Der verschwundene Film. Carlo Andersen

Der verschwundene Film - Carlo Andersen


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gab seine Befehle deutlich und korrekt. Alles war zur Ausfahrt bereit.

      Da hörten sie Bergvall rufen: «Anker auf! Los!»

      Das erste Juniorenboot stiess ab und fuhr mit vollen Segeln hinaus.

      «Vorwärts! Vorwärts!» brüllte Erling, dem der Schweiss übers Gesicht lief. Er war so aufgeregt, dass Jan nahe daran war, ihn auszulachen.

      «Auf die andere Seite hinüber, Dicker!» rief Jan. «Wir brassen!»

      «Dann komme ich aber nicht aufs Bild» widersprach Erling. «Das könnte dir so passen, dass ich...»

      Weiter kam er nicht. Der Baum des Großsegels schlug hinüber, während der Wind das Segel füllte. Erling wurde in den Bauch getroffen, und der grosse Filmstern fiel mit einem Platsch ins Wasser!

      Brüllendes Gelächter erhob sich am Hafen, wo alle Segelsportler standen und das Manöver der Knaben verfolgten.

      Erling tauchte prustend und spuckend aus den blauen Wellen auf. Wie immer, wenn es wirklich darauf ankam, nahm er die Lage mit gutmütigem Humor hin.

      «Seid so freundlich und holt mich hier ab, wenn ihr zurückkommt», sagte er. «Ich werde inzwischen Wasser treten.»

      Hierauf schwamm er höchst vergnügt zum Land und liess sich von den Zuschauern hinaufhelfen, die vor lauter Lachen beinahe selbst ins Wasser gefallen wären.

      Jan musste wider Willen ebenfalls lachen. Er blickte seinem dicken Freund nach, indes das Boot aus dem Hafen hinausglitt. Erik, der am Steuerruder sass, schüttelte sich vor Lachen.

      Eine Viertelstunde später waren die beiden Boote wieder im Hafen. Bergvall erklärte sich mit der Aufnahme zufrieden.

      «Ihr wart gerade nicht im Bild, als dein Freund ins Wasser fiel», sagte er zu Jan. «Das hätte sich im Film nicht sehr gut gemacht; aber so war es ein köstliches Erlebnis.»

      «Wo ist er?» fragte Jan, dem das Lachen immer noch in der Kehle gluckste.

      «Hier, Herr Kapitän», antwortete Erling, der hinter dem Regisseur auftauchte.

      Er hatte sich mittlerweile im Klubhaus umgezogen und war mit einer grossen Portion Eiscreme versehen. «Ich bat dich, mich auf dem Rückweg abzuholen; aber da ich weiss, wie unzuverlässig du bist, zog ich es vor, an Land zu schwimmen. Das Volk huldigte mir wegen meines mutigen Einsatzes, und die Rex-Filmgesellschaft hat mich zum Admiral des Eiscrememeers ernannt. Es war ein Erfolg auf der ganzen Linie.»

      «Es gefällt mir, wie du dein Pech hingenommen hast», sagte Bergvall anerkennend. «Es ist ein gutes Zeichen, wenn man den Humor nicht verliert. Wie die Chinesen sagen: Man soll sich nie über etwas ärgern, das sich doch nicht ändern lässt. Du hast gute Miene zum bösen Spiel gemacht und deine Eiscreme redlich verdient!»

      Erling verbeugte sich geschmeichelt.

      «Wie ging die Aufnahme sonst?» fragte Jan und sprang an Land.

      «Ausgezeichnet. Ich glaube nicht, dass wir die Szene noch einmal drehen müssen. Ich habe den Eindruck, dass alles lief, wie es sollte. Das wichtigste ist, dass die Boote zu einem bestimmten Zeitpunkt ausfahren, damit sich der Dialog richtig abwickeln kann. In dem Dialog kommt nämlich eine Bemerkung über die Boote vor, worauf sich die Hauptpersonen umdrehen und ihnen nachblicken. Deshalb musste alles genau klappen. Und geklappt hat es ja, so dass alles in Ordnung ist.»

      «Haben wir heute nichts mehr zu tun?»

      «Nein, heute brauchen wir euch nicht mehr; aber morgen möchte ich die Aufnahmen auf dem Wasser machen. Könnt ihr morgen zur selben Zeit hier sein?»

      «Natürlich», erklang es im Chor von den Junioren, die sich alle um den Regisseur geschart hatten.

      Bergvall schaute ringsum im Kreis. «Ich sollte eure Namen und Adressen haben», sagte er. «Ihr bekommt alle eine Entschädigung für eure Mitwirkung. Mein Assistent, Herr Wulf, wird die Namen aufschreiben. Wie heisst ihr?»

