Gestern Kollege – heute Vorgesetzter. Dagmar Kohlmann-Scheerer
nicht erklären. Als er noch „einer von ihnen“ war, hatte sich die Gruppe vorgenommen, im kommenden Jahr das „Spitzenteam“ zu werden. Wo ist jetzt die Motivation? Er war sich sicher, die Gruppe auf seiner Seite zu haben – und jetzt das!
Wichtig: Den Rollentausch realisieren
Halten wir hier die Szene an. Was ist passiert?
Nichts Greifbares und doch etwas ganz Wesentliches! Die Distanz zu seinen früheren Kollegen hat sich verändert. Ob Dirk Schneider es wahrhaben will oder nicht, er ist nicht mehr „einer von ihnen“.
Obwohl seitens seiner Kollegen hohe Erwartungen in Richtung Interessenvertretung an ihn gerichtet werden, entsteht gleichzeitig ein gesundes Misstrauen. Denn naturgemäß vertritt er zukünftig auch die Interessen der Geschäftsleitung und wird somit zum „Geheimnisträger“. Er kann deshalb gar nicht mehr (wie früher) zur Gruppe gehören.
Lösungsansatz
Lösung: Neuerungen nicht übers Knie brechen
Im Grunde kann Dirk Scheider schon auf die Loyalität seiner Mitarbeiter zählen, nur darf er das „Rad nicht sofort anhalten“. Er muss sich und der Gruppe erst die Möglichkeit geben, sich an den Rollentausch zu gewöhnen. Das heißt im Klartext: zunächst das „Wesentliche“ ein Weilchen beim Alten lassen, das Vertrauen der Gruppe unter den veränderten Vorzeichen gewinnen und erst dann gemeinsam an der Erreichung neuer Ziele arbeiten. Zum Beispiel den neuen Telefonspruch „Was kann ich für Sie tun?“ nicht als rhetorische Frage in den Raum stellen, sondern auch die Vorschläge aus der Gruppe berücksichtigen.
Wenn Dirk Schneider dann spürt (auch hier ist Einfühlungsvermögen gefragt), dass sich das Klima normalisiert und eventuell aufgewirbelter Staub sich wieder gesetzt hat, dann kann er gemeinsam mit der Gruppe Neuerungen einführen.
Jeder Mensch führt grundsätzlich lieber seine eigenen Ideen aus als solche, die ihm „aufs Auge gedrückt“ werden!
Fallstrick 4: Du oder Sie?
Beispiel: Falsche Kumpanei
Julia Müller übernimmt eine neue Abteilung. Auch ihr ehemaliger Kollege Martin Degen wechselt mit ihr in den neuen Bereich – jetzt als ihr Mitarbeiter. Die beiden kennen sich schon lange und duzen sich selbstverständlich. Julia Müller stört sich in letzter Zeit immer mehr an Martins etwas zu legerem Ton ihr gegenüber. Er versteht das Du als besonderes Privileg und glaubt dadurch ein anderes Verhältnis zur Chefin zu haben als die Kollegen. Julia Müller geht diese missverstandene Vertraulichkeit gewaltig auf die Nerven und sie erwägt, das Du wieder in ein Sie zu verwandeln, zumal in der Abteilung durch Neueinstellungen die Sie-Anrede dominiert.
Lösungsansatz
Lösung: Nur begründet und generell zum Sie zurückkehren
Empfehlung: Frau Müller sollte es tun. So blöd es klingt, manche Menschen brauchen das Sie, um Distanz wahren zu können. Allerdings wird das Spießrutenlaufen für den armen Mitarbeiter zunächst schlimm sein und die Gefahr seiner Demotivation ist groß. Frau Müller könnte ihr Vorgehen damit begründen, dass sie generell wünsche, dass sich in der Abteilung gesiezt wird. Somit würde Martin Degen nicht degradiert.
Gesetzt den Fall, Julia Müller würde sich gerne mit einigen anderen aus der Abteilung duzen, dann halte ich es für frevelhaft, vom Du zum Sie zurückzukehren, weil der ehedem Geduzte dieses als persönliche Zurückweisung empfindet und somit seine Motivation (und sein Gesicht) verliert.
In einem meiner Seminare erzählte ein frisch gekürter Gruppenleiter, der seine Mitarbeiter und früheren Kollegen schon seit dem Kindergarten kannte und duzte, er habe Probleme, seine Exkollegen in einem Kritikgespräch unter vier Augen zu duzen. Er griff dann zu folgendem Trick: In dem Kritikgespräch siezte er die Mitarbeiter, und unter den gewohnten Arbeitsbedingen duzte er sie wieder. Die Mitarbeiter nahmen die Unterscheidung sehr positiv auf, weil sie begriffen, dass der Chef damit dokumentieren wollte, dass er mit der Kritik keinesfalls den Karl persönlich meinte, sondern lediglich die Situation.
