Den du nicht siehst - Ein Schweden-Krimi. Mari Jungstedt

Den du nicht siehst - Ein Schweden-Krimi - Mari  Jungstedt


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nett und laut, wirkte fast ein wenig zu herzlich. Knutas kannte ihn bisher nur vom Hörensagen und wusste, dass er als guter Mann galt. Trotzdem fühlte er sich Kihlgård gegenüber nicht ganz wohl in seiner Haut. Aber das würde sich mit der Zeit sicher bessern. Kihlgårds Mitarbeiter, Kriminalkommissar Björn Hanssen, machte einen förmlichen und redlichen Eindruck. Das war Knutas lieber.

      Die Besprechung hatte wenig Neues ergeben. Die Mordwaffe war immer noch nicht gefunden worden. Sie hatten überhaupt keine hilfreichen Spuren. Außer einigen Kippen, die durchaus schon länger dort draußen gelegen haben konnten, und dem Hinweis einer Anwohnerin, der in der Nacht vor dem Mord ein Auto aufgefallen war, hatten sie bislang keine hilfreichen Spuren.

      Bis auf Kristian Nordström waren alle Partygäste vernommen worden. Knutas war sich mittlerweile fast sicher, dass Per Bergdal unschuldig war. Er hatte in seiner Zeit bei der Polizei genügend Vernehmungen durchgeführt, um sich auf sein Gefühl verlassen zu können. Per Bergdals Art zu antworten hatte etwas Geradliniges und Offenes. Die Kratzer stammten aller Wahrscheinlichkeit nach von Helena, und der Gerichtsmediziner hatte auf Helenas Wange und hinter ihrem Ohr Schwellungen und Blutergüsse feststellen können, die darauf hinwiesen, dass sie vor ihrem Tod geschlagen worden war. Aber sie wussten ja bereits von dem Streit. Also brauchten sie unbedingt neue, verwertbare Spuren, und zwar so schnell wie möglich.

      Knutas beschrieb mit seinem Sessel eine halbe Drehung und schaute aus dem Fenster. Es war ein grauer, trister Tag. Dieser Frühling war bisher noch nicht umwerfend gewesen. Die Sonne des Vortages hatte eine willkommene Abwechslung dargestellt, aber jetzt waren die Wolken wieder da.

      Karin Jacobsson und Thomas Wittberg waren in Stockholm. Karin hatte Knutas von dort angerufen. Sie hatten alle Hände voll damit zu tun, sich in Helena Hillerströms Bekanntenkreis umzuhören, und sie würden wohl noch einige Tage bleiben. Karin fehlte ihm, sobald sie das Haus verlassen hatte. Er kam zwar auch mit den anderen in der Gruppe gut zurecht, aber zwischen ihm und Karin gab es eine besondere Beziehung. Seit ihrem ersten Tag bei der Polizei von Visby, nachdem Karins Zeit als Dienstanwärterin in Stockholm vorbei war, hatten sie offen miteinander reden können. Er hatte rasch Vertrauen zu ihr gefasst. Anfangs hatte Knutas für kurze Zeit geglaubt, in Karin verliebt zu sein. Aber dann hatte er seine Frau getroffen und war Hals über Kopf für sie entflammt.

      Karin hatte keinen Freund, wenn er das richtig durchschaut hatte. Obwohl sie so eng zusammenarbeiteten, erwähnte sie ihr Privatleben nur selten.

      Es war bereits drei Uhr nachmittags, als Johan und Peter das Interview mit Emma Winarve geschnitten und abgeschickt hatten. Es dauerte zehn Minuten, bis Grenfors anrief. Er lobte ihren Beitrag, der am Abend in allen Nachrichtenprogrammen gesendet werden würde. Trotzdem verlangte Grenfors, der niemals wirklich zufrieden zu sein schien, dass sie auch noch mit den Nachbarn sprachen. Schließlich war der Mord in deren unmittelbarer Umgebung geschehen, wie er sagte.

      »Wir haben doch schon mit der Oma in Fröjel geredet«, wandte Johan ein. Seiner Stimme war der Unwille deutlich anzuhören.

      Peter saß in einem Sessel und sah ihn an.

      »Die Konkurrenz hatte die Nachbarn in ihrem Mittagsmagazin«, erklärte der Redakteur.

      »Und nur deshalb müssen wir sie auch bringen?«, fragte Johan gereizt.

      »Du siehst sicher ein, dass es sich empfiehlt, mit den Anwohnern zu sprechen, in deren unmittelbarer Nähe ein Mord geschehen ist.«

      »Sicher, aber ich weiß nicht, ob wir das bis zur Hauptsendung noch schaffen.«

      »Macht einen Versuch«, mahnte Grenfors. »Im Notfall bringen wir das dann eben in den Spätnachrichten.«

      »Geht klar.«

      Sie machten sich direkt auf den Weg. Fuhren wieder in Richtung Klintehamn und dann weiter nach Fröjel. Seit dem Mord waren erst zwei Tage vergangen. Johan kam es viel länger vor.

