Unbox your Life!. Tobias Beck
234 Mal sei das in Europa im letzten Jahr passiert. Für mich war eines schlagartig klar: Mein argloses Handeln musste ein Ende haben – schon alleine, um meinen kleinen Sohn zu schützen. Hessen war in der Karte auch noch rot eingezeichnet. Rot! Das steht für besonders viele Zecken. Ich blätterte panisch weiter. Dafür musste es doch eine Lösung geben! Auf der letzten Seite wurde ich endlich fündig: Wenn man sich zweimal täglich das Zeckenwunderspray für 29,99 Euro auf die Fesseln sprüht, bleiben einem die Viecher vom Hals.
Genau 17 Minuten nach dem Kauf des Erkältungsmittels in der Apotheke am Flughafen betrat ich nun panisch eine Dependance dieser Kette am Hauptbahnhof. »Einmal Zeckenspray«, hörte ich mich husten. »Sehr gerne«, sagte der Klon der Apothekerin am Flughafen (auch hier haben die Spiegelneuronen wieder zugeschlagen, denn Apotheker sehen irgendwie alle gleich aus). Zwei Stunden später saß ich zu Hause bei heruntergelassenen Jalousien, eingesprüht und stinkend am Tisch, denn viel hilft ja bekanntlich viel. »Tobi, was um alles in der Welt ist passiert?«, fragte meine Frau. »Warum hast du die Jalousien am helllichten Tag heruntergelassen?« »Wir sind im Krieg, mein Schatz. 234 Europäer elend gestorben«, flüsterte ich panisch.
Jetzt kommt einer der Gründe, warum ich meine Frau so liebe. Ganz ruhig nahm sie einen Taschenrechner und teilte die Zahl 500 000 000 durch 234. Das Risiko, in Europa an einem Zeckenbiss zu sterben, liegt demnach bei 1 zu etwas über 2 Millionen. Kleinlaut zog ich die Jalousien wieder hoch und steckte das Fläschchen Chemie in den Sondermüll. Man muss wirklich aufpassen, was man an sich heranlässt. Überlege dir gut, mit welchen Büchern du dich beschäftigst, welche Nachrichten du liest und welche Fernsehsendungen du schaust. Meine Tante Hildegard zum Beispiel braucht man gar nicht zu fragen, wie es ihr geht: Das steht doch im Biowetterbericht! Im Norden haben heute alle Zahnweh, im Süden Rücken und im Westen Allergie.
Liste fünf Bewohnermedien auf, die du konsumierst bzw. konsumiert hast.
Eines ist sicherlich deutlich geworden: Mit Bewohnern und ihren panikmachenden Medien solltest du so wenig Zeit wie möglich verbringen. Sie klauen dir im Übrigen auch deine wertvollen blauen »Lebenspartikelchen«, die du nie mehr zurückbekommst. Aber was soll das nun schon wieder sein?
Zu den Lebenspartikelchen gibt es eine persönliche Geschichte. Rita und ich waren vor ein paar Jahren im Süden Indiens unterwegs und sind dabei auf einen mystischen Ort gestoßen. Es gibt dort eine Gruppe von Menschen, die sich das persönliche Wachstum zum Lebensziel gemacht haben. Sie helfen der Community und verteilen Bücher auf der Straße, die sich mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigen. Nachdem wir mit der Gruppe ins Gespräch gekommen waren, nahmen sie uns mit in einen Tempel. Dort gab es ein riesiges Wandbild, das dem Betrachter die folgende Geschichte erzählt.
Wenn wir das Licht der Welt erblicken, sind wir voll mit kleinen blauen Kügelchen, den sogenannten »life source particles«, frei übersetzt »Lebenspartikelchen«. Energievampire – oder für uns »Bewohner« – ernähren sich von diesen Partikelchen. Jedes Mal, wenn wir mit einem Bewohner in Kontakt kommen, wandert ein kleines Kügelchen von uns zum Bewohner und ist für immer verloren. Als Kind haben wir noch ganz viele blaue Kügelchen und stecken voller Tatendrang und Lebensvisionen. Die Anzahl der Kügelchen ist allerdings begrenzt und wenn wir uns vorstellen, wie oft wir uns in unserem Leben mit negativ gestimmten Menschen umgeben, dann erkennen wir, dass wir sehr gut auf uns und unsere Ressourcen aufpassen müssen. Und: Immer, wenn wir uns selbst oder einen anderen Menschen niedermachen, platzt eines dieser Kügelchen. Kein Wunder also, dass manche Menschen uns so müde und abgekämpft vorkommen. Deren Vorrat an Lebenspartikelchen ist wohl aufgebraucht.
Wie lang ist die Liste der Bewohner in deinem Umfeld inzwischen? Notiere die Namen der fünf Menschen, die dir nicht guttun und die dir am meisten blaue Lebenspartikelchen entziehen.
