30 Minuten Digitalisierung erfolgreich nutzen. Ewald Wessling

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können Unternehmen aber nicht nur ihre Empfehlungsalgorithmen immer passgenauer auf unsere Bedürfnisse ausrichten, sondern sie können auch mit großer Wahrscheinlichkeit zutreffende Aussagen über uns ableiten, so wie der Supermarkt TARGET im Beispiel. Und dabei bleibt es nicht, denn wer die Gegenwart aus Daten ableiten kann, der versucht sich als Nächstes an der Zukunft: Google sagt seit Jahren anhand der Suchanfragen den Verlauf von Grippewellen vorher, Facebook ermittelt mit über achtzig Prozent Wahrscheinlichkeit, ob ein Paar sich in den nächsten zwei Wochen trennen wird, und Uber – der private Mitfahrdienst, der den Taxis das Wasser abgräbt – weiß nicht nur in den meisten Fällen, wo ein Kunde hinfahren will, bevor dieser in einen Wagen steigt, sondern kann auch ziemlich gut vorhersagen, ob Fahrer und Mitfahrer die Nacht zusammen verbringen werden. Willkommen im Predictive Web!

       Daten sind das neue Öl

      Daten sind also der Rohstoff für die digitalen Unternehmen und daran werden diese auch gemessen: Je mehr Zugang ein Unternehmen zu Daten hat und je fähiger es mit diesen Daten umgehen kann, umso höher wird es von Investoren bewertet. Auch das ist ein Grund, warum Unternehmen wie Google oder Facebook scheinbar nicht einsehen wollen, wieso Daten überhaupt gelöscht werden sollten, und es ist eine Erklärung für den Datenhunger der Internet-Unternehmen.

      Überall wird versucht, Daten zu generieren und zu sichern: Die größten Datensammler sind unsere Smart-phones, die omnipräsenten Überwachungskameras, zunehmend unsere Autos, unsere Fernseher sowie bald unsere Kühlschränke, Heizungen und alle Geräte, die wir benutzen. Wir unterstützen das aktiv mit Smart-watches, Fitness-Armbändern oder Daten sammelnden Laufschuhen; bald werden wir Datenmessgeräte in unserer Kleidung haben, in sogenannten „Wearables“. Diese Datafizierung führt dazu, dass sich – gemessen in Bits und Bytes – die Datenmenge weltweit alle drei Jahre verdoppelt.

       Das Internet der Dinge

      Auch in der Industrie helfen Big-Data-Analysen, beispielsweise beim Containerumschlag in Häfen oder bei der Pflege von Kühen, sodass sie optimal Milch geben. Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ tauschen Maschinen mit Maschinen ihre Daten aus und optimieren so Produktionsprozesse. Und vielleicht werden dazu irgendwann nicht einmal mehr Internet-Plattformen nötig sein: Wenn beispielsweise Autos auf den Straßen direkt miteinander kommunizieren, steht dem sich selbst steuernden Auto nichts mehr im Weg. In diesem Internet der Dinge wird es vorstellbar, dass sich die Dinge unseres täglichen Lebens nicht nur auf unsere Bedürfnisse ausrichten, sondern sich dazu auch untereinander selbstständig abstimmen. Das mag zwar heute utopisch klingen, ist aber eine plausible Fortsetzung der informationstechnologischen Entwicklung.

Informationstechnologien treiben den digitalen Wandel mit zunehmendem Tempo voran. Im Web 2.0 nutzen Internet-Plattformen unsere Daten, um ihre Angebote immer dichter an unseren Bedürfnissen auszurichten. Mithilfe von Big-Data-Analysen lernen sie uns nicht nur auf intime Weise kennen, sondern können auch unser Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen. image

      Der digitale Wandel wirkt oft revolutionär, weil er in den Branchen oder Lebensbereichen, die er trifft, keinen Stein auf dem anderen zu lassen scheint. Das hat seinen Grund im Wesen der informationstechnologischen Erfindungen, und das streben die treibenden Kräfte im Silicon Valley gezielt so an.

       Digitaler Wandel ist disruptiv

      Bei den informationstechnologischen Erfindungen handelt es sich nämlich meistens um disruptive Technologien, die erfolgreiche Unternehmen in ein Dilemma bringen, aus dem die meisten nicht herauskommen.

