Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue. Anne-Laure Daux-Combaudon
Identitätssatz (Typ II ‚equative‘) wird die Identität zweier durch the Morning Star und the Evening Star repräsentierter Referenten behauptet.“ Identitätssätze sind dem semantischen Gedächtnis zuzurechnen.
„Im identifizierenden Satz (Typ III ‚identificational‘) wird durch die NP the Mayor of Cambridge der Referent des Subjekts that woman identifiziert.“ Identifizierende Sätze sind dem episodischen Gedächtnis zuzurechnen.
Typ IV: „The reason for the accident was broken brakes“ (Bsp. nach Mikkelsen 2005 zit. n. Geist / Rothstein 2007: 8) soll aufgrund der prädikativen NP nicht-referentiell sein. Im Deutschen brauchte man ein finites Verb im Plural, also Die Ursache des Unfalls waren defekte Bremsen.
Möglich wäre aber der folgende Satz: Die Ursache des Unfalls (ist): defekte Bremsen. Referiert wird hierbei nicht in die reale Welt, sondern in die mentale Welt, also metakognitiv. Diese metakognitive Referenz ist dem semantischen Gedächtnis zuzurechnen: Wenn ein Auto defekte Bremsen hat, besteht die Möglichkeit eines Unfalls.
2 Das Schema x ≆ y
Wenn wir ein Schema x ≆ y annehmen, dann ergibt sich aus dieser Annahme die Frage, wie das mathematische Ungefährzeichen zu interpretieren ist. Wie bei Synonymen (bspw. Orange und Apfelsine) kann eine solche Gleichsetzung (=Identitätssatz) zweier Lexeme nur der Konstruktion einer Simplifizierung Raum geben, die wiederum der Vereinfachung von Kategorisierungen und damit der Orientierung in der Welt dient (vgl. hierzu auch Lakoff 1982). Während bei eine Orange das Element der Farbgebung profiliert wird (zur Profilierung vgl. Langacker 2008), wird bei eine Apfelsine entweder die Formgebung in Analogie zu einem Apfel oder das Suffix -sine salient gemacht (ob das ein oder andere intendiert ist, hängt, wie sich im weiteren Gang zeigen wird, an der Kontextualisierung bzw. der Einbindung in den Diskursstrang):
(1) Auf dem Regal ist eine Apfelsine.
(2) Auf dem Regal ist eine Orange.
Auf diese Weise wird mit zwei verschiedenen Lexemen auf den gleichen Referenten verwiesen, woraus sich in Anlehnung an Freges Morgenstern und Abendstern mit Blick auf die Venus zwei unterschiedliche Sinnkontexte ergeben:
Ersetzen wir nun in [dem Satz] ein Wort durch ein anderes von derselben Bedeutung, aber anderem Sinne, so kann dies auf die Bedeutung des Satzes keinen Einfluss haben. (Frege 1892: 32)
Für die in eine Proposition gebettete NP eine Apfelsine und eine Orange können also in Anlehnung an Frege zwei verschiedene Sinne (= Bedeutungen) angesetzt werden unter Beibehaltung dergleichen Bedeutung (= Bezeichnung). Im Übertrag auf das zugrunde liegende Schema x ≆ y (Apfelsine ≆ Orange) bedeutet dies, dass das Ungefährzeichen nur auf einer Ebene der Profilierungsdifferenz Gültigkeit besitzen kann. Während Frege diesen Unterschied in der Profilierung nicht für relevant mit Blick auf die ontologische Erschließung von Welt hält und auf die gleichbleibende Bedeutungsebene (= Bezeichnung) verweist, ist die Profilierungsdifferenz nach Langacker auf der Bedeutungsebene anzusiedeln, und zwar eben in der Weise, dass zwar auf den gleichen Referenten oder das gleiche Ereignis verwiesen wird, aber unter Verwendung zweier unterschiedlicher Profilierungen (und damit unterschiedlicher psychologischer Realität):
When a relationship is profiled, varying degrees of prominence are conferred on its participants. The most prominent participant, called the trajector (tr), is the entity construed as being located, evaluated, or described. Impressionistically, it can be characterized as the primary focus within the profiled relationship. Often some other participant is made prominent as a secondary focus. If so, this is called a landmark (lm). Expressions can have the same content, and profile the same relationship, but differ in meaning because they make different choices of trajector and landmark. (Langacker 2008: 70, Herv. i.O.)