      Sie hielten vor dem ersten Haus hinter der Abzweigung nach Gustavs. Rotes Wohnhaus, Scheune und Hühnerstall. Die Hühner liefen durch ihr offenes Gehege und gackerten zufrieden. Ein Hund kam schwanzwedelnd angelaufen. Offenbar kein guter Wachhund.

      Sie klingelten. Sofort öffnete eine Frau die Tür. Blonde Locken und wacher Blick.

      »Hallo?«

      Sie sah die Männer fragend an.

      Eine langhaarige Katze rieb sich zutraulich an ihren Beinen. Im Haus waren Kinderstimmen zu hören.

      Johan stellte sich und Peter vor.

      »Wir möchten mit den Menschen sprechen, die hier in der Gegend wohnen. Ja, wegen des Mordes.«

      »Es ist entsetzlich, dass so etwas hier passieren kann. Ich hoffe nur, dass sie den Mörder so bald wie möglich finden. Es ist schrecklich, man denkt die ganze Zeit daran. Und die Kinder, auf die passe ich jetzt ganz besonders auf. Wir haben fünf.«

      Die Frau rief den Kindern etwas zu, schloss die Wohnungstür und setzte sich auf eine Bank vor dem Haus. Sie zog eine Dose Tabak hervor und schob sich routiniert einen Priem unter die Oberlippe. Freundlich reichte sie die Dose herum. Peter und Johan lehnten ab. »Haben Sie die Ermordete gekannt?«

      »Nein, das kann man nicht behaupten. Natürlich kannten wir die Familie, aber wir hatten keinen Kontakt zu ihnen.«

      »Ist Ihnen sonst irgendetwas aufgefallen?«

      »Ja, heute Nacht ist mir etwas eingefallen. Die Polizei war ja auch schon hier. Sie haben aber vor allem mit meinem Mann gesprochen.«

      »Was denn?«, fragte Johan.

      »Ich habe Schlafstörungen und bin nachts immer lange wach. Und in der Nacht von Montag auf Dienstag habe ich ein Auto gehört, das draußen auf der Straße gewendet hat. Hier sind nachts sonst nie Autos unterwegs, und deshalb fand ich das seltsam. Ich bin aufgestanden und wollte sehen, wo das Auto geblieben war, aber es war wie vom Erdboden verschluckt. Und das ist seltsam, weil der Weg direkt zum Meer führt. Ich musste einfach hinausgehen und mich umsehen. Und als ich die Haustür öffnete, hörte ich es wieder. Dann kam es an unserem Haus vorbei. Der Weg macht hier eine Biegung, und deshalb konnte ich das Auto nicht richtig erkennen.«

      »Ist Ihnen also nichts Besonderes aufgefallen?«

      »Doch, das Geräusch. Der Motor klang ... wie soll ich das sagen? Er klang irgendwie älter. Nicht wie bei einem neuen Auto.«

      »Kann es ein Nachbar gewesen sein?«

      »Nein, ich habe heute alle Nachbarn gefragt, eben weil ich es seltsam fand, dass jemand mitten in der Nacht hier unterwegs war. Aber niemand war draußen gewesen, und außerdem weiß ich doch, wie die Autos der Nachbarn sich anhören. Hier leben ja nicht so viele Menschen.«

      »Wie viele wohnen hier denn?«

      »Wir und der Tierarzt, der auf dem nächsten Hof wohnt. Dann gibt es noch Familie Jonsson, sie sind Bauern, und ihnen gehören die Felder, die Sie hier sehen. Sie leben auf dem großen Hof, der ein Stück weiter am Weg liegt, hinter dem Tierarzt. Und dann haben wir noch eine Familie mit kleinen Kindern, die Larssons, ziemlich nah am Strand, auf der rechten Seite.«

      »Wissen Sie, um welche Uhrzeit Sie das Auto gehört haben?«

      »Gegen drei, glaube ich.«

      »Haben Sie das der Polizei gesagt?«

      »Ja, ich habe sie heute Morgen angerufen. Ich war vorhin deshalb auf der Wache.«

      »Alles klar«, sagte Johan. »Können wir Ihnen vor laufender Kamera ein paar Fragen stellen?«

      Nach einigem Zögern erklärte sich die Frau bereit. Die übrigen Anwohner lehnten entschieden ab.

      Johan musste sich widerwillig eingestehen, dass Grenfors Recht gehabt hatte. Es war eine gute Idee gewesen, hinauszufahren und mit den Nachbarn zu sprechen.

      Wieder setzten sie sich in die ehemalige Redaktion und schnitten einen zwei Minuten langen Beitrag zusammen, den sie kurz vor der Hauptnachrichtensendung zur großen Zufriedenheit Grenfors’ nach Stockholm schickten.


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