Gehen wir nun deine Liste durch. Wer steht drauf? Freunde und Bekannte, bei denen du dich ohnehin fragst, warum du nach jedem Treffen weniger statt mehr Energie hast? In diesen Fällen musst du sofort handeln. Streiche diese Leute aus deinem Leben oder schränke den Kontakt zumindest massiv ein. Weiter: Kollegen, Chefs? Natürlich! In fast jedem Büro gibt es Bewohner. »Aber Tobi, mit diesen Leuten muss ich doch täglich arbeiten! Die kann ich ja schlecht streichen. Was kann ich tun?« In diesem Fall solltest du dein eigenes Verhalten kritisch betrachten: Hörst du gebannt zu, wenn dein Bewohnerkollege sich gegen jede Neuerung wehrt und grundsätzlich gegen alles ist? Dann trägst du auch eine Schuld daran, dass er immer wieder zu dir kommt. Was die Alternative ist? Lebe bewusst das Gegenteil vor: Sprich Lob und positives Feedback immer laut aus, statt in der Teeküche über Abwesende zu lästern. Stelle dich niemals selbst als Opfer dar, denn du hast dir den Job ausgesucht und damit auch die Kollegen. Wenn dir das nicht gefällt, wechsle die Abteilung oder die Firma. Noch besser: Du machst dich unabhängig von anderen und baust dein eigenes Unternehmen auf. Dann bist du ein High Potential, der sich einer großartigen Herausforderung stellen darf.
Vielleicht finden sich auch Familienmitglieder auf deiner Bewohnerliste. Das stellt eine noch größere Herausforderung dar, weil wir uns von diesen Menschen kaum vollständig lösen können. Generell ist es wichtig zu verstehen, was all diese Menschen mit ihrem Bewohnerdasein bezwecken möchten. Sie wollen Aufmerksamkeit und Anerkennung. Das ist an sich auch nicht schlimm, denn diesen Wunsch hat im Grunde jeder von uns. Nur haben manche Menschen eine etwas fragwürdige Strategie entwickelt, um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen. Sie denken, es sei leichter, dafür den Mitleidsfaktor einzusetzen. Und was bietet sich da mehr an als beständiges Jammern als Mittel zur Kontaktaufnahme? Ich persönlich finde das wahnsinnig anstrengend und gehe einen ganz anderen Weg: Ich möchte für meine positiven Geschichten Aufmerksamkeit und ich möchte Anerkennung für Ziele, die ich erreicht habe. Ich will keine Kontakte mit Menschen knüpfen, die gemeinsam mit mir jammern. So lerne ich ja nur andere Bewohner kennen. Und das ist ein Teufelskreis.
Eine Bewohnergeschichte habe ich noch für dich: Rita und ich waren unterwegs auf einem Kreuzfahrtschiff, wo meine Aufgabe darin bestand, die Mitarbeiter zu trainieren und für die nächste Saison fit zu machen. Jetzt sollte man meinen, ein solcher Job sei leicht, aber da haben die Reedereien die Rechnung ohne die Urlauber gemacht. Diese bringen ja ihren Charakter mit und werden nicht plötzlich zu anderen Menschen. Du ahnst es schon: Bewohner im Urlaub. Das ganze Jahr sprechen sie über diese angeblich »schönste Zeit«. Endlich ein offizieller Grund, nicht ins Büro zu gehen! Am Urlaubsort – hier auf dem Schiff – angekommen, meckern sie dann jedoch gerne über alles und jedes. Lauthals diskutieren sie an Deck darüber, wie sie stolze 19 Euro vom Reiseveranstalter zurückbekommen können, weil das Schiff zehn Minuten zu spät abgelegt hat. Zudem ist das Essen immer kalt und der Kampf um die Liegestühle ein Albtraum. Und so weiter …
Auf so einem Schiff befanden wir uns nun und suchten Zuflucht am hintersten ruhigen Ende, wo sich nur selten Urlauber hin verirrten. Ich schaute aufs Meer und beobachtete eine Möwe, die, ohne mit den Flügeln zu schlagen, vollkommen mühelos im Wind segelte. Das gibt ein tolles Foto, dachte ich mir, holte meine Kamera hervor, stellte das Objektiv ein und visierte die Möwe. Kurz bevor ich abdrücken konnte, schrie jemand von rechts: »Achtung, da müssen Sie vorsichtig sein! Die sind gefährlich, die Biester. Die Möwe wird Ihnen auf die Linse kacken! Das bekommen Sie niemals wieder ab!«
Die Möwe und ich erschraken und starrten in die Augen einer verbitterten, fülligen Frau, die sichtlich vom Leben gezeichnet war. Manchen Menschen sieht man schon an ihren Gesichtsfalten an, dass sie zum Lachen in den Keller gehen. Ich war sprachlos und machte mich ebenso wie die Möwe schnell aus dem Staub, um ja nicht weiter mit der Dame sprechen zu müssen. Ich erzählte den Mitarbeitern und Rita von der Geschichte und wir amüsierten uns köstlich darüber, dass manche Menschen sich die schönste Zeit des Jahres selbst zerreden und in allem nur das Negative sehen.
Zwei Tage später fuhr unser Schiff seelenruhig über das Mittelmeer, während wir es uns bei einem Kaffee mit Blick auf den Pool gemütlich machten. Circa 600 Menschen aalten sich in der prallen Sonne um einen Pool, der kaum größer war als ein Planschbecken – unter ihnen auch meine vogelscheue neue Freundin. Wir genossen den Moment und beobachteten das