How to Get Shit Done. Erin Falconer
ich einfach nicht weiterkam. Guter Scherz. In Wahrheit wollte ich ihr sagen, dass der Augenblick nicht der richtige wäre und ich passen müsste.
Und das hätte ich getan, hätte ich nicht kurz vor dem Anruf eine ganz bestimmte E-Mail gelesen.
Als ehemalige Schülerin der besten Mädchenschule Winnipegs bekomme ich monatlich einen Newsletter mit der Betreffzeile »Calling All Crestlines«, was frei übersetzt bedeutet: »Schreib uns und berichte uns über deine Erfolge im Leben.« Drei oder vier Jahre lang hatte ich regelmäßig diese E-Mails bekommen. Und jedes Mal hatte ich sie geöffnet und mir all die tollen Errungenschaften der Ehemaligen angeschaut:
»Mary Joe Clairmont, geb. Smith, Jg. 96, hat soeben ihren ersten Nachwuchs Max zur Welt gebracht«; »Barbara Goldberg, geb. Rosen, Jg. 99, wurde an der Dalhousie University zum Masterstudium der Ingenieurswissenschaften zugelassen«; »Ginnie Rotthousen, geb. Flugaelsteen, Jg. 57, hat ihren neuen Golden Retriever erfolgreich stubenrein gemacht«.
Und seit drei oder vier Jahren sagte ich mir jeden Monat: Ich kann es gar nicht erwarten, selbst einmal etwas vermelden zu können. Vielleicht im nächsten Monat!
Kurz bevor ich mich zum Gespräch mit meiner Agentin einwählte, poppte also der monatliche Calling-All-Crestlines-Newsletter auf meinem Bildschirm auf, und ich scrollte mechanisch durch die Meldungen und wollte schon innerlich sagen: Ich kann es gar nicht erwarten, selbst einmal etwas vermelden zu können, als ich mir selbst ins Wort fiel.
»Willst du mich verarschen?«, sagte ich laut.
Du wünschst, du hättest etwas zu vermelden???
Wie wäre es mit … nun ja, vielleicht damit:
Du betreibst einen der meistbeachteten Persönlichkeitsentwicklungs-Blogs der Welt, hast dein Start-up nach nur zwei Jahren an ein börsennotiertes Unternehmen verkauft, stehst auf einer Forbes-Top-100-Liste, wurdest als eine der Top-Influencer in Los Angeles bezeichnet, hast heute 400 Leute, die für dich schreiben, wurdest zweimal eingeladen, einen TEDx-Talk zu halten, und hast in den sozialen Netzwerken mehr als EINE MILLION Follower …
Und als ich all das aufzählte – und echt stolz auf mich hätte sein können! – wurde mir stattdessen bewusst, wie müde und vergleichsweise unglücklich ich war. Ich rechnete mir all das Erreichte nicht an. Und vielleicht zählte das alles in meinen Augen einfach nicht. Ich schaute in keinem Augenblick zurück – ich hetzte nur immer weiter zum Nächsten … und zum Übernächsten! Mit anderen Worten: Ich war produktiv wie nur was, aber nicht nach meinen eigenen Maßstäben.
Und das war der Augenblick, als es mir zu dämmern begann!
Ich musste noch einmal von vorn beginnen. Wieder einmal. Ich musste herausfinden, was für mich selbst zählte und wie ich etwas schaffen und dabei meinen eigenen Werten und Zielen als Mensch und als Frau treu bleiben konnte. Ich wusste, dass das Zeit brauchen würde, aber ich wusste auch, dass ich da etwas Wichtigem auf der Spur war. Und weil ich, wenn eines, dann ehrgeizig bin, sagte mir mein Gefühl, dass ich einen Pfad zur Produktivität finden würde, den auch andere Frauen würden nutzen können.
Ich rief also meine Agentin an, und meine Stimme zitterte vor Aufregung.
Ja, ich werde dieses Buch schreiben!
Und ja, es wird darin um Produktivität gehen!
»Calling All Crestlines«:
»Erin Falconer, geb. Falconer, Jg. 92, wird ein Buch schreiben, in dem sie Produktivität von Frauen im 21. Jahrhundert neu definiert. Lest alles darüber. Sofern ihr die Zeit dafür erübrigen könnt …«
* Anspielung auf den 1970 erschienenen Jugendroman der US-amerikanischen Schriftstellerin und Pädagogin Judy Blume »Are You There God? It’s Me, Margaret«
Teil I
1. Kapitel – POP (Persönlichkeit, Ort, Produktivität)
Freud fragte einst: »Was wollen Frauen?«
Verdammt. Gute. Frage.
