Sieben Bücher über die Menschwerdung Christi. Johannes Cassianus
Da wir in dem ersten Büchlein einiges vorausgeschickt haben, wodurch wir beweisen wollten, daß der neue Häretiker aus alten Stämmen der Häresie sprosse, so müßte die gerechte Verurtheilung der frühern Häretiker eigentlich auch für diesen genügen, um das Urtheil gerechter Verwerfung zu empfangen. Denn da er dieselben Wurzeln hat und aus den nemlichen Irrthümern auftaucht, so ist er schon genügend in seinen Vorfahren verworfen, besonders da seine Behauptungen auch von Solchen gut verurtheilt wurden, welche kurz vorher Jenen14 in übler Weise gefolgt waren, so daß den Jetzigen die Beispiele Ihresgleichen nach beiden Seiten hin im Überflusse hinreichend sein könnten, nemlich sowohl die der Gebesserten als die der Verurtheilten. Wenn sie also gebessert werden können, so haben sie ein Heilmittel in den Besserungen der Ihrigen; wenn sie Dieß aber nicht können, so haben sie ein Urtheil in der Verwerfung der Ihrigen. Damit man jedoch nicht glaube, daß wir mehr ein Vorurtheil als ein Urtheil gegen dieselben anwenden wollen, so laßt uns ihre eigene verpestende Lehre oder vielmehr ihren gotteslästerlichen Wahnsinn vorführen, indem wir zu Allem den Schild des Glaubens nehmen und das Schwert des Geistes, welches das Wort Gottes ist, damit nemlich das wiedererstehende Haupt des alten Drachen auch jetzt in diesen neuen Schlangen von demselben Schwerte des göttlichen Wortes abgeschnitten werde, welches früher bei dem alten Gewürm den trennenden Hieb führte. Denn da diese den gleichen Irrthum haben wie Jene, so ist auch der Schnitt bei den Einen der Schnitt für die Andern; weil aber die wiedererstehenden Schlangen ihren Pesthauch in der Kirche des Herrn ausstoßen und Manche durch ihr Zischen matt machen, so muß man wegen der neuen Krankheiten ein neues Mittel mit den alten Heilarten verbinden, damit, wenn das früher Geschehene zur Vernichtung der Sucht nicht hinreicht, doch Das, was wir jetzt thun, stark genug sei zur Erholung der Erschlafften.
2. Daß die jungfräuliche Gottesmutter nicht nur Christusgebärerin, sondern auch Gottesgebärerin und Christus wahrhaft Gott sei, wird nun bewiesen .
Wer immer du nun bist, o Häretiker, der du läugnest, daß Gott aus der Jungfrau geboren sei, du behauptest also, Maria, die Mutter unseres Herrn Jesus Christus, könne nicht θεοτόκος [theotokos], d. i. Mutter Gottes genannt werden, sondern χριστοτόκος [christotokos], d. i. nur Christi Mutter, nicht Gottes; denn Keine, sagst du, bringt Einen zur Welt, der älter ist als sie. Über diesen so thörichten Beweis nun, in welchem du die Geburt Gottes nach fleischlichem Verständniß abschätzen zu müssen und das Geheimniß der Majestät nach menschlichen Verhältnissen beurtheilen zu müssen glaubst, wollen wir nachher mit Gottes Hilfe reden; für jetzt wollen wir einstweilen durch göttliche Zeugen bewähren, daß Christus Gott und Maria die Mutter Gottes war. Höre also über die Geburt Gottes den Engel Gottes zu den Hirten sagen: „Geboren wurde euch heute der Erlöser, der da ist Christus der Herr, in der Stadt Davids.“ Damit du nun unter Christus nicht nur den Menschen verstehest, hat er dir auch noch den Namen des Herrn und Erlösers beigefügt, damit du nemlich durchaus nicht zweifeln mögest, daß Derjenige Gott sei, den du als Erlöser erkanntest, und damit du nicht anstehest, dem göttliche Macht zuzuschreiben, bei welchem du die Macht zu erlösen sahest, die ja doch nur der göttlichen Kraft zukommen kann. Aber das dürfte wohl deiner Ungläubigkeit noch wenig scheinen, weil ihn doch der Engel eher Herrn und Erlöser nennt als Gott und Sohn Gottes, während du gerade in ruchloser Weise läugnest, daß Jener Gott sei, von welchem du zugibst, daß er Erlöser sei. So höre denn weiter den Erzengel Gabriel, welcher Maria der Jungfrau verkündet und sagt: „Der heilige Geist wird auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten; daher wird auch das Heilige, das aus dir geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden.