall wieder einmal zusammenführte. Und dafür standen die Chancen nicht gerade gut.
»Ich wünsche Ihnen alles Gute, Herr Meinradt«, sagte Schwester Mandy und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, obwohl ihr eher zum Weinen zumute war. Das aber konnte und wollte sie niemandem zeigen.
»Ich danke Ihnen vielmals, Mandy. Sie haben so aufopfernd für mich gesorgt, und Sie haben mir meinen Sohn zurückgebracht. Das werde ich Ihnen niemals vergessen.« Er hielt ihre Hand einen Augenblick länger als nötig, denn das Gefühl in seinem Herzen bestimmte es so.
Nie würde er Iris vergessen, mit der er eine unsagbar glückliche Ehe geführt hatte. Aber die Einsamkeit, die nun auf ihn wartete, schnürte ihm den Hals zu, daß er fast keine Luft mehr bekam.
»Vielleicht… vielleicht besuchen Sie mich ja einmal, wenn es Ihre Zeit erlaubt, und… bringen dann auch meinen Sohn mit«, murmelte er hastig, daß ihn Mandy kaum verstehen konnte.
Seine Worte erfüllten sie mit unbändiger Freude, und sie nahm sich vor, seinem Wunsch bald nachzukommen. »Das werde ich tun, Herr Meinradt«, antwortete sie ebenso leise und nickte ihm aufmunternd zu.
Wehmütig blickte sie ihm nach, als er, gestützt auf zwei Krücken, langsam den Gang entlanghumpelte. Er drehte sich nicht mehr um.
»Da geht er hin und kommt nicht mehr«, sagte plötzlich eine spöttische Stimme hinter ihr.
Mandy zuckte zusammen. Diese Stimme hätte sie unter tausenden erkannt, denn sie gehörte