Mein Freund, der Kunde. Jürgen Frey
die schwieriger gewordenen Marktbedingungen für die allermeisten mittelständischen Unternehmen eine große Chance bedeuten. Es ist die Chance, sich zu konzentrieren, seine Kernkompetenzen zu entwickeln und dadurch zu neuen Stärken und ungekanntem Selbstbewusstsein zu gelangen. Es ist die Chance, Klarheit über das eigene Geschäft zu gewinnen und sich von überflüssigem Ballast zu trennen. Es ist schließlich auch die Chance, am Ende genauso mühelos Kunden zu gewinnen wie zu alten Zeiten einer Quasi-Monopolstellung. Bloß mit einer motivierteren Mannschaft, mehr Stolz auf die eigene Leistung, mehr Effizienz und mehr Nutzen für den Kunden. Wer würde diese Chance nicht nutzen wollen?
Leider heißt die erste Reaktion unzähliger Unternehmen auf den gestiegenen Druck von außen aber gerade nicht Konzentration und Entwicklung der Kernkompetenzen. Sondern die Reaktion ist, den Druck weiterzugeben. Selbst Druck zu machen. Verkaufsdruck. Mit dieser Möglichkeit, die sich jetzt als Irrweg entpuppt, wollen wir uns deshalb zunächst beschäftigen.
Mit flotten Sprüchen in die Preisschlacht
Verkaufsdruck ist keine Lösung
»Jetzt müssen wir besser verkaufen!«, schallt es durch die Flure vieler Unternehmen, sobald der Wind draußen schärfer weht. Die meisten Mitarbeiter verstehen das als Drohung. Zu Recht. Gegenüber langjährigen Stammkunden den Verkaufsdruck zu erhöhen ist nichts, wonach sich irgendein Mitarbeiter sehnt. Zumal es vielerorts herzliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen Lieferanten und Kunden gibt. Neue Kunden irgendwie »anzuhauen« ist erst recht keiner gewohnt. Man ist doch keine Drückerkolonne! Allein das Wort »Kaltakquise« treibt vielen Mitarbeitern eher den kalten Schweiß auf die Stirn. Eine innere Stimme sagt ihnen: Ich kann nicht aggressiv verkaufen. Ich will das auch gar nicht! Plötzlich steigt der Stresspegel am Arbeitsplatz. Unter den Mitarbeitern regen sich Widerstände.
Deshalb will das Management jetzt nachhelfen. In Wochenendseminaren werden sogenannte Verkaufstechniken geschult. Zu astronomischen Tagessätzen holt man Verkaufstrainer ins Haus. Sie sollen die Vertriebsmannschaft – oder besser gleich alle Mitarbeiter mit Kundenkontakt – jetzt mal richtig scharfmachen. Solche Verkaufstrainer lieben flotte Sprüche wie »Rabat(t) ist eine Stadt in Marokko« oder »Der Kunde muss, wenn er über den Tisch gezogen wird, die Reibungsenergie als Nestwärme empfinden«. Den Mitarbeitern wird bei solcher Brutal-Rhetorik immer mulmiger, auch wenn es keiner zugeben will.
Wer keine Alleinstellung hat, muss über den Preis gehen
Am Ende steht die Preisschlacht. Der Kunde ist ja selten dümmer als der Anbieter. Er spürt den steigenden Druck ganz genau. Er merkt, dass der Anbieter lediglich besser »verkaufen« will, ihm aber sonst nichts anderes bietet als vorher. Gut, denkt sich der Kunde, wenn der Anbieter will, dass ich mehr kaufe, soll er mir bessere Preise machen. Das Preisgefecht ist eröffnet. Klaus Kobjoll, Unternehmer und Ludwig-Erhard-Preisträger, bringt es in seinem Buch Virtuoses Marketing auf den Punkt: »Wer keine deutlichen, schwer kopierbaren und dauernd beweisbaren Wettbewerbsvorteile aufweist, kann den Wettbewerb nur über den Preis führen!« (Kobjoll, S. 159) Und dieser Wettbewerb ist gnadenlos. Ich kenne keinen Mitarbeiter eines mittelständischen Unternehmens, dem ein Preiskampf Freude machen würde. In den letzten Jahren sind einige traditionsreiche Mittelständler sogar im Preiskampf zugrunde gegangen.
Verkaufstricks sollen die Probleme kaschieren
Über die Jahre ist mir aufgefallen, dass nahezu alle aggressiv verkaufenden Firmen etwas gemeinsam haben. Unternehmen, die Preiskriege anzetteln oder ihre Kunden unter Druck setzen, haben fast immer mindestens eines der folgenden Probleme:
Die Produkte sind austauschbar. Auf dem Markt gibt es viele gleichartige Angebote zu ähnlichen oder günstigeren Preisen. Trotzdem will das Management unbedingt den Absatz erhöhen.
