Rein in die Führung. Susanne Klein
so kann man an vielen Stellen beobachten – wird wieder rückverlagert, die Divisionen werden integriert und Teilbereiche, die selbstständig geworden waren, wieder eingegliedert. Das ist interessant zu beobachten, bietet das eine oder andere kulturelle Lehrstück, bringt das Unternehmen aber nicht wirklich voran: Die Eingriffe sind zu groß, um den Erfolg der einzelnen Maßnahme beurteilen zu können.
Der Kobra-Effekt
Auch auf politischer Ebene finden wir diese Effekte. Bekannt geworden ist beispielsweise der »Kobra-Effekt« aus der britischen Kolonialherrschaft in Indien. Damals gab es eine Schlangenplage. Der britische Gouverneur setzte eine Prämie auf tote Schlangen aus. Die Konsequenz war, dass die Menschen Giftschlangen züchteten, um diese Prämie zu kassieren. Daraufhin stellte der Gouverneur die Prämie wieder ein. Ergebnis: Die Schlangenplage war viel schlimmer als zuvor. Diese Art von Beispielen findet sich auf allen Ebenen des menschlichen Miteinanders.
Zweifelhafte Zielvereinbarungen
Ähnlich verhält es sich mit den Zielen, die heute in vielen Unternehmen ganz selbstverständlich mit den Führungskräften und Mitarbeitern vereinbart werden. Jeder versucht mit voller Energie seine Ziele zu erreichen, weil die Zielerreichung oft an das Gehalt gekoppelt ist. Ob das Ziel wirklich zur strategischen Unternehmensentwicklung beiträgt, fragt niemand mehr. So kann beispielsweise ein Außendienst an der Zahl der Kundenkontakte gemessen werden. Wie viele Abschlüsse er tätigt, ist unerheblich. Oder umgekehrt: Ein Mitarbeiter wird an den Abschlüssen gemessen – unerheblich bleibt dann der Aufwand, mit dem diese Abschlüsse getätigt werden, oder wie viele Verträge wieder gelöst werden. Einzelne Parameter bilden in der Regel nicht den tatsächlichen unternehmerischen Nutzen ab, werden aber im System der Zielvereinbarungen häufig genutzt. Insofern ist dieses System sicher überdenkenswert.
Monokausalität und triviale Maschinen
Im Kleinen denken
Gefragt sind also nicht die großen Veränderungen. Es geht vielmehr um ein Fingerspitzengefühl für die Leverage Points, die unwesentlich, aber ergebnisreich verändert werden, um Erfolge zu erzielen. Dafür braucht es die Fähigkeit zur genauen Beobachtung und die Fähigkeit, mehrere Faktoren gleichzeitig zu betrachten. Die menschliche Neigung zum monokausalen Denken steht diesen Anforderungen deutlich entgegen.
Menschen arbeiten gerne mit simplen Maschinen – zum Beispiel mit einem Getränkeautomaten. Geld rein, Getränk wählen, Flasche rausholen. Das ist zuverlässig und gefühlt kontrollier- und steuerbar. Sobald es komplexer wird, beginnen die Schwierigkeiten. Solche simplen Maschinen haben durchaus ihre Vorteile. Gleichzeitig verfügen sie über einen nur sehr engen Rahmen. Es gibt wenig Auswahl und es läuft immer der gleiche Prozess ab. Tagein, tagaus. Von Flexibilität keine Spur. Adaptationsfähigkeit gleich null. Und so ein Gedanke wie »Chancen nutzen« oder gar ein Paradigmenwechsel kommt wohl überhaupt nicht vor.
Simplizität täuscht
Simple, zuverlässige Maschinen tun uns gut, wenn wir das Gefühl haben, dass uns alles über den Kopf wächst. Immerhin sind wir noch in der Lage – dank dieser Maschine –, uns zuverlässig eine Cola zu kaufen. Wäre das ganze Leben wie ein Getränkeautomat, dann wäre es nicht wirklich interessant. Aber wenn die eine oder andere Kleinigkeit im Unternehmen etwas einfacher wäre, würden Sie bestimmt nichts vermissen, oder? Verständlich. Die Sache ist aber etwas komplizierter. Deswegen ist es so wichtig, herauszufinden, wie Sie mit wenig Aufwand viel erreichen können. Das gelingt nur intuitiv, da nur mit einer ganzheitlichen Wahrnehmung die Entscheidung für das eine oder andere Vorgehen fallen kann. Mit Logik hat das oft nichts mehr zu tun.
