Die Deutschen und ihre Geschichte. Alexander Gauland

Die Deutschen und ihre Geschichte - Alexander Gauland


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des 9. April auf Hitlers persönlichen Befehl Admiral Canaris, General Oster und Pfarrer Bonhoeffer in Flossenburg erhängten, fanden sie in der Zelle von Canaris seine letzte Lektüre – Ernst Kantorowicz: Kaiser Friedrich II., das die Widmung trägt »Seinen Kaisern und Helden das Geheime Deutschland«. In der Figur dieses Stauferkaisers haben sich so gegensätzliche Charaktere wie Hitler und Stauffenberg gespiegelt, und der Streit darüber, wer dabei Recht hatte, hält bis heute an.

      Mit Friedrich II. drängt Deutschland noch einmal ins Weite, Große, ins Abendländisch-Christlich-Römische, ist es Subjekt der Weltgeschichte. Danach fällt es zurück ins Enge, Provinzielle, wird Objekt fremder Begierden, und seine Herrscher sind nur noch ein matter Abglanz der Stauferherrlichkeit. Oder um es mit den Worten seines Biographen zu sagen: »Zum einzigen Mal in der Geschichte war damit für das ganze große, vielspältige Deutschland die Lösung des so nie wieder gelösten deutschen Problems geglückt – zum einzigen Mal wurde die adlige Jugend, die ja auch Stifte und Klöster füllte, auf eine Form hin erzogen, die nicht nur in den Grenzen der engsten Heimat, sondern überall in der Welt Geltung hatte – das einzige Mal auch, dass die Deutschen wirklich etwas im besten Sinne Weltmännisches hatten. Da war denn der Boden bereitet für eine große deutsche Plastik, die freilich in dem Augenblick jäh abbrach, als mit dem Sturz des Reiches das Rittertum, von der Welt abgeschnitten, in bürgerlicher Enge verdumpfte oder aber Deutschland verlassend in fremdem Sold kämpfte«.

      Nach dem Tode Friedrich Barbarossas führt sein Sohn Heinrich VI. die staufische Weltmonarchie auf ihren Machtgipfel. Durch seine Heirat mit Constanze, der Erbin des Normannenreiches in Apulien und Sizilien, gewinnt er dem staufischen Weltmachtanspruch eine neue Basis. Doch sein früher Tod verhindert ihren Ausbau. Sein Sohn und Erbe Friedrich beginnt seine Laufbahn als verwahrloste Waise, als Spielball deutscher, päpstlicher und lokaler sizilianischer Interessen in der Königsburg von Palermo. Dass der dem Hungertod nahe und von der Barmherzigkeit einiger Bürger lebende Staufersproß neben dem Volgare, der italienischen Volkssprache, Latein, Griechisch, Hebräisch, Arabisch, Französisch und Provenzalisch lernt, ist das erste Wunder, das zweite sein berühmter Zug nach Deutschland, wo er, anfangs nur von wenigen Rittern begleitet, das deutsche Königtum von dem Welfen Otto IV. zurückgewinnt. Unterstützt von seinem päpstlichen Vormund Innozenz III. siegt er – wie später Napoleon auf seinem Adlerflug von Elba nach Paris – nicht durch Macht, sondern durch Charisma, Glück, Charme und Klugheit. Es erfüllt sich der alte Mythos: Immer – so heißt es – müssten die Waiblinger (Staufer) auch die Kaiser sein, die Welfen aber stets deren Vasallen, wenn auch als die ersten und machtvollsten Herzöge. Doch der Preis ist hoch. In Deutschland verzichtet der Staufer auf viele Kronrechte, auf Gerichtshoheit und Münzrechte zugunsten der Fürsten, die zum ersten Mal »Landesherren« genannt werden, und zum ersten Mal wird auch ein Gesetz, der Mainzer Landfriede, in deutscher Sprache verkündet. Fortan ruht »der kaiserliche Thron, dem wir verbunden sind, gleich wie die Glieder dem Haupt, wie dieses auf unseren Schultern und wird gefestigt durch unseren Bau, so dass in erhabener Majestät das Kaisertum aufglänzt und unser Fürstentum jenen Glanz widerspiegelt«.

      Der Kaiser war insgesamt nur dreimal in Deutschland. Die Regierung überlässt er dort den mit wenig Geschick agierenden Söhnen, zuerst Heinrich und nach dessen Rebellion Konrad. Das staufische Problem bleibt Italien, wo Friedrich in seinem apulisch-sizilianischen Königreich den ersten modernen Beamtenstaat jenseits der mittelalterlichen Lehnswelt schafft. Mit den Konstitutionen von Melfi weist diese Schöpfung auf die Renaissance und das Modell eines voraussetzungslosen, methodisch aufgebauten Gewaltstaates voraus. Sizilien bleibt die staufische Hausmacht, die der Kaiser dem Papst wie dem Adel entzieht. Doch diese Konstellation birgt Gefahren, in denen die Staufer schließlich umkommen: Das päpstliche Territorium ist von kaiserlichem Land eingeschlossen, und in Norditalien blockieren die aufrührerischen, lombardischen Städte immer aufs Neue die Verbindungswege des Reiches, machtlogisch unterstützt von machtbewussten Päpsten. Es ist ein nur durch kurze Waffenstillstände unterbrochener Kampf zwischen Kaiser, Papsttum und den von diesem unterstützten Städten, der die Kräfte des Papsttums wie des Kaisers übersteigt.