Die Mitarbeiter identifizieren sich kaum mit den Produkten. Sie kennen die Produkte nur oberflächlich oder wissen den Nutzen für den Kunden nicht exakt zu benennen.
Das Produktportfolio ist inkonsistent. Entweder es werden so viele Produkte oder Produktvarianten angeboten, dass selbst die Mitarbeiter den Überblick verlieren. Oder es gibt bestimmte Produkte, die zu den übrigen nicht passen und einen einheitlichen Markenauftritt erschweren.
Die verzweifelte Suche nach dem Zusatzgeschäft
Sind Sie schon einmal mit Ryanair oder easyJet geflogen? Manchmal laufen diese Billigflüge vom Start bis zur Landung ab wie eine Dauerwerbeveranstaltung. Da geht es zu wie bei einer Kaffeefahrt, außer vielleicht, dass keine Heizdecken verkauft werden. Bei einem Ticketpreis, der die Marge dünn wie eine Rasierklinge macht, ist das kein Wunder. So wie die sich gnadenlos bekämpfenden Airlines nehmen es auch viele Mittelständler hin, dass die Preise auf ihrem Markt kaputt sind. Und auch sie wollen dann auf irgendeine andere Weise Geld verdienen. Ihr Kernprodukt verschenken sie beinahe, statt sich zu fragen, was dieses Produkt einzigartig macht und wie man es wieder zum Leuchten bringt.
Diese Frage stellt sich auch ein großes Unternehmen wie Karstadt erst seit Kurzem wieder. Jahrelang ließ man die Kaufhäuser verkommen, weil man zunächst lieber Versandhändler sein und dann Touristikkonzern werden wollte. Als man am Schluss sogar die Kaufhausimmobilien verkauft und zu horrenden Preisen zurückgemietet hatte, stand die Pleite ins Haus. Warum sollten Kunden auch bei einem Unternehmen kaufen, das nicht weiß, was es will?
Raus aus der Stressfalle!
Wer es allen recht machen will, kann nichts richtig machen
Mitarbeiter in Unternehmen, die verkaufen wollen, ohne sich auf ihre Stärken zu konzentrieren, geraten zunehmend unter Stress. So wie der Verkäufer einer Einzelhandelskette, dem ich vor Kurzem als Kunde gegenüberstand. Sein Unternehmen betreibt große Verbrauchermärkte auf der »grünen Wiese«, die neben Lebensmitteln auch ein umfangreiches Non-Food-Sortiment bieten. Von den Cornflakes bis zum Geschirrspüler bekommt man hier alles. Damit erhebt das Unternehmen das Gegenteil von Konzentration zum Prinzip. Da ich mit meiner Familie nun einmal da war und wir einen neuen Wäschetrockner suchten, machte ich mich auf den Weg in die Elektroabteilung.
Nach langem Suchen fand ich den einzigen für die Elektroabteilung zuständigen Mitarbeiter. Sichtbar lustlos begleitete er mich zu dem Wäschetrockner, der gerade als »Preishammer« ausgewiesen war. Ich fragte den Verkäufer, was denn für diesen Trockner spricht. Da schaute ich in ungläubige Augen. Diese schienen zu sagen: Kann man das riesige Preisschild etwa übersehen? Ich wusste, dass ich zu diesem günstigen Preis im Internet problemlos noch andere Geräte finden würde. Deshalb wollte ich vom Verkäufer wissen: Warum soll ich genau diesen Wäschetrockner gerade hier kaufen? Ist der besonders gut, haltbar, oder effizient? Bekomme ich hier einen besonders guten Service?
Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit
Ich sah den Verkäufer an und merkte, wie er jetzt maximal unter Stress stand. Man konnte förmlich beobachten, wie der Schweiß auf seiner Stirn Perlen formte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, außer vielleicht, die technischen Daten vorzulesen, die auf einem großen Schild auf der Ladeluke des Trockners zu lesen waren. Dafür veränderte er jetzt seine Körperhaltung in Richtung »Brust raus, Bauch rein«. Unter Verkäufern heißt diese Reaktion »SABVA«. Die Abkürzung steht für »Sicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit«.
Schließlich bedankte ich mich herzlich bei dem Verkäufer und ging weiter in die Lebensmittelabteilung. Dieser Mann tat mir einfach nur leid. Wie soll solch ein Mitarbeiter Kunden für seine Produkte gewinnen? Ein einziger Verkäufer war hier zuständig für alles, was Strom verbraucht: Wäschetrockner und Waschmaschinen, Flachbildfernseher, Hi-Fi-Anlagen, Mobiltelefone, MP3-Player, Haartrockner, Netbooks, Rasierapparate, Funkwecker, Kühlschränke und und und. Wie soll sich dieser Mitarbeiter