Für unser Beispiel könnten wir neben den jeweiligen trajectors je eine passende landmark konstruieren, die der Profilierungsdifferenz Ausdruck verleiht:
(3) Auf dem Regal ist eine Apfelsine (tr), darüber gehängt ein Bild der Sine (lm) [Fluss im westafrikanischen Senegal].
(4) Auf dem Regal ist eine Orange (tr), gehüllt in blaues Tuch (lm).
Der auf dem Regal liegende Referent bleibt der gleiche (= Bedeutungsgleichheit nach Frege), verursacht den RezipientInnen aber möglicherweise zwei verschiedene psychologische Realitäten aufgrund der unterschiedlichen Profilierungen: Für (3) gilt: Die Apfelsine auf dem Regal zu sehen, ist (führt dazu) sie im Spiel mit dem darüber hängenden Bild der Sine zu verknüpfen. Für (4) gilt: Die auf dem Regal liegende Orange zu sehen, ist (führt dazu) sie im komplementären Spiel mit der Umhüllung durch das blaue Tuch zu verknüpfen. Das führt dazu ist im Sinne einer bloßen Möglichkeit zu verstehen (kann dazu führen), die der Mensch, der die Komposition gestaltet hat, intendiert haben kann, oder die dem Zufall geschuldet ist, und nun von RezipientInnen entdeckt wird.
Behr / Quintin (1996) behandeln das Schema X ‚istʻ Y im Zusammenhang der Klassifikation von verblosen Satztypen als „interne Prädikation“, wobei die Instanziierung des Schemas auch durch Infinitivkonstruktionen und Komplementsätze erfolgen kann (vgl. hierzu auch Behr 2016, Anm. 6). Behr führt zur Definition des Schemas das Folgende an:
Die Formel „X ‚istʻ Y“ muss als eine heuristische Paraphrase gelesen werden, sie impliziert keine implizite oder elidierte Kopula. Die Kopula-Variable „ist“ indiziert dabei sowohl eine charakterisierende wie eine identifizierende Relation. Eine Formulierung wie folgende wäre expliziter: „X charakterisiert durch Y“, wobei für X und Y bestimmte grammatische Regeln gelten. Davon wäre dann eine Relation wie „X identisch mit Y“ zu unterscheiden, da X und Y andere grammatische Merkmale aufweisen und die Aktualisierung der Prädikation als „Text-Satz“ (Lyons) Regeln folgt, die sich mit denen für den VLS-Typ „X charakterisiert durch Y“ nur teilweise decken. Dieser Unterschied wird im Deutschen nicht über die Kopula „sein“ kodiert. „X ‚istʻ Y“ ist als Formel also unterspezifiziert. (Behr 2016: 140)
Behr unterscheidet hier die beiden Kopulaqualitäten von SEIN im Sinne eines SEIN, das ohne Referenz auskommt (Individuenprädikat, semantisches Gedächtnis) und einem SEIN, das mit Referenz in Raum und Zeit funktioniert (Stadienprädikat, episodisches Gedächtnis):
1 Präzisierend: episodisches Gedächtnis (= Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, mit Referenz in Raum und Zeit)
2 Identitätssatz: semantisches Gedächtnis (= Behrs „X ist identisch mit Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch
3 Identifizierender Satz: episodisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, mit Referenz in Raum und Zeit)
4 Spezifizierend: semantisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch
Identitätssätze und spezifizierende Sätze funktionieren entsprechend mit der Kopula SEIN, die metakognitiv referiert und auf das semantische Gedächtnis (Wissen) zugreift. Präzisierende und identifizierende Sätze hingegen mit der Kopula SEIN, die in Raum und Zeit referiert und auf das episodische Gedächtnis (Erfahrung) zugreift. Alle diese Prozesse des Referierens sind durch das Schema x ≆ y abgedeckt.
Damit hantieren wir mit Typ 2 (Identitätssatz) und 4 (spezifizierend) auf einer syntaktischen und semantischen Ebene mit Blick auf die Eröffnung möglicher Welten, wodurch wir uns in den Bereich der Modalität bewegen.
Diese Beobachtung kann generell mit dem Prozess des Groundens in Verbindung gebracht werden: Werden lexikalische Einheiten nur nebeneinander gestellt, so bleiben sie in der mentalen Welt propositionslos bzw. erlauben mehrere Interpretationen und sind damit unendlich ambigue in Abhängigkeit davon, welcher verbale Wert hinzugefügt wird:
If left ungrounded, this content has no discernible position in their mental universe and cannot be brought to bear on their situation. It simply floats unattached as an object of idle contemplation. (Langacker 2008: 259)
Die