Zukunftsflashs. Daniel Burrus

Zukunftsflashs - Daniel Burrus


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entgegnete ich, »dann muss ich das Thema ja nicht weiter vertiefen. Vielleicht beantworten Sie mir nur kurz zwei Fragen: Erstens, wie viele Topvertriebsleute beschäftigen Sie weltweit in etwa?«

      Prompt wurde mir die Zahl genannt. Sie war erstaunlich hoch!

      »Gut, mal sehen, ob Sie mir die zweite Frage auch so prompt beantworten können«, fuhr ich fort. »Wie viele dieser Topvertriebsleute, die 80 Prozent oder mehr Ihrer globalen Umsätze erwirtschaften, gehen in den nächsten drei Jahren in Rente?«

      Betretenes Schweigen. Sie hatten keine Ahnung. Keine der Führungskräfte war je auch nur auf die Idee gekommen, sich diese Frage zu stellen.

      Einer der Anwesenden klappte sein Laptop auf. Da die Daten der Vertriebsmitarbeiter in der Datenbank abgespeichert waren, war es nicht weiter schwierig, die Antwort herauszufinden. Als sie vorlag, wurde aus dem betretenen Schweigen eine Schockstarre. 60 Prozent! Im Lauf der nächsten drei Jahre würden 60 Prozent der Topvertriebsleute in den Ruhestand gehen und ihr Wissens- und Erfahrungsschatz mit ihnen. Diese wichtige neue Erkenntnis traf die Führungskräfte wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Weshalb hatten sie diese Entwicklung nicht vorausgesehen? Weil sie blind waren für das, was vor ihrer Nase lag. Sie hatten es sich nicht zur Gewohnheit gemacht, von sicheren Fakten auszugehen.

      Etwa zur selben Zeit beriet ich auch führende Vertreter des USamerikanischen Sozialversicherungswesens – der Social Security Administration. Mein Ansprechpartner, der mich eingeladen hatte, stellte mich zu Beginn der Sitzung dem Leiter der Schulungsabteilung vor, und wir unterhielten uns darüber, was auf diesen Sektor zukommen würde.

      Am 1. Januar 2008 um 00:01 Uhr wurde die Amerikanerin, die den Beginn der Babyboom-Phase markierte, 62 Jahre alt und hatte somit Anspruch auf ein vorgezogenes Altersruhegeld.1 Im selben Jahr erreichten weitere 3,2 Millionen US-Bürger ihr 62. Lebensjahr – also etwa 365 pro Stunde. Aktuell beziehen 50 Millionen Amerikaner Sozialleistungen, bis 2030 werden es 84 Millionen sein. Aus den heute rund 44 Millionen Medicare-Leistungsempfängern – Medicare ist die sozialstaatliche Krankenversicherung für behinderte und über 65-jährige US-Bürger – werden 79 Millionen. Dann sind wir an einem Punkt angelangt, an dem zwei Arbeitnehmer mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen die Leistungen für einen Pensionär finanzieren. 1945 lag dieses Verhältnis noch bei 42 zu 1.2

      Ich fragte auch in dieser Runde, ob sich meine Gesprächspartner der Konsequenzen bewusst wären, die die demografische Entwicklung für ihre Organisation hätte: »Wie viele aus diesem Kreis gehen zum Beispiel in den nächsten Jahren in den Ruhestand?« Die Runde bestand aus relativ vielen hochrangigen Führungskräften, von denen nicht wenige die Hand hoben. Der Schreck stand allen ins Gesicht geschrieben. Ein beträchtlicher Anteil derjenigen, die Schlüsselpositionen innehatten und über den größten Erfahrungs- und Wissensstand verfügten, würde sich demnächst verabschieden.

      »Wenn wir nur wüssten, was wir alles wissen«, hörte ich den CEO von Sony einmal sagen. Er bezog sich damals auf Daten, die irgendwo auf Sony-Computern abgespeichert waren, aber meiner Ansicht passt sein Spruch auch in diesem Kontext: Wir glauben zu wissen, dass die Babyboom-Generation nun ins Rentenalter kommt – aber wissen wir denn wirklich, was das bedeutet?

      Bereits zwei Monate nach dem ersten Beratungsgespräch machte sich besagter Trend empfindlich bemerkbar. Zuerst ging mein Ansprechpartner bei der Behörde in den Ruhestand, vier Wochen später folgte ihm der Schulungsleiter. Der Exodus der in die Jahre gekommenen Babyboomer hatte begonnen. Genau genommen verlassen sie zwar die Behörde, bleiben dem Sozialversicherungswesen aber nach ihrem Abgang erhalten – als Leistungsempfänger.

      Warum wir immer wieder auf den Elvis-Trugschluss hereinfallen

      Trotz anhaltender Diskussionen und ausführlicher Berichterstattung über die Konsequenzen der demografischen Entwicklung verschließen wir weiterhin die Augen vor dem, was auf uns zukommt. Die Welle der 78 Millionen Babyboomer bricht heute über das amerikanische Gesundheitssystem herein, das sich auf diese Flut ebenso wenig vorbereitet hat wie das Kleinkinder-Betreuungssystem in den 1950er und das Schulsystem in den 1960er Jahren. Hält die Blindheit für den Trend weiterhin an, wird es in rund zehn Jahren an allen Ecken und Enden an Ärzten und medizinischem Pflegepersonal für die alternden Babyboomer fehlen. Gleichzeitig herrscht in den Kassen der Sozialversicherungen und Krankenkassen bereits jetzt schon chronische Ebbe. Wie soll das also finanziert werden?