Was ich daran am interessantesten finde, ist, dass Männer, wie es scheint, sich diese Frage regelmäßig stellen, Frauen aber so gut wie nie. Oder wenn, dann beladen mit Schuldgefühlen. (Ich kann mich nicht mit solchen Fragen abgeben, wenn ich in derselben Zeit anderes erledigen könnte oder sollte.) Frauen sind im klassischen Sinn des Wortes der Inbegriff von Produktivität. Mir fällt (außer der Blattschneiderameise) keine Spezies ein, die mehr auf die Reihe kriegt – angefangen mit der Erzeugung und dem Überleben der Gattung Mensch. Und doch wurden wir Frauen bis vor sehr Kurzem irgendwie – irgendwie – und ganz besonders durch unsere eigene Brille immer als zweitklassig wahrgenommen. Wir haben ständig das Bedürfnis, unseren Wert unter Beweis zu stellen, wo dieser doch jedem Wesen oder Ding im Umkreis von einhundert Meilen rund um den Planeten offensichtlich sein sollte.
Wir leisten eine ganze Menge, nicht wahr? Jeden Tag ein bisschen mehr – mit jeder neuen App und jedem neuen Tool. Nur dass diese modernen Tools (die besonders Frauen zugutekommen – ich werde darauf noch zurückkommen) doch eigentlich dazu genutzt werden sollten, um Zeit freizumachen, um – nun ja – leben zu können. Aber wie Frauen nun einmal so sind: Wie werden diese Tools genutzt? Richtig: um Zeit zu sparen. Und um in dieser Zeit dann noch mehr zu leisten.
Studien belegen, dass Frauen täglich im Schnitt ein bis drei Stunden länger arbeiten als Männer, wenn wir die unbezahlte Arbeit zu Hause mit einrechnen. Richtig: Nach einem vollen Arbeitstag im bezahlten Job (in dem Sie freilich nur vier Fünftel dessen bezahlt bekommen, was Ihr männlicher Kollege für dieselbe Arbeit erhält) eilen Sie nach Hause, um sich noch ein paar Stunden um die Kinder, das Abendessen und die Wäsche zu kümmern. Und scheint es uns nicht, als wären wir, je mehr wir leisten, nur umso unzufriedener, manischer und gestresster? Anfänglich fühlt sich das gut an, so über den Tag alles auf die Reihe zu kriegen. Aber das ist wie eine Droge. Das Hochgefühl verfliegt, und am Ende des Tages sind wir erschöpft – mit schmerzendem Rücken von all der Plackerei.
Es ist absurd.
Aber warum ist das so? Wie kommt es, dass wir fleißiger sind denn je, aber dennoch nicht das Gefühl haben, irgendwo anzukommen? Was ich denke, ist dies: Viele von uns wissen gar nicht, was uns glücklich und zufrieden machen würde. Oder dass wir ein Gefühl des Glücks und der Zufriedenheit verdienen. Überdies nehmen wir uns nicht die Zeit zu analysieren, was wir tun müssten, um unsere besten Seiten zum Vorschein zu bringen. Klar, vielleicht haben wir eine vage Vorstellung davon, was uns gefällt und woran wir Spaß haben (Freitagabende mit Pizza, Wein und Freundinnen oder zuschauen, wie meine Kinder die Welt entdecken), aber wir nehmen uns nicht die Zeit, uns klar zu machen, was uns wirklich glücklich und zufrieden macht und uns Energie schenkt, statt sie zu rauben, und was aus dieser Erkenntnis für unser zukünftiges Verhalten folgen sollte. Ohne dieses Gefühl der Erfüllung – und der tieferen Zweckhaftigkeit unseres Tuns – wird wahre »Produktivität« für immer unerreichbar bleiben.
Also das müsste es sein: Wir werden im Leben nach dem beurteilt, was wir leisten. Und an Frauen werden regelmäßig strengere Maßstäbe angelegt. Eine Studie der New York University kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen im Job sehr viel mehr leisten müssen als Männer, um als ebenso produktiv wahrgenommen zu werden. Wir frönen also weiter dem Trott. »Wie es mir geht? Bestens. Ich habe heute so viel geschafft!« Wir wünschen uns ein tadellos aufgeräumtes Zuhause, gesunde und wohlschmeckende Mahlzeiten, eine steile berufliche Karriere, artige Kinder, spirituelle Erfüllung, vorbildliches gesellschaftliches Engagement, heißen Sex und zu allem auch noch Zeit zum Ausspannen. Aber hier ist der Knackpunkt: Wenn wir Frauen weiter um der Produktivität willen produktiv sind, ernten wir damit am Ende das Gegenteil von Zufriedenheit.
Vielleicht kommen Sie sich wie