Motivorientiertes Führen. Frauke Ion
durch einen wissenschaftlich fundierten Fragebogen »sichtbar« gemacht werden. Grundlage dieses Fragebogens sind 128 Fragen, die nach der Beantwortung computergestützt ausgewertet werden. Durch die empirisch bestätigte Reliabilität und Validität dieses Instrumentes ist somit eine Grundlage gefunden worden, um die individuelle Motivstruktur eines Menschen erkennbar zu machen. In einem zweiten Schritt können dann von einem ausgebildeten Reiss Profile Master in Zusammenarbeit mit der Führungskraft gemäß des Ansatzes der motivorientierten Führung passgenaue Maßnahmen abgeleitet werden. Damit wird erstmalig eine fundierte Plattform geboten, um eine weitestgehende Übereinstimmung der inneren Motive mit den extern vorgegebenen Zielen zu erreichen.
Die Theorie der 16 Lebensmotive und das Reiss Profile als Grundlage der motivorientierten Führung werden im Folgenden (siehe “Die Entwicklung der 16 Lebensmotive und ihr geistiger Vater Prof. Steven Reiss”) noch ausführlich beschrieben.
Wie kann Führung auf Motivation ausgerichtet werden?
Motivation und Führung sind eng miteinander verbunden. Ein kurzes Beispiel des amerikanischen Führungsforschers Richard M. Hare soll verdeutlichen, was der Begriff Führung eigentlich beinhaltet:
Beispiel
Jemand möchte eine kleine Hütte bauen. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht er nur das entsprechende Baumaterial, Werkzeug und seine Arbeitskraft. Möchte jemand jedoch ein mehrstöckiges Haus bauen, wird er dieses Ziel alleine nicht erreichen können, sondern braucht Mit-Arbeiter.
Solange ein Ziel alleine erreicht werden kann, entstehen keine Führungsschwierigkeiten. In Anlehnung an Comelli und Rosenstiel sind Vorgesetzte also vor allem aus einem Grund Führungskräfte:
Eine Führungskraft hat mehr zu tun, als sie alleine schaffen kann!
Aufbauend auf dieser Erkenntnis lässt sich Führung – ebenfalls nach Comelli und Rosenstiel – in einem zweiten Schritt also folgendermaßen definieren:
Führung ist ein intentionaler und ein Beeinflussungsprozess, bei dem eine Person versucht, eine andere Person zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben und Erreichung gemeinsamer Ziele zu veranlassen.
Mitarbeiter für Ziele gewinnen
Vielen Vorgesetzen ist nicht immer bewusst, dass eine Führungskraft nicht einfach über ihre Mitarbeiter »herrscht«, sondern sogar auf sie angewiesen ist, da sie ihre Aufgaben alleine nicht bewältigen kann. Entsprechend sollte eine Führungskraft versuchen, ihre Mitarbeiter so zu motivieren, dass sie sie bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen. Comelli und Rosenstiel führen aus, dass Mitarbeiter dafür jedoch eine Gegenleistung erwarten, die weit über die monetäre Entlohnung des Arbeitsverhältnisses hinausgeht: Sie möchten, dass ihre Führungskraft ihre Interessen vertritt und sich für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse einsetzt. Andernfalls finden sie Mittel und Wege, ihr »Führungsrecht« einzufordern. Sie verringern zum Beispiel ihr Engagement bis hin zur Kündigung. Führung ist also ein »Geschäft auf Gegenseitigkeit«.
Rahmenmodell der Führung
Führungserfolg ist deshalb von weit mehr Faktoren abhängig als lediglich von der Person des Führenden und seinem Führungsverhalten. Comelli und Rosenstiel haben in diesem Zusammenhang ein Rahmenmodell der Führung entwickelt:
Abb. 4: Rahmenmodell der Führung
Persönlichkeit des Führenden
Der generelle Rahmen wird durch die Führungssituation gestellt, die zum Beispiel durch das politische oder kulturelle Umfeld oder die Branchenzugehörigkeit des Unternehmens geprägt wird. Eingebettet in diese Bedingungen ist der Ausgangspunkt eines Führungsprozesses immer die Person des Führenden selbst mit ihrer Intelligenz, ihrem Wissen, ihren Kompetenzen etc. Die Persönlichkeit des Führenden hat wiederum unmittelbaren Einfluss auf das Führungsverhalten, das sich beispielsweise in einem eher konsensorientierten oder autoritären Führungsstil zeigt. Dieses Führungsverhalten ruft letztlich die eigentliche Reaktion des Mitarbeiters hervor: Wie hoch ist seine Arbeitszufriedenheit? Wie stark engagiert er sich? Wie viele Krankheitstage hat der Mitarbeiter? Erst am Ende dieser Führungskette stehen die Ergebnisse, die den Grad der Zielerreichung bestimmen.
