Klartext. Dominic Multerer

Klartext - Dominic Multerer


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bereit sind, ihr Ego zurückzunehmen. Leider ist es immer noch oft so, dass Geschäftsführer oder Abteilungsleiter sich persönlich angegriffen fühlen, wenn ein Mitarbeiter sagt, das und das läuft nicht, muss sich dringend ändern, ist überfällig und so weiter. Je größer ihr Ego, desto mehr glauben sie, dass sie in ihrer Firma oder Abteilung auf alles das Urheberrecht haben. Und jeder kritische Standpunkt stellt dann für sie automatisch einen Angriff, eine Revolte in ihrem kleinen Königreich dar.

      Wer sein Ego zurücknehmen kann, dem ist bewusst, dass er weder alles wissen noch alles vorausplanen kann und auch nicht immer die beste Idee hat. Er fordert klares Feedback und Diskussionen auf Augenhöhe, damit Probleme rechtzeitig erkannt und gelöst werden können.

      Feedback auf Augenhöhe

      Die Gefahr, die dann immer noch bestehen bleibt, ist Betriebsblindheit. Irgendwann schleifen sich Routinen ein und die Perspektive verengt sich. Vielleicht hat man die Dinge zehn Jahre so und so gemacht, davon die ersten fünf Jahre super erfolgreich und weitere fünf Jahre immer noch ganz okay, und jetzt müsste sich vielleicht bald mal was ändern, aber viele können sich gar nicht mehr vorstellen, dass es auch anders geht als in den letzten zehn Jahren.

      Sparringspartner – da schließe ich mich selbst mit ein – machen hier manchmal nichts anderes, als die Außenperspektive reinzubringen. Dadurch werden plötzlich Sachen gesehen, für die den Leuten die Bewusstheit abhandengekommen war, ja für die einige geradezu blind sind.

      Mir fällt spontan ein krasses Beispiel dafür ein, wie blind Führungskräfte sein können. Ich war bei einer Firma mit geschätzt 100 Mitarbeitern in der Produktion. Von diesen 100 Mitarbeitern stammten sechs von einer Behindertenwerkstatt. Das heißt, sie hatten Arbeitsverträge mit der Behindertenwerkstatt, kamen aber jeden Morgen in die Werkshalle und arbeiteten hier zusammen mit den 94 anderen. Mir fiel sofort auf, dass alle in der Produktion ein T-Shirt mit dem Firmenlogo trugen – nur die sechs von der Behindertenwerkstatt nicht. Man muss sich das so vorstellen, dass diese sechs Menschen seit drei Jahren dort arbeiten und trotz ihres Handicaps fest zum Team gehören.

      Ich sprach die Manager – den Geschäftsführer, den Betriebsleiter und den Personaler – darauf an, warum sie denn den Mitarbeitern von der Behindertenwerkstatt kein T-Shirt mit Logo gaben, so wie den anderen auch. Schließlich arbeiteten sie hier ja auch wie alle anderen. Was bekam ich zur Antwort? Die Manager sagten wie aus einem Mund: »Das kann gar nicht sein! Natürlich haben hier alle unser T-Shirt an, auch die Behinderten.«

      Sie haben es tatsächlich nicht gesehen! Mehr noch, sie waren felsenfest davon überzeugt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Den Leuten in der Montagehalle war natürlich schon aufgefallen, dass die Kollegen von der Behindertenwerkstatt keine »richtigen« T-Shirts trugen. Aber die haben sich nichts dabei gedacht. Oder sich zwar was gedacht, aber nie etwas gesagt und sich schließlich daran gewöhnt.

      Klartext-Touren

      Eines meiner Angebote für Unternehmen sind Klartext-Touren. Es ist verrückt, was dabei oft zutage kommt. Damit Sie den Zusammenhang erkennen, will ich erst kurz erklären, was meine Klartext-Tour ist. Das ist natürlich auch Eigenwerbung, aber Sie werden es überstehen. Also, nehmen wir mal folgendes konkrete Beispiel: Ein großer Autohändler mit Standorten im gesamten Bundesgebiet will etwas für seine Marke tun. Eigentlich finden die sich ganz gut. Aber sie wollen bekannter werden. Das ist ja ohnehin der Klassiker, wo man auch hinkommt: Wenn Sie die Leute fragen, läuft im Grunde alles super. Es gibt da nur so einen kleinen Bereich, in dem man mal was machen könnte. Selbst in Unternehmen, denen das Wasser bis zum Hals steht, hören Sie diese Selbstauskunft. Ob denen jedes Bewusstsein für ihre Krise fehlt oder ob ihnen ihre Krise nur peinlich ist, lässt sich manchmal schwer sagen.

      Dieser Autohändler jedenfalls steckte nicht in der Krise, ihm ging es gut. Bloß, wenn ich hier den Namen nennen würde, dann würden wahrscheinlich die wenigsten ihn kennen. Geschweige denn mit der Marke irgendetwas verbinden. Genau das sollte sich ändern.