      Wenn Europa am Ende in Territorialherrschaften zersplittert und die Renaissance die geistige Macht der Kirche bricht, dann ist das die Folge dieses gnadenlosen ununterbrochenen Kampfes. Bei Cortenuova siegt Friedrich über die Lombarden 1237 in der bedeutendsten mittelalterlichen Schlacht, zehn Jahre später erleidet er vor Parma die schwerste Niederlage seines Lebens und büßt den Nimbus der Unbesiegbarkeit ein. Und je länger der Kampf dauert, desto regelloser, böser wird die Auseinandersetzung. Erst in dieser Phase des Kampfes, in der der Papst Innozenz IV. die Ermordung des Kaisers plant und selbst seine engsten Vertrauten zu Verrätern werden, greift der Kaiser zum Mittel des Terrors und rechtfertigt so die Vorwürfe von Zeitgenossen und Nachgeborenen, die im Kaiser den Antichristen und in seiner literarischen Verherrlichung durch den Juden Ernst Kantorowicz einen Kniefall vor dem ästhetischen Faschismus sehen wollen.

      Doch es ist etwas anderes, ob ich die Welt mit Feuer und Schwert überziehe, um sie meiner Macht, meinem Willen und meinen Vernichtungsphantasien zu unterwerfen oder ob ich in höchster Not zur Verteidigung meiner legitimen, nach der mittelalterlichen Vorstellungswelt von Gott herrührenden Rechte auch zu grausamen Mitteln greife. Der Kaiser war zwar, wie Jacob Burckhardt beobachtet hat, der erste moderne Mensch auf dem Thron, aber eben auch überzeugt von seiner Göttlichkeit als Kaiser. Und während er in Sizilien seine Untertanen zu Hörigen herabdrückte, sah er sich selbst christusgleich und seinen zufälligen Geburtsort Jesi in den Marken als ein neues Bethlehem: »Denn aus ihr ist der Herzog hervorgegangen, des Römischen Reiches Fürst, der über dem Volk herrsche und es schütze und nicht gestatte, dass es fürder fremden Händen untertan sei.«

      Am besten illustriert wohl eine Anekdote des Kaisers Weltsicht. »Der Kaiser Friedrich ging einmal auf die Falkenjagd, und er hatte einen ganz ausgezeichneten Falken, den er mehr als eine Stadt schätzte. Er ließ ihn auf einen Kranich los; der aber stieg hoch. Der Falke flog noch viel höher als er. Er sah unter sich einen jungen Adler. Er stieß auf ihn, dass er zu Boden stürzte, und hielt ihn so lange, bis er tot war. Der Kaiser lief hin in der Meinung, es sei ein Kranich; er fand wie es war. Da rief er zornig seinen Scharfrichter herbei und befahl ihm, dem Falken den Kopf abzuhauen, weil er seinen Herren getötet habe.«

      Was in den grausamen Kämpfen mit Papsttum und Städten matt zu werden begann, der Glanz der kaiserlichen Persönlichkeit, bewährte sich noch einmal auf dem Kreuzzug, den er als Gebannter unternahm. Durch einen zehnjährigen Vertrag erhielt das Abendland Jerusalem zurück, mit Ausnahme des heiligen Bereiches von Omar-Moschee, Felsendom und Tempel Salomos. Ohne einen Schwertstreich, allein aufgrund seiner Persönlichkeit, gewann der Kaiser, was noch keiner vor ihm erreicht hatte. Dass der Papst dem Sultan eine Möglichkeit eröffnete, den Kaiser zu fangen und zu töten, belegt den abgrundtiefen Hass der Kirche auf den Erfolg des Staufers. Dass der Sultan diese Chance verschmähte und den Kaiser davon in Kenntnis setzte, zeigt eine andere Welt des Islam, an die wir uns gelegentlich erinnern sollten. Kein Wunder, dass der Kaiser nach dieser Erfahrung an die Könige und Fürsten Europas schrieb: »Lange genug war ich Amboss, jetzt will ich Hammer sein.«

      Das Schicksal ist grausam zu den aus lichten Höhen herabstürzenden Staufern. Der Kaiser muss noch erleben, wie sein Lieblingssohn Enzio gefangen genommen wird. 23 Jahre wird er hinter Kerkermauern verbringen und dort den grauenhaften Untergang des staufischen Hauses durchleben: Der Kaiser stirbt 1250, König Manfred verliert die Krone Siziliens und 1266 in der Schlacht bei Benevent das Leben; zwei Jahre später wird der letzte Staufer, Konradin, auf dem Marktplatz von Neapel enthauptet. Nichts bleibt als der Spruch, mit dem das Volk von Palermo einst dem Dreijährigen bei der ersten Krönung zugejubelt hatte: »Christ ist Sieger, Christ ist König, Christ ist Kaiser« und der geometrische Traum von Castel del Monte, seinem persönlichen Sanssouci, halb Morgenland, halb Abendland. In Deutschland beginnt die kaiserlose, die schreckliche Zeit. In Italien dämmert die Morgenröte der Renaissance herauf.

      650 Jahre später erscheint in Deutschland ein Roman, in dem der jüdische Schriftsteller Leo Perutz beschreibt, wie ein alter Baron mit Hilfe eines Rauschmittels einen durch die Jahrhunderte verborgen gebliebenen Nachfahren des Kaisers auf den Thron führen will. Doch die Bauern rufen nicht »Hosianna«, sondern »Kreuziget ihn« und zünden das Gutshaus an. Wenige Tage später wird Adolf Hitler Reichskanzler und das Buch verbrannt. Wer von den


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