Die Orbit-Organisation. Anne M. Schüller
»Corporates«, also klassische Unternehmen, die Next Economy dann endlich erreicht, ist diese längst im Next Next unterwegs.
Tradierte Manager stützen ihre Entscheidungen auf »bewährtes« Wissen. Doch der digitale Umbruch fegt fast alle vertrauten Spielregeln hinweg. Und das Heil ist nicht nur in Technologien zu finden. Wer in der Digitalökonomie vorne mitspielen will, braucht eine adaptive Unternehmensstruktur und eine gute Beziehungskultur. Denn letztlich wird jeder Erfolg von den handelnden Menschen bestimmt. So stehen viele Old-School-Unternehmen kurz vor dem Aus, weil ihr Gefüge für die Anforderungen der Next Economy nicht länger passt. Zudem wirft mangelndes Verständnis für neue Märkte sie aus dem Rennen. Vielerorts wandern die besten Talente schon ab, weil sie nicht mehr an die Zukunftsfähigkeit ihres derzeitigen Arbeitgebers glauben. Und gute neue Talente kommen erst gar nicht an Bord.
Damit das nicht passiert, müssen überholte Management-Artefakte, die den Unternehmen zäh wie Kaugummi an den Sohlen kleben, endlich weg, nicht nur ein bisschen, sondern komplett. Verkrustete Strukturen müssen aufgebrochen, behäbige Planungen dynamisiert und unsinnige Prozesse schnell entsorgt werden. Stattdessen gilt es, leichtfüßige Abläufe einzuführen, um mit dem Wandel Schritt halten zu können. Oder, viel besser: dem Wandel immer ein Stück voraus zu sein. Hierzu braucht es einen organisationalen Rahmen, der ständigen Wandel begünstigt. Und Menschen, die Erneuerung freudig begrüßen. Nur wer sich permanent anpassen kann, überlebt. Feste Pläne gehen zwar an den größten Risiken, aber auch an den größten Chancen vorbei. Und sie versperren den Blick auf Optionen. Genauso wie Staaten erstarken Unternehmen nicht aufgrund von Planwirtschaft, sondern aufgrund von umtriebiger Freiheit. Und ganz generell: Es ist immer die neue Technologie, die gewinnt, wenn sie Dinge schneller, schöner, billiger, besser macht als die alte davor.
Customer first: Was Kundenzentrierung wirklich bedeutet
Heute erreichen Unternehmen eine Vorrangstellung nicht länger durch das, was sie tun, sondern darüber, wie der Kunde dies wahrnimmt – und was er Dritten dazu erzählt. Der Kunde ist der wichtigste Mensch im Unternehmen. Doch klassische Organisationen haben ihn nicht mal im Organigramm. Auch in neuen Organisationsmodellen sucht man die Kunden vergeblich. Selbst bei Firmen, die sich Kundenorientierung groß auf die Fahne schreiben, fehlen die Kunden im Schaubild der Organisation. Wie will man da von Customer-Centricity, sprich Kundenzentrierung, reden? Sie wird zwar gelobt, aber nicht gelebt.
Tradierte Unternehmen hecheln dem, was Interessenten und Konsumenten wünschen und wollen, meist nur hinterher. Viele werden diesen Wettlauf verlieren. Während nämlich herkömmliche Manager vor allem an die Konkurrenz, ihre Quartalsziele und die Kosten denken, hat die Elite der Jungunternehmer längst verstanden, dass sich alles, wirklich alles um das Wohlwollen der Kunden dreht. Dort wird nicht Ingenieurskunst abgefeiert, sondern ganz gezielt nach Problemen und einer passenden Lösung dafür gesucht. Sämtliche Produkte, Prozesse und Technologien werden von allen Beteiligten strikt um die Kundenbedürfnisse herum orchestriert. So was lässt sich nicht an Service, Sales & Marketing wegdelegieren. Jeder im Unternehmen muss sich um das Wohlwollen der Kunden kümmern. Denn ihre Erwartungshaltung steigt täglich. Und sie haben ein Smartphone, ihr Allmachtsgerät. Wem etwas nicht passt, der ist mit einem »Swipe« weg. Im Web wird man ständig zur Untreue verführt. »Alles für den Kunden« lautet also das Credo. Aber ist das nicht völlig normal? Nein, ganz und gar nicht.
Der Kunde ist der wichtigste Mensch im Unternehmen.
Die meisten Unternehmen agieren selbstbezogen und effizienzgetrieben. Tunlichst sollen sich die Kunden in die von den Anbietern vorgedachten Abläufe fügen, umständliche Formalien akzeptieren und im Takt der altersschwachen Unternehmenssoftware ticken. Heißt: Die Klientel soll ackern, damit man selbst nicht so viel Arbeit hat. Manche Unternehmen sind richtig gut darin, Vorgehensweisen mühsam zu machen, einem die Zeit zu stehlen und schlechte Gefühle zu verbreiten. Niemand glaube doch bitte im Ernst, dass die Leute so was noch lange erdulden! Längst liegt die Macht bei den Kunden. Mit ihren Aktionen, bei denen sie sich zu virtuellen Schwärmen verbinden, können sie über Leben und Tod eines Anbieters entscheiden. Das geht heute ruckzuck.