       Das „Innovator’s Dilemma“

      … wurde 1998 vom Harvard-Professor Clayton Christensen beschrieben, der erforschte, warum auch sehr erfolgreiche Unternehmen zugrunde gehen können. Zur Erklärung unterscheidet er zwischen erhaltenden und disruptiven Technologien:

      Erhaltende Technologien (früher beispielsweise größere Segelschiffe) helfen den bestehenden Unternehmen, ihre Geschäfte noch besser zu machen. Neue disruptive Technologien (beispielsweise das Dampfschiff) werden von den bestehenden Unternehmen dagegen abgelehnt, weil sie ganz anders funktionieren, erst einmal schlechtere Leistung bringen und teurer sind; warum also den eigenen Markt damit gefährden? Ist aber auf Dauer eine neue disruptive Technologie besser, dann erobern neue Unternehmen den Markt und die etablierten Unternehmen gehen unter, weil sie nicht bereit sind, ihre Angebote, Preise und Profite infrage zu stellen.

      (Christensen, 2011)

      Das disruptive Wesen des Internets wird am Beispiel der Musikindustrie besonders deutlich: Die Verdrängung der Schallplatte durch die CD war noch eine erhaltende Innovation, weil sich für die Musikverlage nicht viel geändert hatte; lediglich die Presswerke mussten ausgetauscht werden.

      Die Erfindung der MP3-Technologie hat die Musikindustrie dagegen völlig verschlafen: Die gesamte Musikbranche hatte über Jahre ihren Kunden kein Angebot gemacht, Musik im Internet kaufen zu können. Auch deshalb gab es im Internet jahrelang überwiegend nicht bezahlte und illegale Musik-Downloads. Erst ein Computerhersteller, nämlich Apple, führte der Musikbranche 2003 mit dem iTunes Store vor, wie sich Musik im Internet verkaufen lässt – in Zahlen: bisher rund fünfzig Milliarden Lieder an achthundert Millionen Kunden.

      Aber schon zur gleichen Zeit entwickelten die Start-up-Unternehmen Pandora und Spotify die nächste disruptive Technologie: Musik-„Radio“ als Streaming-Dienst im Internet. Beim Start des iTunes Stores war also der Zeitpunkt des Angriffs auf die Musik-Downloads schon absehbar, nämlich sobald die Datenverbindungen für Musikstreaming ausreichend schnell sein würden; eine Rechenaufgabe mit dem Moore’schen Gesetz. Apple verstand die Lehren aus dem Innovator’s Dilemma, wehrte sich gegen das erfolgreiche Spotify und griff selbst seinen hoch profitablen Download-Store an: Seit 2015 können Kunden Musik für eine Monatspauschale mit Apple Music unbegrenzt streamen.

       Ideen entwickeln, die Branchen zerstören

      Die Erfinder, Unternehmer und Investoren im Silicon Valley haben die Lehre von Christensen aufgesogen: Gefordert und gefördert werden Ideen mit dem Potenzial, einen ganzen Markt aus den Angeln zu heben. Mit dieser Radikalität im Denken entstehen Ideen, die wegen des Innovator’s Dilemma in etablierten Unternehmen nie eine Chance hätten.

       Risiken eingehen und schnell sein

      Dass die meisten Ideen scheitern, gehört zur Kultur im Silicon Valley. Wer nicht schon gescheitert ist, Geschäftsideen nur mit Erlösmodell akzeptiert oder noch nie sein Geschäftsmodell grundlegend ändern musste, gilt eher als suspekt. Wichtig ist nur, schnell und damit billig zu scheitern. Wagemut und Schnelligkeit führen dazu, dass Ideen den Investoren nicht mehr auf Charts, sondern gleich als erster Prototyp vorgestellt und als sogenanntes Minimal Viable Product zügig den Nutzern angeboten werden, um dann im Trial-and-Error-Ver-fahren unablässig verbessert zu werden.

       Nerds, Hippies und Kapitalisten

      Die Philosophie im Silicon Valley ist eine Mischung aus dem Ingenieursdenken der Computerentwickler, Kaliforniens Hippiekultur und dem amerikanischem Kapitalismus. Niemand hat das so ausdrücklich verkörpert wie Steve Jobs, der (Mit-)Erfinder des PCs, vegane Zen-Buddhist und Architekt des 2016 wertvollsten Unternehmens der Welt.

      Diese Philosophie ist geprägt von einem fast


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