Nelly - Unser Fohlen Sammy Langbein. Ursula Isbel-Dotzler

Nelly - Unser Fohlen Sammy Langbein - Ursula Isbel-Dotzler


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sehe, dass Sammeli etwas vom Boden aufleckt. Großvater streicht mit der Hand über ihren Bauch und die Stelle unter ihrem Schweif, wo vor kurzem noch die Fruchtblase war. Als er den Arm sinken lässt, traue ich meinen Augen kaum: Schon tauchen da zwei Hufe auf, die noch von einer weiß schimmernden Haut bedeckt sind. Das ist die Eihaut, die das Fohlen im Mutterleib umgibt.

      Ich bin sicher, es müssen die Vorderbeine des Fohlens sein, obwohl man sie noch nicht richtig erkennen kann. Bei einer normalen Geburt kommen die Vorderbeine immer zuerst, das hat Großvater mir gesagt. Als Nächstes muss der Kopf austreten …

      Unwillkürlich halte ich den Atem an. Emma rammt mir ihren spitzen Ellbogen in die Seite, aber ich merke es kaum. „Du, was ist die weiße Haut da?“, fragt sie.

      „Das sind die Vorderbeine“, antworte ich und beobachte dabei gespannt, wie Großvater den Kopf hebt. Ich merke, dass er etwas sagt. Jetzt kommt auch Mick in die Box. Er und Großvater ziehen an den Vorderbeinen des Fohlens. Ich weiß, dass man das Geburtshilfe nennt. So wird es für Sammeli leichter, die Schulter ihres Fohlens durch das Becken zu drücken.

      Aber natürlich darf man nicht einfach so draufloszerren, hat Großvater mir erklärt. Die Geburtshilfe muss auf die Wehen der Stute abgestimmt sein. Und die Wehen sind dazu da, ein junges Lebewesen bei der Geburt aus dem Mutterleib zu pressen.

      Emma zappelt hin und her. Gleich wird sie vom Stuhl fallen. „He, was ist jetzt los? Was passiert denn jetzt?“, fragt sie dauernd. Sie geht mir total auf den Keks.

      „Halt den Schnabel!“, brumme ich. „Das siehst du doch selbst! Sie ziehen an den Vorderbeinen … Jetzt kommt der Kopf, und da … Jetzt ist es ganz heraus!“

      Ich atme tief ein. Sammeli hat es geschafft! Das kleine Pferd ist in die Streu geplumpst. Es ist teilweise noch in die Eihaut eingewickelt.

      Für ein paar Minuten liegt Sammeli erschöpft auf der Seite. Dann beschnuppert sie ihr Fohlen. Sie leckt es ab und zieht die Eihaut von seinem Kopf. Das Kerlchen ist noch unter dem Schweif seiner Mutter, nass wie ein Biber und immer noch durch die Nabelschnur mit Sammeli verbunden.

      Jetzt sehe ich, dass es ziemlich dunkel ist, dunkler als Sammeli. Eine schmale weiße Blesse zieht sich über seinen Nasenrücken von der Stirn hinunter. Es hat unheimlich lange Beine, die noch unter den Körper geknickt sind. Mühsam und schwankend hebt es den Kopf.

      Mich überläuft ein Schauder. Das ist ein Augenblick, den ich bestimmt nie vergessen werde, mein ganzes Leben lang nicht! Ich drücke Emma an mich. Ich möchte lachen und singen und einen Regentanz aufführen, in den Stall rennen, Großvater und Mick um den Hals fallen und Sammeli den Huf schütteln.

      „Nelly“, sagt Emma neben mir, „ich glaube, mir ist ein bisschen schlecht.“

      Plumps!

      Ich schicke Emma ins Haus. „Lass dir ein Kirschwasser oder so was Ähnliches einflößen“, sage ich. „Chris und Kathi wollen sicher wissen, was hier so abläuft.“

      Offenbar ist meiner Schwester wirklich übel, denn sie verschwindet ohne Widerrede. Ich dagegen weiche nicht von meinem Fensterplatz. Ich will unbedingt sehen, wie unser Fohlen zum ersten Mal aufsteht.

      Noch sind Sammeli und ihr Kind durch die Nabelschnur verbunden. Von Großvater weiß ich, dass eine Stute und ihr Fohlen nach der Geburt einige Zeit ruhig liegen sollen, damit sich die Nabelschnur schließen kann. Denn das Fohlen könnte verbluten, wenn die Nabelschnur zu früh reißt.

      Großvater und Mick warten. Frau Pflaumer beugt sich über die Boxwand. Sie redet mit Sammeli, das sehe ich. Wieder schnuppert die Norwegerstute an ihrem Fohlen. Die beiden Nasen – die kleine mit dem weißen Streifen und die große sandfarbene – sind dicht beisammen.

      Das Fohlen hat die Ohren angelegt. Ich beobachte, wie es sein Mäulchen öffnet und den Kiefer bewegt, als würde es kauen.