Steigerung der Performance
Ein Beispiel aus dem Bereich des Aufmerksamkeitsmanagements von Timothy Gallaway: Er bekam den Auftrag, in einem Callcenter die Performance zu steigern. Alle Indikatoren wie Kundenzufriedenheit, Call Handling Times, marktgerechte Produkte, Gesprächsqualität und Marge sind bereits bemüht und mithilfe von Qualifizierungen und optimalen Prozessen bearbeitet worden. Es hat sich aber nicht wirklich etwas verändert.
Spaß als Leverage Point
Seine Hypothese war nun, dass die Agenten unter Langeweile litten, die am Telefon hörbar war. Träfe das zu, dann wären sie wohl kaum in der Lage, dem Kunden ein attraktives Angebot zu machen. Folgerichtig wurde nun nicht an der Performance, sondern am Spaß gearbeitet: Anstatt also mehr von dem zu machen, was alle schon kannten – Prozesse weiter zu optimieren und die Qualität weiter zu steigern –, arbeitete Gallaway an einem wesentlichen Leverage Point, der in keinem seriösen Businessbuch dieser Welt zu finden ist: Bei zu gleichförmiger Arbeit macht es irgendwann einfach keinen Spaß mehr. So erfand Gallaway Wettbewerbe, bei denen die Mitarbeiter herausfinden sollten, in welcher emotionalen Stimmung sich ihr Kunde gerade befand. Die Mitarbeiter füllten also begleitend zum Gespräch eine Einschätzung darüber aus. Diese verifizierten sie zum Schluss.
Die neue Aufgabe und der Austausch darüber machten so viel Spaß, dass ganz unabhängig von Prozessen das Ergebnis beträchtlich gesteigert wurde.
Fokus 4: das Prinzip Langfristigkeit
Irgendwo im fernen Süden, wo die Kokosnüsse vom Baum fallen und die Fische von alleine ins Netz springen, liegt ein Fischer faul am Strand. Bekommt er Hunger, fängt er einen der zahlreichen Fische. Hat er Durst, schlägt er eine Kokosnuss auf.
Vom Fischer und seinem Fang
Der Urlauber aus dem kapitalistischen Norden sieht den natürlichen Reichtum und erkennt die Möglichkeiten. Er wendet sich an den Fischer:
»Siehst du nicht die vielen Fische? Du brauchst nur ein großes Netz und kannst eine Menge davon fangen.«
»Und was soll ich damit anfangen? So viel esse ich doch gar nicht.«
»Du könntest sie verkaufen und hättest viel Geld.«
»Und was soll ich damit machen?«
»Du könntest dir ein größeres Netz kaufen und noch mehr Fische fangen.«
»Und wozu?«
»Du könntest noch mehr Geld machen!«
»Was hätte ich davon?«
»Du könntest die Leute anstellen, die für dich weiter fischen gehen.«
»Und wozu?«
»Dann könntest du den ganzen Tag faul am Strand liegen«, endet der Mann aus dem Norden.
»Aber das tue ich doch jetzt schon«, ist die Antwort.
Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral ist immer wieder lesenswert. Warum sollte der Fischer diesen ganzen Aufwand betreiben, wenn er schlussendlich nur dasselbe Ergebnis erhält, das er bereits jetzt schon hat? Sicher gibt es unterwegs einige Verlockungen: Er fühlt sich gut, er hat Macht und Ansehen, er wird respektiert, er erreicht Ziele, er vergrößert sein Imperium, er baut seinen Selbstwert auf. Aber was genau ist das Ergebnis?
Kurzfristige Entscheidungen: immer gut?
Viele geschäftliche Entscheidungen werden mit der Aussicht auf schnelle, verlockende Ergebnisse getroffen, anstatt langfristig überdacht zu werden. Und manches, das kurzfristigen Gewinn verspricht, zieht langfristig noch größere Probleme nach sich. So haben beispielsweise einige Unternehmen in der Wirtschaftskrise ihre Know-how-Träger entlassen, nur um einige Monate später die gleichen Personen wieder zurückzuholen. Vor lauter Begeisterung für neue Ideen und Aktionen vergessen wir manchmal das Nachdenken. Gerade Menschen im Management, die gerne anpacken und Dinge stemmen, denken angesichts reizvoller neuer Möglichkeiten oft nicht viel weiter als bis zum ersten Schritt. Zu schön ist es, gegen Schwierigkeiten schnell etwas tun zu können. Das Gefühl, aktiv zu sein, gibt so viel Zufriedenheit und Selbstbestätigung, dass wir uns nur ungern fragen, wohin diese Aktivität langfristig eigentlich führt. Außerdem ist der kurzfristige Erfolg enorm befriedigend.
Vor allem in Gruppen tritt dieses Phänomen gerne auf. Wenn sich schnell alle einig sind, dass ein größeres Netz gekauft werden soll, um noch mehr Fische zu fangen, dann scheint das vor dem Hintergrund unseres gewohnten