“ Siehst du nun, wie er, um die Geburt Gottes anzuzeigen, das Thun der Gottheit vorausschickt? Denn, sagt er, der heilige Geist wird auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten. In gar schöner Rede hat so der Engel mit göttlichen Worten die Majestät des göttlichen Werkes dargestellt. Denn der heilige Geist, der den Schooß der Jungfrau heiligte und in demselben die Macht seiner Gottheit ausströmte, hat sich dadurch der menschlichen Natur eingegeben und vermischt und Das, was ihm so ferne stand, zu dem Seinigen gemacht, indem er es in seiner Kraft und Majestät für sich nahm. Und damit die menschliche Schwäche nicht etwa bei dem Einzuge der Gottheit unterliegen möchte, hat die Kraft des Allerhöchsten diese Allen verehrungswürdige Jungfrau gestärkt, um die körperliche Schwäche durch den ringsumgebenden Schutz seines Schattens zu heben und die menschliche Hinfälligkeit bei Erfüllung des unaussprechlichen Geheimnisses der hl. Empfängniß nicht dahinsinken zu lassen, sondern sie durch göttliche Umschattung zu halten. „Der hl. Geist also“, sagt er, „wird auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“ Wenn nun der von der unverletzten Jungfrau zu Gebärende ein bloßer Mensch war, was sollte dann mit einer so großartigen Botschaft bezweckt werden, was mit einer solchen Bereitstellung der Gottheit selbst? Wenn doch nur Mensch vom Menschen und Fleisch vom Fleische geboren wurde, so hätte dazu doch wohl ein bloßer Befehl Gottes oder sein Wille hinreichen können. Denn wenn zur Herstellung des Himmels, zur Gründung der Erde, zur Erschaffung des Meeres, für die Herrschersitze und Throne, die Engel und Erzengel, die Fürstenthümer und Mächte, wenn endlich zur Erschaffung des ganzen himmlischen Heeres und jener unzähligen tausendmal Tausende der Schaaren Gottes sein Wille und Befehl ihm hinreichte (denn15 „er sprach, und sie wurden; er befahl, und sie waren geschaffen“); — warum sollte Das zur Empfängniß eines einzigen Menschen, wie du sagst, zu wenig geschienen haben, was doch genug war zur Erschaffung aller Gotteswerke, und warum hielt Gottes Macht und Majestät bei der Entstehung eines Kindleins Das für zu gering, was doch hingereicht hatte für die Gründung alles Irdischen und Himmlischen? Die Sache ist in allweg die, daß all jene Werke geschehen waren durch den Befehl Gottes, die Geburt aber nur durch seine Ankunft geschehen konnte, weil ja Gott von einem Menschen nicht empfangen werden kann, wenn er sich nicht gibt, und nicht geboren werden kann, wenn er sich nicht herabsenkt. Deßhalb zeigte der Erzengel der Jungfrau die Herabkunft der hl. Majestät an, damit so, weil eine so hohe Sache nicht durch menschliche Dienstleistung betrieben werden konnte, schon für die kommende Empfängniß die Majestät Dessen geziemend geehrt würde, der da kommen wollte in der Geburt. Deßhalb also stieg herab das Wort, der Sohn, deßhalb war zugegen die Majestät des hl. Geistes und die überschattende Kraft des Vaters, damit doch ja bei dem Geheimnisse der hl. Empfängniß die volle Mitwirkung der Trinität stattfinde. „Deßhalb“, sagt er, „wird auch das Heilige, das aus dir wird geboren werden, Sohn Gottes genannt werden.“ Treffend setzte er bei „deßhalb“, um nemlich zu zeigen, daß Dieses folgen werde, weil Jenes vorausgeschickt sei, und daß, weil Gott herabgekommen sei bei der Empfängniß, auch Gott in der Geburt sein werde. Er gibt also der Nichts davon wissenden Jungfrau den Grund der so hohen Sache an, indem er sagt: „Gerade weil der hl. Geist herabkommen und weil die Kraft des Allerhöchsten (dich) überschatten wird, deßhalb wird auch das Heilige, was aus dir geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden.“ Das will sagen: „Laß nicht unbeachtet diese feierliche Zurüstung einer so hohen Sache, dieß heilige Dunkel eines so großen Geheimnisses; denn deßhalb wird die ganze Majestät Gottes auf dich herabkommen, weil aus dir der Sohn Gottes geboren werden wird.“ Was kann da noch weiter gezweifelt, was sollte noch weiter gesagt werden? Er sagt, daß Gott herabkommen, daß der Sohn Gottes werde geboren werden. Nun frage du, wenn es dir beliebt, wie entweder der Sohn Gottes nicht Gott sein soll, oder wie Diejenige, welche Gott gebar, nicht Theotokos, d. i. Mutter Gottes sein könne! Es müßte dir also Dieß allein, ja Dieß am meisten genügen.
3. Er setzt denselben Beweis fort mit Zeugnissen des alten Testamentes .
Weil uns nun aber für die hl. Geburt Stellen im Überflusse zu Gebote stehen, die alle deßhalb geschrieben sind, um Zeugniß dafür abzulegen, so wollen wir wenigstens zum kleinern Theile auch im alten Testamente die Vorherverkündigung Gottes untersuchen, damit du einsehest, daß die kommende Geburt Gottes aus der Jungfrau nicht nur damals verkündet wurde, als sie geschah, sondern daß sie selbst vom Anfange der Welt an vorhergesagt wurde, doch sicher deßhalb, damit bei der Unaussprechlichkeit des Werkes, das geschehen sollte, die fortwährend vorausgeschickte Verkündigung des Zukünftigen einmal