Ich bin dann mal nicht weg. Gernot Zimmermann

Ich bin dann mal nicht weg - Gernot Zimmermann


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Angenehmer Nebeneffekt dabei – ich schlafe jeden Tag in meinem eigenen Bett.

      Rückblickend wäre es wohl besser gewesen, ich hätte meine Wanderung durch Innsbruck gleich im Juli oder August 2019 gemacht, es wären mir einige Schwierigkeiten erspart geblieben. Aber aus verschiedenen Gründen ist es nicht dazu gekommen und am 11. März 2020 startete ich schließlich meine Tour.

      Von Beginn an wurde ich dabei von meiner Frau Ilse begleitet, sie hat während der insgesamt 36 Wandertage über 4.000 Fotos geschossen. Die ersten Tage hat sie mich noch zu Fuß begleitet, aber dann ist plötzlich alles anders geworden. Zuerst hat der Corona-Wahnsinn das ganze Land in Geiselhaft genommen und in vielen Bereichen völlig lahmgelegt. Während der wochenlangen Quarantäne Tirols durften wir nicht einmal mehr in den Nachbarort fahren und nur noch in Ausnahmefällen das Haus verlassen.

      Und dann hat sich vor mir unvermittelt ein neuer Gegner aufgebaut – ich habe mir nämlich leider die „Periphere Arterielle Verschlusskrankheit (PAVK)“ eingehandelt. Durch diese de facto unheilbare Durchblutungsstörung kann ich ohne große Schmerzen keine längeren Strecken mehr gehen, 170 Meter sind das absolute Maximum. Die Diagnose bekam ich nach Wandertag 9 gestellt und damit war das Projekt natürlich gestorben. Ich hatte ja bis dahin erst knapp über 100 Straßen hinter mir und wie soll ich denn bitteschön die restlichen 550 Straßen abgehen, bei meinem Radius? Wie soll ich da die Igler Straße bewältigen können oder die Kranebitter Allee? Wie die Gramartstraße mit ihrer „Höll“ oder den Schusterbergweg mit seinen 20 Prozent Gefälle?

      Lassen Sie mich vorgreifen – ich habe es trotz meiner Krankheit geschafft, alle Innsbrucker Straßen von Anfang bis zu ihrem Ende zu Fuß zu bewältigen. Das muss natürlich heißen, WIR haben es geschafft. Denn ohne meine Frau Ilse wäre das Projekt „Erstbegehung von Innsbruck“ eine Vision geblieben bzw. gleich zu Beginn gescheitert. Ihr Beitrag ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, im Buch wird aber noch viel davon zu lesen sein.

      Wie uns diese gemeinsame „Erstbegehung von Innsbruck“ gelingen konnte? Auf den folgenden Seiten habe ich das niedergeschrieben und ich wünsche gute Unterhaltung beim Lesen.

      Gernot Zimmermann

      Innsbruck, im Oktober 2020

      Für meine Wanderung durch Innsbruck habe ich mir ein paar Regeln aufgestellt, damit das Ganze ein bisschen einen Rahmen hat:

      Die Grenzen von Innsbruck sind für mich nicht die Ortstafeln, sondern die offiziellen Gemeindegrenzen. Aber ich behalte mir vor, auf die Ortstafeln als Grenze zurückzugreifen, wenn das notwendig wäre.

      Ich werde jede Straße in ihrer vollen Länge abgehen und zwar auf einmal. Das heißt, zu verlockenden Nebengassen werde ich nicht abbiegen, bevor die eben begangene Straße noch nicht abgehakt ist.

      Prinzipiell werde ich Stadtteil für Stadtteil abhandeln, aber das ist kein Muss. Wenn es mir günstig erscheint, dann werde ich auch in einen anderen Stadtteil „vordringen“, bevor der eine erledigt ist. Ganz davon abgesehen lassen sich Innsbrucks Stadtteile nicht immer klar abgrenzen, es gibt da durchaus unterschiedliche Ansichten und ich will mich in diese ewigen Diskussionen nicht groß einmischen.

      Ich werde nicht zu jeder einzelnen Hausnummer bzw. zu jedem einzelnen Haus hingehen. So zweigen etwa von der Höhenstraße gleich mehrere Zufahrten zu Häusern ab, sowohl links als auch rechts. Die werde ich, wie gesagt, auslassen, die Höhenstraße selbst genügt mir. Und weil wir gerade bei der Höhenstraße sind – ich werde natürlich alle ansteigenden Straßen Innsbrucks möglichst bergab bewältigen. Meine Kondition ist schließlich sehr endlich, ich bin nun mal kein Bergläufer.

      Das Buch ist als Tagebuch geführt und wenn ich neue Straßen, Gassen, Plätze oder Brücken angehe, schreibe ich in Klammern dazu, nach wem oder was sie benannt wurden. Jeweils ganz kurz nur, eine ausführlichere Beschreibung würde sonst schnell den Umfang des Buches „Innsbrucker Straßennamen“ von Josefine Justic annehmen. Das hat fast 300 Seiten und es war mir bei meiner Tour durch Innsbruck eine wertvolle Hilfe.

