Dorfjunge. Paul Keller
in dieser hohen Not, ihm einen Tritt gegen den Bauch zu versetzen. Ich trat, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Rücken. Der Magen des Kühprinzen hatte für meinen Stiefelabsatz zu hoch gelegen.
Jetzt wäre ich verloren gewesen, wenn nicht ein Wunder passiert wäre. Es passierte eines: nämlich der Kühprinz lag auch. Er war über mich gestolpert. Blitzschnell erkannte ich die Lage, blitzschnell fuhr ich in die Höhe, blitzschnell ritt ich dem liegenden Kühprinzen auf dem Rücken. Er brüllte, er schlug mit den Beinen, er versuchte sich zu wälzen, er wollte sich auf die Hände stützen — alles umsonst; fest sass ich auf dem Rücken, nicht nur mit meiner ganzen furchtbaren Halb-Zentnerlast, sondern auch mit der Kraft einer Schraube, die nach physikalischen Gesetzen nicht locker lassen kann.
Jawohl, der Kühprinz war festgeschraubt!
Ein seliges Siegergefühl überkam mich, auf einen Augenblick wurde meine Phantasie rege, und der Frühlingswind, der durch die Ruten fuhr, grüsste einen Helden, der im dunklen Walde einen Riesen gefällt. Das ganz nahe Wasser aber sang mir ein brausendes Triumphlied.
Vor der Höhe dieses Gefühls erblich auch die niedrige Regung, die mich überkam, dem Kühprinzen zur Strafe für seinen Anfall hundert oder zweihundert Ohrfeigen zu geben und eine Million Püffe gegen den unfrisierten, dicken Schädel. Nein, ich tat ihm gar nichts, ich fragte nur, fragte mit der ganzen vornehmen Ruhe des Überlegenen:
„Wem’s is de Feife?“
„Meine is se,“ knirschte er.
Da bekam er doch eine Ohrfeige.
„Kannste die zweihundert Knöppe wiedergeben?“ fragte ich hochdeutsch, um ihm meine Überlegenheit begreiflicher zu machen. Nein, das konnte er nicht. Aber dennoch wollte er die Pfeife. Umsonst wollte er sie! Und er wollte auf, augenblicklich auf, wollte mir’s „anstreichen“. Auf diese glänzenden Angebote ging ich nicht ein, und so kam es wieder zu einem furchtbaren Ringen, während dessen der Kühprinz eine gotteslästerliche Liste von Flüchen und Schimpfnamen über mich ausschüttete.
Und da geschah etwas Unerhörtes. Auf der nahen Brücke erschien Olga, des Kuhprinzen „Braut“. Sie kreischte laut auf, als sie uns so ringen sah; der Kühprinz brüllte wie ein Stier und machte wahnsinnige Anstrengungen, frei zu werden; ich aber hielt fest, und da er mich rasend in die Beine zwickte, gab ich ihm wieder zwei schallende Ohrfeigen. Darob überkam die Jungfrau auf der Brücke ein Grausen, und mit dem erschütternden Rufe: „Der Keller ermurkst a Lamprecht! Der Keller ermurkst a Lamprecht!“ stürzte sie fort.
Mochte sie fortstürzen, mochte sie durchs ganze Dorf schreien, sie war lediglich ein Herold meines Ruhmes. Doch was war das? Der Kühprinz lag ganz still und atmete schwer.
„Looss mich uf!“ keuchte er.
„Wem’s is de Feife?“ fragte ich.
„Deine!“ sagte er.
„Hab’ ich dir se richtig obgekooft?“ fragte ich wieder. „Fer zweehundert,“ gab er zu.
„Lässte mich jitzt ruhig heemgiehn?“ begehrte ich noch zu wissen.
„Ich tu dir nischt!“ gelobte er.
„Na, do stieh uf!“
Drei Sekunden später standen wir, und einen Moment später — hatte er mich abermals gepackt. Ein massloser, wütender Hass gegen den Wortbrüchigen überkam mich. Ich hieb, stampfte, biss, spie — jedes Mittel war mir recht. Dazwischen rief ich: „Fips! Fips! Fips!“ Der Hund erschien. „Niem a, Fips, niem a!“
O das blödsinnige Tier! Es erfasst nicht, dass sein junger Herr ringt auf Leben und Tod, es steht da und bellt kindisch, wie es vorhin das Wasser angebellt hat. Es meint, all diese grossen Vorfrühlingsereignisse seien lediglich zu seinem Vergnügen da.
Inzwischen wird mein Atem schneller, kürzer, keuchender; der Schweiss perlt von meiner Stirn, ein heisses Zittern fliegt über den masslos angestrengten Körper. Da! — — „Grussvater“ — — —
Ein Klatschen — und mich umfängt ein eisiger Schauer. Was ist?!
Jesus! Ich liege im Wasser!
Da der Kühprinz — —
„Ich hab’ dich ni neigeschmissa,“ schreit er.
„Hilfe — Hilfe!“
„Das — das —Was — mei — mei — ich —ich —“
„Grussvater! — — — — — Gruss — — — — —“
Was ist nur? Ich wache auf. Der Mond scheint draussen. Wir haben keinen Vorhang. Den Mond und weisse Wolken sehe ich. Auch den Apfelbaum. Und der Wind geht.
Die Augen fallen mir zu. Die Blümeln ist wohl da. Ich höre sie sprechen.
„Um dan Junga wär’s schade!“
„Nu do!“ sagt der Grossvater.
Ich mache die Augen wieder auf. Ich sehe ihn. Er hat heute rote Wangen, der alte Mann. Und die Blümeln ist wirklich da. Jetzt sehen sie, dass ich wache. Wie sie sich freuen! Wie sie auf mich einreden! Was ist denn eigentlich?
„Gelt, du wärst wieder munter, Paul?“ fragt die Blümeln. Ich gucke mich um. Auf dem Tische steht der Blümelns Teeschüssel und daneben liegt meine kleine Tabakspfeife. Auch die sieben Bleiknöpfe sind da und das andere Zeug, das ich in der Tasche hatte. Was eigentlich bloss sein mag? Ich kann gar nicht denken.
„Wirste wieder gesund war‘n, Paul?“ wiederholt die Blümeln angstvoll.
Ich weiss es ja auch nicht. Aber da sehe ich wieder die Teeschüssel und die Tabakspfeife, und da sage ich: „Ja, Blümeln, ich war’ schun wieder gesund war‘n!“
Draussen singt der Frühlingswind, die Augen fallen mir wieder zu, und ein leiser, aromatischer Duft von Pfefferminze zieht durch meinen Traum.
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