Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Gunther Schmidt

Liebesaffären zwischen Problem und Lösung - Gunther Schmidt


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System“ konnte nun diese quasi detektivische, teilweise Misstrauen auslösende Sicht auf Familien aufgegeben werden. Man musste nicht mehr befürchten, dass die Familien mit vehementer Kraft versuchen wollten, ihre dysfunktionalen, die Symptome funktionalisierenden Homöostasemuster aufrechtzuerhalten. Pragmatisch gelassen konnte man nun zusammen mit den Beteiligten schauen, welche Muster eventuell, sogar ungewollt, als Beiträge zur Aufrechterhaltung des Unerwünschten (des „Problems“) wirkten, und gemeinsam überlegen, welche Unterschiede im Verhalten, in der Beschreibung und Bewertung etc. das Problem auflösen könnten. Dieses Vorgehen ermöglichte viel mehr praktizierte Wertschätzung der Klientensysteme, als uns das früher möglich war. Auch konnte endlich wieder den am Problem Leidenden viel mehr Empathie entgegengebracht werden, ein Umstand, der mir in unserer früheren Arbeit sehr gefehlt hatte. Allerdings empfand ich auch diese Entwicklung als noch viel zu sehr fokussierend auf die Erlebnisbereiche der „Problemwelt“. Solche Fokussierungen können aber wieder eventuell genau eine Organisation der Wahrnehmung bewirken, die dem Problemerleben Energie zuführt. Ich werde diese Bedenken in meinen weiteren Überlegungen ausführlicher begründen.

      Auch weitere Entwicklungen im systemischen Feld, wie z. B. das Konzept des „Reflektierenden Teams“ (Andersen 1990) und die „narrativen Verfahren“ brachten aus meiner Sicht wichtige Fortschritte hin zu einer mehr gleichrangig-achtungsvollen Gestaltung der Beziehung zwischen Klientensystemen und Therapeuten. Beim Reflektierenden Team wurde mehr und mehr auf die Schlussinterventionen im Sinne des Mailänder Modells verzichtet, die Beobachter werden am Ende der Sitzung von den Klientensystemen dabei beobachtet, wenn sie ihre Beobachtungen und Kommentare dazu austauschen. Diese Angebote werden dann ganz in Selbstorganisation von den Klientensystemen „weiterverarbeitet“. So wird ihre Autonomie und ihre Eigenkompetenz von vornherein mehr rituell geachtet, die Interventionen der Therapeuten werden nicht mehr quasi „von oben herab“ an sie übermittelt, die Klientensysteme selbst werden mehr als Experten für ihr Leben gewürdigt. Allerdings erlebte ich viele Sitzungen nach dem Modell des Reflektierenden Teams als sehr komplexitätserhöhend für die Beteiligten, die Vielfalt der Angebote bewirkte eine sehr breite „Streuwirkung“, die aus meiner Sicht viele Chancen für eine kraftvolle, lösungsförderliche Fokussierung ungenutzt lässt.

      Die 1990er-Jahre brachten eine intensive Auseinandersetzung mit narrativen Verfahren und ihre Nutzung in der systemischen Therapie. Jetzt wurde mit ihnen der Blick nicht mehr so sehr auf die strukturelle Organisation der Beziehungssysteme gerichtet, sondern darauf, welche „Geschichten“ die Menschen über sich, ihr Leben, die Welt im Allgemeinen, über ihre Möglichkeiten etc. entwerfen und sich dann mit ihnen so identifizieren und sich an ihnen so intensiv orientieren, dass sie zu ihrer subjektiven „Wahrheit“ (also zur wirksamen Wirklichkeitskonstruktion) werden. Probleme und Symptome werden damit gesehen als Ergebnis von Geschichten, die den Betroffenen den Blick auf andere, grundsätzlich mögliche, hilfreichere Geschichten und Entwicklungen verstellen. Die Arbeit in der Therapie oder Beratung konzentriert sich dann darauf, zusammen mit den „Autoren“ durch den Blick auf Lebensereignisse, die andere, hilfreichere „Geschichten“ unterstützen würden, die Geschichten entsprechend umzuschreiben.