      Sammeli leckt ihm die Nase ab. Ich habe gelesen, dass die Mutterstute ihr Fohlen auf diese Weise dazu anregt, richtig durchzuatmen. Und dass sie seine Nüstern säubern will, die noch ganz verklebt sind. Es ist auch wichtig, dass sich eine Stute den Geruch ihres Fohlens ganz genau einprägt. So erkennt sie es später unter vielen anderen Pferden sofort wieder.

      Ich glaube, es dauert ungefähr zwanzig Minuten, bis Sammeli aufsteht. Dabei zieht sie die restliche Eihaut von ihrem Fohlen mit sich hoch. Es sieht aus, als hätte sie einen zusammengeklappten weißen Schirm zwischen den Hinterbeinen, der bis hinunter zu dem kleinen Pferd reicht.

      Dann fällt etwas in die Streu. Ich sehe es nicht genau, aber das ist die Nachgeburt. Großvater und Mick, die beide Gummihandschuhe tragen, bringen den so genannten Mutterkuchen sofort aus der Box, damit Sammeli ihn nicht auffressen kann. Sonst besteht die Gefahr, dass sie daran erstickt.

      Sammy, Sammelis Fohlen, bleibt noch ganz erschöpft liegen. Den Namen haben wir ihm schon vor Wochen gegeben. Sammy – das kommt von Sammeli und passt für ein Hengstfohlen genauso wie für ein Stutfohlen.

      Dann kommt Frau Pflaumer mit einem Arm voll frischem Stroh und schichtet es sorgsam um das kleine Pferd herum, sodass es wie in ein Nest gebettet liegt.

      Noch immer hat Sammy nicht versucht aufzustehen. Großvater ist jetzt wieder in der Box und untersucht Sammeli. Wahrscheinlich will er feststellen, ob die Nachgeburt auch wirklich ganz herausgekommen ist. Sammeli kümmert sich nicht um ihn. Sie ist vollauf damit beschäftigt, ihr Fohlen abzulecken, ganz gründlich, von vorn bis hinten und von oben bis unten.

      Plötzlich legt mir jemand die Hand auf die Schulter. Ich zucke zusammen. Es ist Chris, mein Vater. Hinter ihm steht meine Mutter.

      „Ist alles gut gelaufen?“, fragen sie. „Ist es schon aufgestanden?“

      „Nein“, sage ich. „Es liegt noch in der Streu. Mann, es ist so ein süßes Kerlchen! Wollt ihr’s mal sehen?“

      Ich steige vom Stuhl, damit meine Eltern durchs Stallfenster schauen können. Hoffentlich bleiben sie nicht zu lange da oben, denke ich. Schließlich muss ich unbedingt wissen, wie es weitergeht. Am spannendsten ist jetzt natürlich, ob wir einen kleinen Hengst oder eine Stute bekommen haben.

      Kathi streckt die Hand nach mir aus. „Komm“, sagt sie. „Stell dich hier neben mich. Wenn wir zusammenrücken, hast du auch noch Platz.“

      Ich stehe mit einem Bein auf Kathis Stuhl und mit dem anderen auf dem von Chris. Aber das macht nichts, denn sie haben die Arme um mich gelegt und halten mich fest.

      „Was für ein goldiges Köpfchen!“, sagt Kathi begeistert. „Das muss ich unbedingt malen! Jetzt versucht es sich aufzurappeln – herrje, schaut euch bloß die langen, dünnen Beinchen an …

      Sammy schwankt hin und her. Sammeli stupst ihr Fohlen. Es will sich aufrichten, schafft es aber irgendwie nicht und plumpst wieder in die Streu. Jetzt kommt der nächste Versuch. Es sieht unheimlich rührend aus, wie das kleine Pferd sich da in seinen eigenen langen Beinen zu verheddern scheint.

      Großvater, Mick und Frau Pflaumer stehen an der Boxtür und sehen zu. Am liebsten würde ich in den Stall laufen und dem Kleinen helfen.

      „Na los, komm doch! Du kannst es!“, sagt Chris, genau wie damals, als ich Rad fahren lernte und wie ein betrunkener Matrose durch die Landschaft kurvte.

      Endlich hat es geklappt. Das denke ich wenigstens. Denn kaum steht das Fohlen für ein paar Sekunden mit komisch gespreizten Beinen in der Streu, da fallt es auch schon wieder um.

      Aber es ist ein Stehaufmännchen. Sofort versucht es von neuem hochzukommen.

      „Wenn Sammeli ihr Kind nicht dauernd anstupsen würde, wär’s vielleicht einfacher“, sagt meine Mutter und lacht leise.

      Ja, Sammeli ist ständig mit der Nase bei ihrem Fohlen. Und weil das Kleine sowieso Schwierigkeiten hat, das Gleichgewicht zu halten, wird es von der Nase seiner Mutter immer wieder umgestoßen. Plumps! Zum vierten oder fünften Mal knicken ihm die Beine weg.

      Trotzdem gibt Sammy nicht auf. Es will nicht liegen bleiben, sondern


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