Wichtig: Von Fall zu Fall entscheiden
Auf die Frage, ob das Du oder das Sie besser ist, gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Sie hängt zum Beispiel auch davon ab, ob der Betrieb, in dem Sie arbeiten, eine amerikanische „Mutter“ hat, dann schreibt die Firmenkultur quasi ein Du vor. Die Amerikaner kennen den feinen Unterschied zwischen Du und Sie nicht, der bei uns Nähe und Distanz ausdrückt. Sie haben auch beim Duzen das feine Gespür fürs Abstandhalten.
Der Befehl von oben, sich vor externen Geschäftspartnern grundsätzlich zu siezen, hat schon manchem Bauchschmerzen bereitet. Wahrscheinlich aber eher deshalb, weil die eigene Entscheidungsbefugnis außer Kraft gesetzt wurde, weniger wegen des Siezens selbst.
Vor Geschäftspartnern macht abteilungsinternes Siezen sicherlich einen guten Eindruck. Denn die Gefahr eines zu kumpelhaften Umgangs ist damit gebannt.
Fallstrick 5: Intrigenspiele
Beispiel: Beschwerden über Kollegen
Der frisch gebackene Verkaufsleiter Klaus Gerdes sitzt in seinem neuen Büro – die Tür ist offen, das bedeutet: Er ist ansprechbar. Frau Burg, eine Sachbearbeiterin aus der Bestellannahme, wünscht den neuen Chef unter vier Augen zu sprechen. Grund: Sie möchte sich über eine Kollegin beschweren, die oft später kommt, für längere Zeit dem Arbeitsplatz fern bleibt, viel privat telefoniert usw. In dieser Zeit stellt sie ihr Telefon auf die Leitung von Frau Burg um. Das heißt für Frau Burg, dass sie sich kaum noch um die Bearbeitung der eingegangenen Telefonate kümmern kann, da sie fast nur noch am Telefon hängt. Außerdem sieht sie nicht länger ein, dass die Kollegin sich auf ihre Kosten einen „feinen Lenz“ macht.
Wie soll Klaus Gerdes reagieren?
Die Kollegin und Frau Burg zu einem Dreiergespräch bitten, um die Angelegenheit auch mit der Beschuldigten zu klären? Nun, diese Reaktion liegt nahe.
Gefahren eines Dreiergesprächs bei Beschwerden
Weshalb er genau dies nicht tun darf:
1 Die Beschuldigte streitet im Dreiergespräch alles ab. Dann steht Aussage gegen Aussage. Der Vorgesetzte kann nichts Konstruktives zur Lösung beitragen, außer zu versuchen, die Kampfhennen wieder zu versöhnen.
2 Womöglich schwächt Frau Burg plötzlich ihre Vorwürfe der Kollegin gegenüber ab. Nun hängt an Klaus Gerdes der Nimbus, er würde aus jeder „Mücke einen Elefanten“ machen, oder die ganze Geschichte wirkt plötzlich übertrieben. Fazit: Die Wahrheit kommt nicht ans Licht und Misstrauen dem neuen Chef gegenüber ist gesät.
3 Letzte Variante: Die beiden einigen sich. Alles stellt sich als großes Missverständnis heraus. Motto: Nein, so war es doch gar nicht gemeint. Quintessenz: Der Chef steht blöd da, Misstrauen ist entstanden, die Wahrheit kommt wieder nicht an den Tag und in Zukunft bleiben weitere Informationen auf der Strecke.
Lösungsansatz
Lösung: Den Beschwerdeführer nach Vorschlägen fragen
Klaus Gerdes sollte sich ruhig und gelassen die Geschichte von Frau Burg anhören, ohne zunächst Stellung zu beziehen. Anschließend kann er dann gezielt nachfragen: Wie oft ist es passiert? Was genau hat dazu geführt? Was hat Frau Burg schon versucht, um das Problem selbst aus der Welt zu schaffen? Sollte Frau Burg noch nichts unternommen haben, dann könnte Klaus Gerdes im Sinne seiner Mitarbeiter reagieren und Frau Burg anregen, sich selbst Gedanken darüber zu machen, wie sie das Problem lösen könnte. Er kann ihr dabei motivierende Hilfestellung geben, die richtigen Worte für ein Gespräch mit der Kollegin zu finden.
Lösung: Sich selbst ein Bild machen
Falls sich das Problem für ihn so darstellt, dass es den Erfolg des Unternehmens bedroht, dann muss Klaus Gerdes der Sache selbst auf den Grund gehen. Dazu begibt er sich beispielsweise mehrmals überraschend und zu verschiedenen Zeiten an die Arbeitsplätze der beiden Damen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Sollte er danach auch der Ansicht