      Mit den narrativen Verfahren rückte aus meiner Sicht in sehr günstiger Weise noch mehr in den Blick, wie Menschen in autonomer Selbstorganisation (aus hypnosystemischer Sicht würde ich sagen: „in selbsthypnotischer Weise“) ihr Erleben konstruieren und aufrechterhalten. Auch kann mit ihnen intensiv die autonome Autorenkompetenz der Klientensysteme gewürdigt und so eine gleichrangigere Beziehung zwischen Therapeuten und Klienten weiter ausgebaut werden. Wichtige Vertreter dieses Ansatzes wie z. B. H. Goolishian führten ihn aber zu Schlussfolgerungen hinsichtlich der Rolle der Therapeuten, die aus meiner Sicht in ungünstiger Weise das alte Modell der professionellen Experten, die strategisch und sehr raffiniert Interventionen konstruieren, welche die dysfunktionalen Muster „knacken“ sollen, in Schwarz-Weiß bzw. Entweder-oder-Manier einfach nur umdrehten, auf den Kopf stellten. Sie wollten nun nur noch mit „grenzenloser Neugier“ aus einer Haltung des „Nichtwissens“ heraus die Geschichtsentwürfe der Klienten staunend kennen lernen und die eigentlichen Autorenexperten zur Entwicklung neuer Geschichten anregen (Anderson u. Goolishian 1992a). Diese Haltung drückt meines Erachtens viele wertvolle Aspekte aus, z. B. eine gewisse achtungsvolle Demut den autonomen Klienten gegenüber, auch ausgeprägte Toleranz gegenüber anderer als den eigenen „Geschichten“. Aus meiner Sicht spielt sie aber die Kompetenz und die Bedeutungsmöglichkeiten der Therapeuten so herunter, dass ihre Kompetenz, Erfahrung und auch Expertenwissen im Dienste der Klienten oft zu wenig genutzt wird. Ich erinnere mich gut daran, wie Goolishian als Gastreferent bei uns Anfang der 1990er-Jahre in Heidelberg Familien auf der Basis dieses Ansatzes interviewte. Ich und andere Kollegen erlebten dies als eher dahinplätschernden Smalltalk mit den Familien, eher als Gespräche mit Bekannten im Café, ohne klare Fokussierung auf die Anliegen der Familien (die ja immerhin derentwegen gekommen waren, und nicht, um sich gemütlich mal so zu unterhalten). Die Wirkungen, die wir danach von den Familien berichtet bekamen, waren auch eher vernachlässigbar. Meiner Meinung nach wurde so eine sehr bedeutsame und sehr hilfreiche Grundidee für therapeutische Kontexte viel weniger genutzt, als es möglich gewesen wäre.

      Der hypnosystemische Ansatz

      Mit „hypnosystemisch“ wird hier das Modell bezeichnet, welches sich im Laufe der letzten 25 Jahre als Ergebnis meiner Bemühungen herausgebildet hat, systemische Konzepte für Psychotherapie und Beratung (Coaching, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung) mit den Modellen der kompetenzaktivierenden ericksonschen Hypno- und Psychotherapie und anderen dazu passenden Konzepten (z. B. aus Psychodrama, Körpertherapien u. a.) zu einem konsistenten Integrationsmodell zu verbinden und weiterzuentwickeln. Sowohl meine eigenen Erfahrungen als auch die vieler Kollegen, die dieses Modell für ambulante oder stationäre Kontexte übernommen haben, zeigen, dass man damit noch wesentlich flexibler, wirksamer und quasi mehr maßgeschneidert auf die einzigartigen Kulturen der jeweiligen Klientensysteme eingehen kann, als dies mit den traditionelleren Verfahren oder den „üblichen“ systemischen oder auch hypnotherapeutischen Ansätzen gelingt.

      Für mich erschien es geradezu fast zwangsläufig logisch, die systemischen und die ericksonschen Hypnotherapiekonzepte miteinander zu verbinden. Beide gehen von der Idee aus, alle Lebensprozesse mit dem Blick auf eine mögliche Beschreibung von Mustern zu betrachten. Beide verstehen lebende Systeme als sich selbst organisierende, autopoietische Systeme. Erickson kannte zwar diesen Begriff noch nicht, in allen seinen Arbeiten seit den 1930er-Jahren hat er die Autopoiesetheorien aber in Theorie und vor allem in seiner Praxis konsequenter vorweggenommen, als sie bis heute oft sogar in systemischer Arbeit umgesetzt werden. Beide Hypnotherapiekonzepte gehen von fast identischem Verständnis aus, wie Veränderung geschehen kann (nämlich durch die Bildung von Unterschieden in bisher vorherrschenden Mustern). So ist es dann ja auch kein Wunder, dass die wichtigsten Interventionen der systemischen Arbeit über lange Jahre fast alle aus der ericksonschen Hypnotherapie entliehen wurden (Weakland 1983).

      Ein wichtiger Vorteil der hypnosystemischen Konzeption ist z. B., dass mit ihr systematisches Arbeiten mit interaktionellen Mustern möglich ist, wie es uns der systemische Ansatz bietet. Gerade die Erkenntnisse der Autopoieseforschung und der modernen Hirnphysiologie zeigen ja, dass die Einflüsse von Kontextbedingungen im System zwar sehr wichtig sind, ein individuelles lebendes System dadurch aber niemals zu einem bestimmten Erleben gezwungen werden kann, sondern sein Erleben in seiner inneren, strukturdeterminierten Selbstorganisation bestimmt wird (Maturana: „Es gibt keine instruktiven Interaktionen“). Damit fordern sie von uns a) die konzentrierte Arbeit mit dem inneren System der Selbstorganisation lebender Systeme und b) die systematische Beachtung und Nutzung aller Prozesse der Wechselwirkung zwischen der Organisation der Innenwelt und den Einflüssen der jeweiligen Umwelten, also der Prozesse der Kopplung zwischen individuellen lebenden Systemen und ihren Umgebungskontexten.

      Aus dem Wissen der Hypnotherapie (z. B. darüber, wie dort Erlebnisphänomene beschrieben werden) und durch Anleihen bei diversen Körpertherapiemethoden, Psychodrama, Transaktionsanalyse und Gestalt-, aber auch Verhaltenstherapie (immer mit dem Ziel, diese auf ihre Wirkung hinsichtlich der Gestaltung von Aufmerksamkeitsfokussierung optimal zu nutzen) konnte ich viele äußerst hilfreiche Strategien für die Beschreibung von internalen psychophysiologischen Mustern und die Intervention


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