Während sich also draußen alles vernetzt, agieren klassische Organisationen noch immer in »Silos«. Aufgaben werden entlang von internen Berichtslinien organisiert. Zukunftsunternehmen hingegen strukturieren sich entlang der Kundenaufgaben. Aus Kundensicht müssen Prozesse crossfunktional ablaufen und sich reibungslos miteinander verzahnen. Wer Prozesse zwar optimiert, aber nicht auf die Kundenbedürfnisse abstimmt, wird immer besser darin, das Falsche zu tun. Wirklich kundenorientiert ist nur der, der sämtliche möglichen Ärgernisse vom Kunden zum Anbieter verschiebt, sodass aufseiten des Kunden nur noch positive Erlebnisse übrig bleiben. Und das ist mehr als ein feiner Unterschied. Denn jede einzelne kundenrelevante Unannehmlichkeit ist ein Einfallstor für Disruptoren. Also gilt:
Erst der Kunde, dann die interne Effizienz. Erst der Kunde, dann das Produkt, die Lösung, die Technologie.
Eine kundenzentrierte Organisationsentwicklung ist unabdingbar. Unternehmen werden heute von den Kundenwünschen gesteuert. Was den Kunden nervt oder ihn kalt lässt, fällt von jetzt auf gleich durch. Schonungslos. Nur wenn es den Kunden gut geht, geht es auch dem Unternehmen gut. Zahlungsbereite Menschen, Toptalente und auch die Gesellschaft erwarten zudem längst, dass ein Unternehmen hehrere Ziele verfolgt als Marktführerschaft und Maximalrenditen. Sie wollen wissen, welchen Nutzwert ein Anbieter den Menschen bietet. Dieser Nutzwert, der Daseinssinn, das Warum heißt im Englischen »Purpose«. Er bestimmt die Identität eines Unternehmens, erzeugt qualitatives Wachstum und macht Wettbewerbsvorsprünge sehr wahrscheinlich.
Im besten Fall ist dieser Purpose ein MTP: ein massiv transformativer Purpose.4 Er ist sinnstiftend, inspirierend, vorausschauend, kühn, verändernd und zugleich so attraktiv, dass er sowohl Kunden als auch Toptalente magisch anzieht. Er erzeugt pulsierenden Tatendrang, ein Treibhausklima für Spitzenleistungen, ein Biotop für brillante Ideen. Den Unternehmen, die das nicht haben, gehen bald drei Dinge aus: die Innovationen, die Leistungsträger und die Einnahmenbringer. In Kapitel eins dazu mehr.
Company-Redesign: Aufbruch in die Erneuerung
Ein Company-Redesign ist, wie in unserem gemeinsamen Buch Fit für die Next Economy bereits angerissen, längst unumgänglich, um mit der anrollenden Hochgeschwindigkeitszukunft Schritt halten zu können. So propagieren wir den konsequenten Übergang von einer aus der Zeit gefallenen pyramidalen zu einer zirkulären Unternehmensorganisation. Wir beschreiben den Weg von einer auf Effizienz getrimmten Arbeitswelt hin zu einer lebendigen Innovationskultur und zugleich den Wandel von einer Wettbewerbs- zu einer Kooperationskultur.
Das Ziel? Eine Organisation, die nicht länger hierarchisch, also kraft formell verliehener Macht, von oben nach unten und von innen nach außen agiert, sondern eine, die sich dezentralisiert und weitgehend selbstorganisiert auf das Kundenwohl fokussiert.
Gibt es Patentrezepte dafür? Nein, gibt es nicht. Businesssituationen sind verschieden, also müssen es auch die Methoden sein. Jede Firma muss ihren eigenen Weg für sich finden, experimentieren und ausprobieren. Wenn es Blaupausen gäbe, dann wäre ein Business irrelevant, denn jeder würde einfach der Blaupause folgen und alle würden ein identisches Resultat erzielen. Standardrezepte sind sogar höchst gefährlich. Denn keine zwei Unternehmen sind gleich. Branchen und Märkte sind genauso individuell wie Geschäftsmodelle und Kundenstrukturen. Die Unternehmensgröße spielt eine Rolle. Landestypische Gegebenheiten und kulturelle Besonderheiten sind zu beachten. Restriktionen, die einem Unternehmen durch Gesetze, Behörden, Börsenvorschriften, Investoren und Anteilseigner auferlegt werden, müssen berücksichtigt werden.
Die Führungsspitze muss sich ausdrücklich zum Wandel bekennen.
Der größte Fehler: Fix-und-fertig-Lösungen einzukaufen und der Organisation einfach überzustülpen. Die gebrauchsanweisungssüchtigen Manager von früher sind obsolet. Damit Akzeptanz, gepaart mit hohem