      Allein in den Vereinigten Staaten werden knapp 80 Millionen Babyboomer schon bald verstärkt auf medizinische Versorgung angewiesen sein, von den Zigmillionen Senioren in anderen Ländern einmal ganz zu schweigen. Das ist ein harter Trend. Können wir diese Versorgung gewährleisten oder nicht? Und wenn ja, wer erbringt diese Leistungen? Die Antworten darauf sind wiederum weiche Trends.

      Wieder kommt es darauf an, zwischen hartem und weichem Trend zu unterscheiden: Dass die vielen Millionen Babyboomer mit zunehmendem Alter auch in zunehmendem Maße pflegebedürftig werden, ist ein harter Trend, da er auf harten Zahlen und Fakten beruht, an denen definitiv nichts zu ändern ist. Der absehbare Mangel an medizinischem Pflegepersonal hingegen ist ein weicher Trend, da wir Abhilfe schaffen können, sofern wir ihm Beachtung schenken und uns dazu entschließen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

      Zur Verdeutlichung noch ein simples Beispiel: Wenn Sie heute in zehn Jahren noch leben – und davon gehen wir natürlich aus –, sind Sie zehn Jahre älter, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Weder Sie noch irgendjemand sonst kann daran etwas ändern und daher ist Ihr Älterwerden definitiv ein harter Trend.

      Wie wird es in zehn Jahren um Ihre Gesundheit bestellt sein? Nicht anders als heute, schlechter oder vielleicht besser? Das wissen weder Sie noch ich noch sonst jemand. Niemand kann das mit Bestimmtheit sagen, weil Ihr zukünftiger Gesundheitszustand ein weicher Trend ist, der von Ihrem Lebensstil abhängt, auf den Sie jederzeit Einfluss nehmen können.

      Da wir gerade bei dem Thema »Gesundheit« sind, möchte ich noch auf einen sehr wichtigen Punkt hinweisen, der uns alle betrifft: Ganz gleich, wie eindeutig und endgültig eine medizinische Prognose klingen mag: Sie ist niemals als harter Trend zu verstehen. So niederschmetternd es ist, wenn der Halbgott in Weiß verkündet, man hätte leider nur noch sechs Monate zu leben, gibt es doch genügend Menschen, die ihre vom Arzt prognostizierte Restlebenszeit um viele Monate oder gar Jahre überleben.

      Wie ist das möglich? Durch eine Änderung der Lebensgewohnheiten. Ob durch Nahrungsumstellung oder die Aufnahme sportlicher Aktivitäten, ob durch eine andere Atemtechnik, äußere Haltung oder innere Einstellung, ob durch Nahrungsergänzungsmittel oder alternative Therapien, jeder Mensch hat zahlreiche Möglichkeiten, um auf seinen Gesundheitszustand einzuwirken und ihn zu verbessern. Er ist veränderbar und somit prinzipiell immer ein weicher Trend.

      Kurz gesagt: Harte Trends ermöglichen es Ihnen, in die Zukunft zu sehen, und weiche Trends ermöglichen es Ihnen, die Zukunft zu gestalten. Beides zusammen bildet die Grundlage, auf der sich das erstaunliche Potenzial eines Zukunftsflashs voll entfaltet.

      Neulich erzählte mir ein Kollege aus Washington, D.C., dass in seiner Straße nachts Autos mutwillig beschädigt wurden. Zuerst traf es einen Nachbarn, der am anderen Ende der Straße wohnte, dann einen, der nur wenige Häuser entfernt wohnte, und dann seinen direkten Nachbarn.

      »Tja, dann dürfte dein Auto wohl als nächstes drankommen«, sagte ich zu ihm.

      War das ein harter Trend? Nein, definitiv nicht, denn er konnte ja etwas dagegen unternehmen. Was er dann auch tat und sein Auto nicht in der Einfahrt, sondern in der Garage parkte.

      Natürlich können auch Ereignisse, die auf weichen Trends beruhen, eintreten. Doch trotz ihrer vielleicht sogar hohen Eintrittswahrscheinlichkeit treten sie nicht zwangsläufig ein. Bei weichen Trends besteht immer die Möglichkeit, ihren Verlauf aktiv zu verändern. Schon vor Jahren schien sich jeder damit abgefunden zu haben, dass GM im Vergleich mit Toyota irgendwann den Kürzeren ziehen würde. Seit die amerikanischen Automobilhersteller in den Siebzigern und Achtzigern ihren Qualitätsvorsprung vor der japanischen Konkurrenz verloren haben, kämpft die gesamte Branche darum, wieder aufzuholen, übersieht dabei aber seit Jahrzehnten die harten Trends.

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