      Die Knaben nannten ihre Namen und gaben die Adresse an, während der Assistent in sein Notizbuch kritzelte.

      Als Jan an die Reihe kam, stutzte Bergvall. «Du heisst Jan Helmer?»

      «Ja, Herr Bergvall.»

      «Was ist dein Vater?»

      «Kriminalkommissar. Ich soll Sie von ihm grüssen.»

      «Bist du der Sohn von Kriminalkommissar Helmer?» rief Josef Bergvall und drückte Jan die Hand. «Wie klein ist Skandinavien! Du weisst wohl auch, dass er einer der besten Freunde meines Vaters ist?»

      «Ja, das hat er mir gestern abend erzählt.»

      «Und wie geht es ihm?»

      «Danke, ausgezeichnet. Er hat immer sehr viel zu tun.»

      «Ich muss in den nächsten Tagen einmal mit ihm zusammenkommen. Ich hätte ihn schon längst angeläutet, wenn mich dieser Film nicht so in Anspruch nehmen würde. Aber es scheint, dass nun eine Pause eintreten wird. Jens Martin, der Träger der männlichen Hauptrolle, ist plötzlich erkrankt, und wir können deshalb vorläufig nicht weiterdrehen. So bleibt mir Zeit, deinen Vater zu treffen. Und du selbst, du bist also der berühmte Jan!»

      Jan schlug die Augen nieder. Es war ihm immer peinlich, wenn man die Rede auf seine Taten brachte.

      «Je nun», sagte er, «ich habe nichts Besonderes geleistet.»

      «So?» antwortete Bergvall und schlug Jan auf die Schulter. «Ich weiss aber einige Geschichten von dir, wie du deinem Vater geholfen und ein paar zünftige Verbrecher entlarvt hast.a) Die schwedischen Zeitungen haben darüber berichtet. Ein lustiger Zufall, dass ich gerade dich hier kennengelernt habe...»

      Jan stand auf Kohlen, weil das Gespräch diese Wendung genommen hatte; aber im gleichen Augenblick gab es eine Unterbrechung, die ihn aus der Verlegenheit befreite. Ein Angestellter der Filmgesellschaft bahnte sich einen Weg durch die Schar der Neugierigen, die sich rings um den Regisseur und die Knaben angesammelt hatten.

      Er steuerte auf Bergvall zu und sagte: «Herr Bergvall, wir haben endlich Bescheid bekommen. Jens Martin ist ernstlich erkrankt, und der Arzt meint, dass er mindestens einen Monat arbeitsunfähig sein wird.»

      Das Lächeln verschwand von Bergvalls Gesicht. «Ernstlich erkrankt», wiederholte er. «Das ist ja furchtbar... Einen Monat kann er nicht spielen... Eine Katastrophe für uns...»

      Er verabschiedete sich hastig von den Jungen und lief zu seinem Wagen.

      Drittes kapitel

      Kriminalkommissar Mogens Helmer sass im Polizeigebäude in seinem Büro und las einige umfangreiche Rapporte. Die Sonne schien zum Fenster herein, und der Kommissar warf einen sehnsüchtigen Blick auf den blauen Himmel. Ach ja, hier sass man mitten in einem Stapel staubiger Schriftstücke, während draussen die freie Natur lockte! Helmer hatte die grösste Lust, allen Rapporten und Verhören den Rücken zu kehren, seinen Stock zu nehmen und über die seeländischen Landstrassen zu wandern, um den Sommer zu begrüssen. Sein Urlaub begann jedoch erst in einigen Wochen, und im übrigen war es noch recht zweifelhaft, ob er es sich überhaupt leisten konnte, in diesem Jahr Ferien zu machen. Die Arbeit häufte sich, das Personal war knapp, und es liess sich nicht absehen, wann einmal eine Möglichkeit bestand, einen Vertreter anzustellen.

      Und auch die Menschen machten einander das Leben schwer, dachte Helmer mit einem kleinen Seufzer. Was stak denn im Grunde hinter den meisten Kriminalfällen, mit denen er zu tun hatte? Kleinigkeiten, nichts anderes als Kleinigkeiten. Wenn die Menschen nur lernen würden, einander mit etwas Höflichkeit und Freundlichkeit zu behandeln, anstatt sich von morgens bis abends zu bekämpfen und sich gegenseitig das Dasein zu erschweren!

      Der Kriminalkommissar öffnete seine Schublade und entnahm ihr eine Zigarre. Er paffte heftig, als ob er seine düsteren Gedanken im blauen Tabakrauch verlieren könnte, und vertiefte sich dann in den nächsten Rapport. Es nützte ja nichts, sich Träumereien hinzugeben. Man musste für die Aufgaben bereit sein, die


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