      So – und jetzt lassen wir es losgehen bzw. lassen wir mich losgehen ...

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       Mittwoch, 11. März 2020

      Auf diesen Tag habe ich mich jetzt wirklich lange genug gefreut, aber heute starte ich endgültig mein Projekt „Erstbegehung von Innsbruck“. Vielleicht ein etwas zu hochtrabender Titel, doch ich gehe schon davon aus, dass noch niemand vor mir alle Straßen Innsbrucks zu Fuß bewältigt hat. Wobei das im Endeffekt eh egal ist, denn um Rekorde oder so geht es mir nicht. Viel an Vorbereitung musste ich in mein Projekt nicht investieren, mit guten Wanderschuhen, einem tauglichen Stadtplan von Innsbruck und dem Ausdrucken des offiziellen Straßenverzeichnisses der Stadt war das rasch erledigt.

      An dieser Stelle kann nicht unerwähnt bleiben, dass zurzeit ganz Europa gegen ein heimtückisches Virus ankämpft, das schon ganze Landstriche in Geiselhaft genommen hat. Gestern hat Italien die Grenzen zu allen Nachbarländern geschlossen und sich damit völlig isoliert. Ein ganzes Land unter Quarantäne, wann hat es das in der jüngeren Geschichte je gegeben? In Österreich und in Tirol sind die Infektionszahlen noch nicht besorgniserregend, aber in Innsbruck haben wir schon einzelne Fälle gehabt. Mal schauen, wie sich das weiterentwickelt, doch ein Blick in die Lombardei lässt leider Schlimmes erwarten. Aber vom Start meines Projekts lasse ich mich dadurch nicht abhalten, zumindest vorerst nicht.

      Mittlerweile weiß ich ziemlich genau, was mir bevorsteht – es gibt in Innsbruck offiziell 635 Straßen, Gassen, Wege, Plätze, Promenaden und Steige, dazu kommen noch einige Inn- bzw. Sillbrücken und Stege, also deutlich über 650 Adressen insgesamt. Die Gesamtstrecke soll 332 Kilometer lang sein, das wird sich ziehen …

      Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt und ich werde diesen Schritt auf einer Tankstelle setzen. Der Grobplan ist, dass ich mit dem Stadtteil anfange, in dem wir wohnen – also mit Pradl. Als Erstes würde ich gerne all jene Straßen abgehen, die Pradl begrenzen und so bringt mich meine Frau Ilse zur Tankstelle am Autobahnzubringer Innsbruck-Ost, zum Ende – bzw. ist es für mich der Anfang – der Amraser-See-Straße (bis um das Jahr 1870 gab es hier einen See).

      Das Wetter ist nicht schlecht, aber kurz nach 8 Uhr früh ist es noch empfindlich frisch. Schon nach ein paar Schritten befinde ich mich am Parkplatz des Einkaufzentrums DEZ und beschließe spaßhalber, quer durch den Konsumtempel zu gehen. Konsumtempel passt übrigens ziemlich gut, denn das DEZ wird pro Jahr von weit mehr Menschen besucht als die Pilgerstätte Lourdes. Aber das nur nebenbei … Ich war übrigens als Kind bei der Eröffnung dabei und erinnere mich noch lebhaft an eine große Kanone, mit der Süßigkeiten in die Menschenmenge geschossen wurden. Das war übrigens am 24. September 1970, danke Internet.

      Noch bin ich keine 500 Meter weit gegangen und immer noch im DEZ, da meldet sich plötzlich meine linke Wade. Sie protestiert wahrscheinlich gegen mein hohes Tempo, also muss ich da einen besseren Rhythmus finden. Aber ich darf meinen Muskeln auch nicht böse sein, denn seit wir im Dezember von Indien zurückgekommen sind, bin ich nur faul auf der Couch gelegen. Von gelegentlichen Spaziergängen abgesehen. Kein Wunder, dass ich mich erst wieder an Bewegung gewöhnen muss.

      Gleich einmal nach dem großen Parkplatz wartet Ilse bei der Fußgängerunterführung auf mich und gemeinsam marschieren wir die Amraser-See-Straße entlang. Sie bildet den östlichsten Teil des Südrings und reicht bis zur Kreuzung mit der Amraser Straße, ab da setzt sich der Südring als Burgenlandstraße (österreichisches Bundesland) fort. Schon nach 30 Metern kommen wir bei einer meiner ehemaligen Arbeitsplätze vorbei, denn hier war einst der „Autoverleih Buchbinder“ angesiedelt. Das wird im 1987er-Jahr gewesen sein. Ich war hauptsächlich als LKW-Fahrer tätig und habe mit einem Autotransporter die Leih-Fahrzeuge zu den Vertragspartnern geführt. Einmal wollte ich gerade einen nagelneuen VW Golf aufladen, der hatte einen Kilometerstand von unter 20. Beim Auffahren brach leider eines der beiden Bleche der Rampe, der Golf kippte sofort nach links und verkeilte sich zwischen LKW und der


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