Viele Vorgesetzte wollen im Alltag immer noch direkt Einfluss nehmen auf das Ende dieser Kette. Sie fokussieren sich nicht als Multiplikator auf die Mitarbeiter, sondern direkt auf das zu lösende Problem. Sie verpassen es, als Führungskraft und Multiplikator die anderen dazu zu bewegen, gute Ergebnisse zu erzielen. Mit einem Satz: Sie führen zu wenig die Mitarbeiter als Menschen und managen zu stark Aufgaben und Probleme. Sie sind Manager und nicht Führungskraft. Als Letztere werden sie aber in der Regel eingestellt und bezahlt.
Stephen Covey, der mit seinen Ideen und Ansätzen zum Thema Selbstmanagement und Persönlichkeitsentwicklung als einer der einflussreichsten Amerikaner des 20. Jahrhunderts gilt, habe ich bei einem Mittagessen gefragt: »Stephen, wenn Sie nur einen Satz hätten, um die ideale Grundeinstellung einer Führungskraft auszudrücken – welcher wäre das?« Covey hat daraufhin in seiner Antwort das Prinzip der Gegenseitigkeit und die Notwendigkeit der Fokussierung auf den Mitarbeiter treffend zusammengefasst. Seiner Ansicht nach soll sich jede Führungskraft in Bezug auf jeden Mitarbeiter immer wieder aufs Neue fragen: »How can I serve you?«
Anforderungen an die Führungskraft
Das ist oft leichter gesagt als getan, denn zusammen mit den immer anspruchsvolleren Aufgaben sind gleichzeitig auch die Anforderungen an Führungskräfte gestiegen. Die folgende Auflistung zeigt in Anlehnung an Comelli und Rosenstiel, welche Anforderungen an eine Führungskraft bestehen und wie sich diese in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben:
• Fachkompetenz: Vor allem in den 70er Jahren wurde jemand ausschließlich dann in eine Führungsposition befördert, wenn er ein guter Fachmann war – so wurde z.B. nur der beste Verkäufer zum Verkaufsleiter ernannt. Fachkompetenz wurde lange als hinreichendes Kriterium für Führungserfolg gesehen. In dieser Position jedoch sind heute vollkommen andere Kompetenzen gefragt: nicht mehr das gute eigene Verkaufen eines Vertriebsleiters steht im Vordergrund, sondern das Führen einer Gruppe durch Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräche, das Treffen von strategischen Entscheidungen, Ressourcenplanung etc.
• Soziale Fähigkeiten: Das Führen eines Teams bedeutet immer auch, dass der Führungskraft die wertvollste Ressource des Unternehmens anvertraut wird – das humane Kapital, die Mitarbeiter. In den 80er Jahren stieg das Bewusstsein dafür, dass Führungskräfte auch ein »gutes Händchen« im Umgang mit ihren Mitarbeitern benötigen, da Führung immer ein Interaktionsprozess zwischen Führer und Geführtem ist. Zu diesen sozialen Fähigkeiten zählt unter anderem Kommunikations- und Konfliktkompetenz, aber auch die Entwicklung eines entsprechenden Einstellungsund Wertesystems.
• Management Skills: In den 90er Jahren erweiterte sich das Spektrum an Führungsanforderungen neben Fachkompetenz und sozialen Fähigkeiten zusätzlich um das Bewusstsein dafür, dass auch Management Skills für einen langfristigen Führungserfolg erworben und ausgebaut werden sollten. Zu diesen Management-Skills zählen u.a. Zielsetzung und -vereinbarung (Management by Objectives), Delegation, Moderation, Kreativitätstechniken etc. Noch heute werden Führungskräfte in weltweiten Konzernen wie kleinen und mittelständischen Unternehmen schwerpunktmäßig in diesen Kompetenzen trainiert.
• Selbstkontroll-Kompetenz: In der heutigen Zeit steht zusätzlich zu den bereits aufgeführten Anforderungen die Selbstkontroll-Kompetenz im Zentrum des Führungsbewusstseins. Dazu zählt die Fähigkeit, seine Arbeit und Angelegenheiten zu planen und zu organisieren und somit sozusagen »sich selbst einzuteilen«. Die Selbstkontroll-Kompetenz ist ganzheitlich zu verstehen, sie umfasst nicht nur das unmittelbare Arbeitsumfeld, sondern ebenso den Umgang