Posttraumatische Belastung bei Kindern und Jugendlichen. Alexander Korittko
und Familie
Sexuelle Gewalt: Was können Sie als Eltern tun?
Bei Fremdunterbringung: Kontakt mit den leiblichen Eltern
Mögliche Symptome bei Traumatisierungen von Kindern und Jugendlichen (nach Altersgruppen geordnet)
Vorwort
Liebe Eltern,
dieses Buch soll über ein Phänomen informieren, das in aller Munde ist, über das aber vielfach keine Klarheit herrscht: Trauma und Traumafolgen, die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung, in diesem Fall bei Kindern und Jugendlichen. An wen richtet sich dieses Buch? Vor allem an Sie, liebe Eltern, die Sie sich um Kinder und Jugendliche 7 Tage in der Woche 24 Stunden lang kümmern. Das schließt auch Pflegeeltern, Adoptiveltern, Pflegestellen-Eltern und Kinderdorf-Eltern mit ein sowie auch diejenigen, die als Lehrerinnen und Lehrer, als Erzieherinnen und Erzieher, als Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen Elternfunktionen wahrnehmen und Unterstützung dabei benötigen, die posttraumatische Belastungsstörung zu erkennen, zu verstehen, und die auch zu einer Lösung im Sinne des Kindes beitragen wollen.
Im ersten Kapitel beschreibe ich, was man heutzutage üblicherweise unter einem psychischen Trauma, einer Verletzung der Seele versteht und mit welchen Anzeichen sich eine Traumafolgestörung zeigt. Damit deutlicher wird, dass diese Verhaltensweisen teilweise auch zu ganz normalen Entwicklungen von Kindern gehören, sind hier einige Beispiele dazu nachzulesen. Das ist eben das Schwierige beim Trauma-Thema: Einerseits können Traumata Folgen für das gesamte Leben von Menschen haben; das ist durch ausreichende Forschung nachgewiesen. Andererseits müssen wir uns davor schützen, jede kleine Alltagsbelastung mit dem Traumabegriff zu etikettieren. Deswegen lesen Sie in diesem Kapitel auch etwas über Widerstandskräfte gegen Traumafolgen, über Resilienz. Auch der Gleichzeitigkeit von Trauma und Trauer ist ein Absatz gewidmet. Ganz kommen wir aber nicht darum herum, uns auch mit den Traumatisierungen zu befassen, die die weitreichendsten Folgen haben, mit Bindungstraumatisierungen. Hierbei ist es mir wichtig zu betonen, dass es keine schlechten Eltern gibt, die sich vornehmen, ihre Kinder zu schädigen, sondern dass hinter dem, was wir als problematisches Elternverhalten erleben, in den allermeisten Fällen eine Abfolge von Überforderung, erlittener Gewalt und Vernachlässigung über Generationen steht. Ich schreibe dieses Buch in Zeiten der Corona-Pandemie, in denen davon ausgegangen werden muss, dass nicht alle Familien den Luxus genießen können, in großen Wohnungen mit ausreichend Ausweichmöglichkeiten die ungewohnte Nähe aller Familienmitglieder und den damit verbundenen Stress abzupuffern. Wegen finanzieller Not, geringer emotionaler Reserven und vielerlei anderer Stress- und Risikofaktoren erleben sich manche Familien auch ohne Pandemie in einer permanenten Ausnahmesituation.