      Zuerst hatten wir einen Workshop angesetzt. Nach zwei Stunden habe ich gesagt: »Reicht mir, Schluss, hat so keinen Sinn.« Denn da kamen null Antworten. Oder besser gesagt: Auf die Fragen, wofür die Marke steht oder stehen will, kamen immer nur Antworten, die sich auf das Image der Automarke bezogen, die man verkauft. Die hat aber nichts mit der Marke des Händlers zu tun. Darüber hatte man noch nie nachgedacht.

      Also sagte ich: »Wir führen einen Markenprozess durch und beginnen diesen mit einer Klartext-Tour.« Im Kern handelt es sich dabei um eine Serie von Interviews, man könnte auch sagen Gesprächen, mit unterschiedlichen Leuten. In diesem Fall haben wir mit drei Gruppen gesprochen, nämlich Mitarbeitern, Kunden und autoaffinen Nichtkunden. Die Mitarbeiter haben wir an ausgewählten Standorten angesprochen, und zwar spontan an ihren Arbeitsplätzen. Die Kunden haben wir bei der Fahrzeugübergabe befragt. Schließlich haben wir uns autoaffine Nichtkunden an Tankstellen herausgepickt.

      Wenn die Ergebnisse einer solchen Klartext-Tour vorliegen und aufbereitet sind, dann ist das Management meistens ganz fasziniert von dem, was die Kunden und die potenziellen Kunden sagen. Für mich ist aber oft der eigentliche Hammer – und das ist der Punkt, um den es mir hier vor allem geht –, was die Mitarbeiter sagen. Da kommen nämlich plötzlich Sachen ans Licht, die das Management längst wissen müsste, ja unbedingt und ganz dringend wissen müsste. Aber es hat halt bis dato niemand Klartext geredet. Bis ein Dritter von außen kommt und die Leute einfach mal fragt.

      Typische Reaktion der Chefs, genau wie bei der Sache mit den T-Shirts für die behinderten Mitarbeiter: Kann ja gar nicht sein!

      Oft geht es hier um Prozesse, die längst besser sein müssten und zu denen dann konkrete Verbesserungsideen oder sonstige Ideen eingereicht werden, die super produktiv sind. Und dazu muss man auch klar sagen: Eine Klartext-Tour im Auftrag der Personalabteilung ist hundertmal effektiver, als die Mitarbeiter auf einem Blatt 1–5 ankreuzen zu lassen, wie zufrieden sie sind. Oder vielmehr, besser nur dann, wenn man wirklich etwas wissen und verändern will. Ich kenne fast keine Firma, bei der ich als Externer nicht Dinge rauskriege, die längst intern hätten gesagt werden müssen. Es fehlte nur bisher an Klartext.

      Drei Stufen von Klartext in Unternehmen

      Klartext braucht es in Unternehmen grundsätzlich für zwei Ziele: Entweder es geht darum, besser zu werden, oder es geht darum, ein Problem zu lösen. Das klingt jetzt erst einmal so, als wäre das allen klar. In Unternehmen, in denen Klartext nicht die Regel ist, geht aber auch das schon oft durcheinander. Worum geht es gerade? Problemlösung oder Verbesserung? Entsprechend unterschiedlich müssen die Antworten lauten. Manchmal komme ich in ein Unternehmen, in dem es ein vages Bewusstsein, so ein intuitives Wissen gibt, dass irgendetwas nicht rundläuft. Keiner redet wirklich gern darüber und keiner kann sagen, was Sache ist. Es geht ja nie darum, dass alle schon alles wissen. Klartext soll gerade dazu führen, dass es gedankliche Fortschritte gibt, die dann zu konkreten Konzepten und schließlich zu anderem Handeln führen. Um jedoch überhaupt mit Klartext anzufangen, wo bisher keiner herrscht, muss man überhaupt erst mal wissen, wo man ansetzen will. Sollen Probleme gelöst oder Verbesserungen auf den Weg gebracht werden?

      Die richtigen Fragen stellen

      Unternehmen ohne Klartext erkennt man oft daran, dass nicht die richtigen Fragen gestellt werden. Man könnte auch allgemeiner sagen: Die Diskussionen sind auf der falschen Ebene festgefahren. Beispiel: In einer Firma reden sich die Leute die Köpfe heiß über eine Printanzeige. Einige sagen: »Die Anzeige geht so gar nicht.« Bevor sie überhaupt mal richtig hingeguckt haben, bilden sich Leute schon eine Meinung, wie sie die Anzeige finden. Einer sagt dann, dass er das Layout schlimm findet, ein anderer meckert über die Textlänge und wieder einem anderen passt eine bestimmte Formulierung nicht.

      Die entscheidende Frage stellt längst kein Mensch mehr, nämlich: Was ist eigentlich der Sinn und Zweck dieser Anzeige, was wollen wir damit? Allein die Tatsache, dass jemand seit Jahren Anzeigen in einem Provinzblatt schaltet, ist ja noch keine Antwort auf die Frage, was damit dieses Mal konkret bezweckt werden soll. Hat die Firma ein Problem, zum Beispiel zu hohe Lagerbestände, und will den Abverkauf ankurbeln? Oder soll die Anzeige die Marke stärken? Oder soll am Ende sogar eine Serie von


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