Im zweiten Kapitel möchte ich Ihnen helfen, mehr von der Dynamik von Trauma und Traumafolgen zu verstehen. Dazu gehört, dass ein Trauma auf Emotionen, Gedanken, den Körper und das Verhalten von Menschen Einfluss haben kann. Ich lade Sie zu einem Exkurs in die Bindungsforschung und die Neurobiologie ein. Anhand eines anschaulichen Modells erkläre ich, wie unser Gehirn funktioniert und wie es in traumagefährdeten Situationen die Notfall-Reaktionen des Körpers in Gang setzt. Sie werden etwas über das Stammhirn, das limbische System und die Großhirnrinde erfahren, die drei Ebenen des Gehirns, die perfekt darauf abgestimmt sind, auf die wesentlichen Reize, die wir aus der Umwelt wahrnehmen, zu reagieren. Ist die Situation sicher oder unsicher? Entsteht Gefahr? Entsteht Lebensgefahr? Dauert die Gefahr lange an? Sie erfahren auch, wie es kommt, dass ein Mensch, der an eine Gefahr erinnert wird, genau so reagiert, als sei er wieder in Gefahr. Ein anderer Teil dieses Kapitels erklärt den guten Grund von zerstörerischem oder selbstzerstörerischem Verhalten als Folge von Traumatisierungen. Es sind Verhaltensweisen in der Vergangenheit des »Dort und Damals« entstanden, die in Not und Gefahr wirklich sinnvoll waren, die jedoch im »Hier und Jetzt« der Gegenwart äußerst problematisch werden können. Was als Ressource entwickelt wurde, quält später im Alltag. Ein kurzer Absatz schildert Beispiele von Kindern, die mit traumatisierten Eltern zusammenleben. Und am Ende dieses Kapitels mache ich Sie noch mit einigen Forschungsergebnissen bekannt.
Wenn Sie besonders gespannt darauf sind, welche Interventionen dazu verhelfen können, dass Kinder und Jugendliche trotz Traumatisierung ihren Alltag gut bewältigen können, werden Sie das dritte Kapitel mit wachsendem Optimismus lesen. Dort wird beschrieben, was traumatisierte Kinder und Jugendliche benötigen und wie Sie ihnen jenseits von Therapie dazu verhelfen können, dass neben einer äußeren Sicherheit auch eine innere Sicherheit entsteht, die eine Genesung von traumatischen Erfahrungen ermöglicht. Im ersten Teil geht es um die Unterstützung von Selbsthilfekräften nach einem einzelnen Trauma. Der umfangreichste Teil dieses Kapitels ist der sogenannten traumaorientierten Pädagogik gewidmet. Hier wird eine Vielzahl von Handlungen und zugrundeliegenden Haltungen beschrieben, die Kindern und Jugendlichen dabei helfen können, ihre traumatischen Erfahrungen zu bewältigen. Dies betrifft auch hilfreiche Verhaltensweisen in der Familie. Manchmal benötigen auch Eltern Hilfe bei der Bewältigung des Traumas ihres Kindes, wenn ein Kind beispielsweise sexuelle Gewalt erlitten hat oder wenn ein Trauerfall traumatische Aspekte einschließt. Diesen Bereichen sind zwei Abschnitte gewidmet. Ein vielschichtiges Thema ist das Für und Wider von Elternkontakten, nachdem ein Kind außerhalb der Herkunftsfamilie untergebracht werden musste. Der Stellenwert von Therapie und Beratung ergänzt dieses Kapitel, auch tiergestützte Therapie wird erwähnt. Mit einem Absatz über Trauma-Erzählgeschichten sowie empfehlenswerte Kinderbücher endet dieser Teil. Im Anhang ist noch eine Auflistung über mögliche Symptome von Kindern und Jugendlichen nach Altersgruppen geordnet zu finden.
Dieses Elternbuch wird nicht auf alle Fragen eine Antwort geben können und nicht für jede Situation genau passend sein. Es gibt Ihnen eine Hilfestellung im Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Und vielleicht kann es auch dazu verhelfen, dass Sie mit den Heranwachsenden zusammen ein Team werden, um sich von den »Geistern der Vergangenheit« zu befreien und verschüttete Fähigkeiten wieder neu zu entdecken. Vielleicht kennen Sie die naive Haltung: »Guten Menschen passiert Gutes und schlechten Menschen passiert Schlechtes.« Nach einem Trauma wissen wir, dass das nicht stimmt. Auch guten Menschen passiert Schlechtes. Und dann geht es darum, wie man trotzdem weiterleben kann und dabei den Glauben an ein gutes Leben nicht verliert. Die Dichterin Hilde Domin sagte: »Federn lassen und dennoch schweben, das ist das Geheimnis des Lebens.«
Alexander Korittko
Hannover, im Januar 2021
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